Simone Dede Ayivi über Denkmäler: „Weg vom Blick auf die Täter“

Eine Onlinekarte listet Orte mit Kolonialvergangenheit auf. Es brauche eine antirassistische Perspektive, sagt Simone Dede Ayivi von der Initiative Schwarze Menschen.

Frau pustet kleine Statuen von Männern weg

„Der Anspruch ist höher, als nur die Scheiße aufzulisten“, sagt Simone Dede Ayivi Foto: Renata Chueire

taz: Frau Ayivi, Sie haben als Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zusammen mit dem Peng-Kollektiv eine Karte veröffentlicht, auf der Orte, Straßen und Denkmäler verzeichnet sind, die an Kolonialverbrechen erinnern. Was wollen Sie damit erreichen?

Simone Dede Ayivi: Schon lange arbeiten viele Organisationen am Thema der kolonialen Spuren im Stadtraum, es gibt künstlerische Projekte genauso wie Sammlungen über solche Orte in einzelnen Städten. Im Zuge der aktuellen Denkmalstürze haben wir beobachtet, wie jetzt immer mehr gefragt wird, wo stehen diese Dinger in Deutschland. Wir wollen also das Wissen zusammentragen, ohne vorzugeben, wer die größten Kolonialverbrecher sind. Und dazu einladen, Orte selbst zu finden und einzutragen. Nach wem ist meine Straße benannt, was sind das für Männer mit und ohne Pferd, die in den Innenstädten stehen? Was haben die getan, wofür stehen die? Wir wollen die Kolonialvergangenheit offenlegen. Der Anspruch ist höher, als nur die Scheiße aufzulisten.

Wie viel haben Sie gefunden? Was sind die häufigsten Namen?

Es sind jetzt schon einige hundert Straßen, Plätze, Denkmäler und Häuser verzeichnet. Die häufigsten Namen sind Lüderitz und Wissmann. In sehr vielen Städten gibt es eine Peters-Straße, benannt nach Carl Peters, Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Das hat mich verwundert, da in vielen Städten entsprechende Straßen schon umbenannt wurden. Und Bismarck-Türme sind fast schon eine Denkmalkategorie für sich.

Sollen alle Peters-Straßen umbenannt und Bismarck-Türme abgebaut werden?

Wir fordern, dass sich die Perspektive ändert. Aus der M-Straße soll nicht einfach nur die Schönste-Berliner-Straße werden, sondern die Anton-Wilhelm-Amo-Straße – das war der erste Gelehrte afrikanischer Herkunft an einer preußischen Universität. Umbenennungen sollen dazu führen, dass der Widerstand geehrt wird. Wir müssen weg vom Blick auf die Täter und Kolonialverbrecher hin zu einer antikolonialen und antirassistischen Perspektive.

Wenn wir eine antirassistische Gesellschaft wollen, müssen wir fragen, wer sind die Opfer, die wir ehren wollen? Ein leerer Sockel ist ein guter Schritt, um das herauszufinden. Über diese Leerstellen sollen breite Diskus­sio­nen geführt werden. Dann kann man etwa Künstler*innen vom afrikanischen Kontinent einladen, die Plätze, auf denen bislang Kolonialisten gedacht wurde, neu zu gestalten.

36, seit zehn Jahren Mitglied in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Autorin und Künstlerin aus Schwarzer feministischer Perspektive

Ist die Gesellschaft in der Aufarbeitung von Kolonialverbrechen weiter, als es die Fülle der Straßennamen und Denkmäler anzeigen?

Nein, das geht ganz gut zusammen. Es gab etwa einen enormen Widerstand im afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding gegen die Straßenumbenennungen. Es gibt überhaupt kein Bewusstsein für die Gräueltaten, selbst dann nicht, wenn jemand wie Carl Peters den Beinamen Hänge-Peters hat. Dabei ist die Ehrung dieser Mörder vor allem für Schwarze Menschen eine Gewalterfahrung im öffentlichen Raum. Wenn aber selbst so etwas nicht ausreicht, dann ist der Diskurs einfach noch nicht angekommen. Anderseits ist es aber auch so, dass uns die sehr harte Arbeit von vielen Organisationen in den vergangenen 20 Jahren an den Punkt gebracht hat, an dem wir jetzt sind – wo wir laut und öffentlich unsere Perspektive einfordern und mit so einer Website an den Start gehen.

Ist jetzt der Moment gekommen, um wirklich die Politik zum Handeln zu bewegen?

Es ist gerade ein politischer Moment, aber auch ein emo­tio­naler. „Enough is enough“ muss hier genauso gehört werden wie in den USA. Mit der Ermordung von George Floyd ist die Stimmung gekippt: Wir wollen nicht mehr aushandeln, ob die Perspektive von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, wichtig ist. Es muss jetzt gehandelt werden.

Fordern Sie zur Militanz, zum Stürzen von Denkmälern auch hierzulande auf?

Das kommt darauf an, was man unter Militanz versteht. Die Karte ist auf jeden Fall dafür gedacht, nicht mehr mit geschlossenen Augen vorbeizugehen, sondern natürlich ein Aufruf zum Handeln. Das kann eine E-Mail an die Bezirksverordneten sein oder eine Demonstration. Das bleibt alles selbst überlassen. Und ja, es ist ein wohl­tuen­des Bild, diese Statuen überall fallen zu sehen.

Die Deutschlandkarte gibt es unter www.tearthisdown.com.

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