Zellenfenster werden kleiner: Gesiebte Luft wird noch dünner

Vor Fenster in Gefängnissen in Niedersachsen kommen künftig Lochbleche. Gefangene klagen über zu wenig Frischluft und eine Aufheizung der Zellen.

Die Fenster der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hannover vor dem Einbau der Lochbleche: Einfache Gitter vor den Zellen reichen, im Vordergrund ist ein Maschendrahtzaun zu sehen, der das Gefängnis umschließt

Wo hier noch Gitter sind, werden in der JVA Hannover jetzt Lochbleche gebaut Foto: Peter Steffen/dpa

HANNOVER taz | „Hinter Gittern“ ist ein Ausdruck für das Leben im Gefängnis, der in Niedersachsens Justizvollzugsanstalten (JVA) bald euphemistisch sein könnte: „Hinterm Lochblech“ muss es dort künftig heißen. Im Gefängnis in Hannover wird eine Vorschrift der niedersächsischen Justizbehörde von 2018 seit einigen Wochen mit einer großen Baumaßnahme umgesetzt – die Fensterfläche wird verkleinert.

Bisher gab es in jeder Zelle dort ein einzelnes Panoramafenster, 1,40 Meter mal 1,20 Meter groß, das sich komplett öffnen ließ. Nun wurden die Fenster zweigeteilt: Eine Hälfte ist jetzt verschlossen, Gefangene können noch hindurchsehen, es aber nicht mehr öffnen. Vor der anderen Hälfte sind keine normalen Gitter mehr montiert, sondern ein Blech mit zwei mal zwei Zentimeter großen Löchern darin. Nach und nach sollen im Zuge von Sanierungsarbeiten alle Gefängnisse in Niedersachsen damit ausgestattet werden.

Die neuen Lochbleche sollen verhindern, dass Gefangene „pendeln“, also etwa Drogen zwischen Zellenfenstern über ein Pendel austauschen. Laut dem Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften sorgen sie auch dafür, dass kein Essen mehr auf den Gefängnishof geschmissen wird. Und schließlich macht man sich in der Justizbehörde in Niedersachsen Gedanken über den Fortschritt der Technologie: Was, wenn eine Drohne Waffen ans Fenster der Gefangenen bringt? Gegen all diese Vergehen scheint ein Lochblech die Lösung sein.

Gefangene sorgen sich um Frischluft und Hitze

„Reine Schikane“, meint dagegen der Inhaftierte „Avis“ (Name der Redaktion bekannt). Er und andere Gefangene machen sich große Sorgen, ob die um zwei Drittel verkleinerte Fensteröffnung in Zukunft noch ausreichend Frischluft in die Zellen lässt. Mehr als ein Dutzend handgeschriebener Briefe von Inhaftierten an die taz und das Komitee für Grundrechte in Köln dokumentieren die Beschwerden: „Den Wechsel der Fenster mit der Feinvergitterung und nur noch ca. 35% Luftaustausch werte ich als Angriff gegen meine Gesundheit, physischer und psychischer Art“, heißt es in einem Schreiben.

„Die Sommermonate sind leider nicht mehr zu ertragen“, so ein zweiter Betroffener. „Durch die Lochgitter haben wir weniger Tageslicht“, betont ein anderer. Ein weiterer Inhaftierter klagt vor allem über die Hitze: „Die Zellen werden sehr warm durch die Stahlplatten, wenn die Sonne darauf scheint.“ Und die Gefangeneninitative PrisonWatch titelt: „JVA will Gefangene kochen.“ Bisher sind die Fenster in den zwei Blöcken A und B des Gefängnisses umgebaut, ein dritter Block soll folgen.

Lochgitter verschlechtert die Luftzufuhr

Dass die Luftzufuhr verringert wird, bestätigt Michael Schumacher, Professor für Architektur an der Uni Hannover auf Nachfrage. Auch die Vermutung, dass die Luftströmung durch das Gitter zusätzlich gestört werde, hält er für plausibel: „Das stimmt wahrscheinlich. Das Lochblech kann die Strömung brechen.“ Dass es zu einer Aufheizung durch das Metall vor dem Fenster kommen kann, sieht Schumacher ebenfalls. „In welchem Maße kann ich allerdings spontan nicht sagen.“ Mit einer Bewertung hält er sich deshalb zurück.

Die Behörden verweisen auf die niedersächsische Bauordnung. Dabei hat die nicht viel mehr zu Fenstern zu sagen als: Räume müssen gelüftet werden können. Die dazugehörige Durchführungsverordnung wird etwas genauer: Mindestens ein Achtel so groß wie die Grundfläche des Raumes müsse die Fensteröffnung sein – bei einer Zellengröße von acht Quadratmetern also einen Quadratmeter.

Tatsächlich gibt es in den umgebauten Zellen nur noch eine Netto-Fensteröffnung von 0,3 Quadratmetern. Das macht allerdings nichts, zumindest laut Durchführungsverordnung – die geht nämlich immer vom Rohbaumaß aus, das bei verschlossenen und eng vergitterten Fenstern nicht viel mit der tatsächlichen Fensteröffnung zu tun hat.

Immerhin: Das Justizministerium beruft sich auf eine Untersuchung des TÜV Nord von 2002, der damals ein Fenster mit Lochblechabdeckung geprüft habe: Es sei dabei ein Luftwechsel von etwa 90 Prozent in der Stunde gemessen worden, schon ein Wert von 50 Prozent sei ausreichend.

Dem Landgericht Hannover reicht die alte Berechnung wohl nicht: Nach der Klage des Hannoverschen Inhaftierten Christian Vinke von PrisonWatch wurde nun vom Gericht ein neues Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, das den Luft- und Wärmeaustausch messen und eine Erhitzung des Lochgitters prüfen soll.

Das Gericht empfiehlt der JVA, derweil den weiteren Einbau zu pausieren – schließlich könne es sein, dass am Ende alles teuer zurückgebaut werden muss. Weiter gebaut wird trotzdem. „Typisch“ findet das Avis im Telefonat mit der taz. „Für Sicherheitsmaßnahmen, die uns das Leben zur Hölle machen, ist immer Geld da.“

Interessenvertretung der Gefangenen kann nicht tagen

Der Nichtraucher Avis leidet unter der chronischen Lungenkrankheit COPD; er fürchtet nicht nur Corona, sondern auch, dass sich sein Leiden verschlimmere, wenn er die Zelle, die früher von starken Rauchern bewohnt wurde, nicht mehr richtig lüften könne. Doch Gefangenen, die sich aus gesundheitlichen Gründen über den Einbau beschwerten, werde mit der Verlegung in andere Abteilungen gedroht, einer seiner Mitinsassen musste schon umziehen. „Das bedeutet immer auch einen Verlust der Sozialkontakte“, so Avis.

Auch ansonsten versuche die Gefängnisleitung alles, um den Protest zu behindern. So seien die letzten fünf Treffen der Interessenvertretung der Gefangenen (IVG) ausgefallen. Corona sei der Grund, schreibt dazu Hannovers Gefängnisdirektor Matthias Bormann. Avis ist skeptisch: „Warum kamen die Absagen immer erst kurzfristig am Tag des Treffens?“, fragt er.

Er und die anderen hoffen nun auf das Sachverständigengutachten. Einen Aspekt, der vom TÜV allerdings nicht zu messen ist, benennen viele Gefangene in ihren Briefen: „Meine Depressionen werden schlimmer“, schreibt einer. „Man hört kein Vogelzwitschern mehr“, ergänzt Avis.

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