Album von Thao & The Get Down Stay Down: Herz in San Francisco verloren

Das neue Album „Temple“ der kalifornischen Band beweist Groove und Köpfchen. Textlich ist es inspiriert vom Comingout der Leadsängerin.

Junge Frau mit geblümtem Oberteil, hinter ihr Häuser einer Großstadt

Thao Nguyen – Sängerin, Gitarristin und Komponistin der Band Foto: Shane McCauley

Mit einem lesbischen Comingout kann man heutzutage kaum jemand hinter dem Ofen hervorlocken – schließlich steht dem in weiten Teilen der westlichen Welt selbst im gesellschaftlichen Mainstream mittlerweile wenig im Weg. Und wenn ein solches Selbst-Outing von einer Frau kommt, die seit anderthalb Jahrzehnten im queeren US-Mekka San Francisco lebt und Indiepopstar ist, fragt man sich schon: „Na und?“

Das neue Album „Temple“ der US-Dance-Pop Band Thao & The Get Down Stay Down erzählt genau davon: vom späten Coming-out der Sängerin, Gitarristin und Komponistin Thao Nguyen. Und tut das auf eine so facettenreiche, komplexe Weise, das man doch gerne genau hinhört.

Eingebettet ist das in einen Sound, der im besten Sinne unentschieden daherkommt und sich in einem Spannungsfeld zwischen luftiger Groovyness und schwelender Bedrohung bewegt, zwischen Nervosität und nonchalanter Abgehangenheit. Da bleibt man gerne dabei; allein, um zu erfahren, in welche Richtung dieser Schwebezustand aufgelöst wird. Wozu es aber nie kommt – was den Reiz dieses Albums noch verstärkt.

Ambivalenz findet sich auch auf der Textebene. Auf der thematisiert die 36-Jährige ihr Coming-out auf eine Weise, die über die subjektivistische Perspektive weit hinausreicht.

US-Rocktradition im Vietnam der 1960er und 70er

Das fängt damit an, dass Nguyen sich in ihre Eltern hineinversetzt, die vor dem Vietnamkrieg in die USA flüchteten; das surfgitarrenmäßige, dengelige Intro ruft auf, wie man sich im Vietnam der 1960er und 70er Jahre US-Rocktraditionen aneignete: „I lost my city in the light of day / Thick smoke / Helicopter ­blades“ lauten die ersten atemlosen Zeilen des Albums.

Die Auflösung, die am Ende des Titelsongs wartet, kommt scheinbar lapidar daher. „But we found freedom / What will you do now / bury the burden / Baby make us proud.“ Ihre Eltern mögen in der neuen Freiheit angekommen sein, doch für die Tochter bringt der Auftrag, sie stolz zu machen, eine neue Bürde mit sich: die der Selbstverleugnung.

In ihrem privaten Umfeld war Nguyen schon seit einer Weile geoutet, auch ihren Eltern gegenüber – doch denen war wichtig, dass das nicht öffentlich wird – was eben auch ihr Musikschaffen beinhaltetet, schließlich wird Privates schnell mal Medienthema. Ein umfassenderes Coming-out, so war Nguyen lange überzeugt, hätte den Ausschluss aus der konservativen vietnamesischen Community zur Folge – zudem die Entfremdung von ihrer Familie.

„Als Kind von Geflüchteten aufzuwachsen, bedeutete auch, dass immer im Raum steht: Mach dein und unser Leben bloß nicht unnötig kompliziert“, erzählt sie im Gespräch mit der taz. Letztlich konnte sie mit diesem Doppelleben nicht mehr leben. „Ich musste zu einer Person werden. Es ging nicht mehr, diesen Teil von mir abzuspalten. Es war brutal und traurig, aber ich war irgendwann bereit, meine Familie aufzugeben.“

Supermarktgutscheine als Hochzeitsgeschenk

Letztlich kam es dazu nicht. Vergangenes Neujahr heiratetet Nguyen ihre Freundin, die Eltern schickten Einkaufsgutscheine für eine Biosupermarktkette. „Sie zeigten ihre Unterstützung auf eine Weise, die bei uns durchaus etwas bedeutet. In unserer Familie wird alles über Essen verhandelt. Darüber hinaus reden wir über das Thema nicht; diesen doch eher westlichen Ansatz, man müsse immer alles ausdiskutieren, brauche ich eigentlich auch nicht.“

Thao & The Get Down Stay Down: „Temple“ (Domino/GoodtoGo)

Kollidierende Emotionen packt Thao lieber in ihre Songs und findet dafür eindrückliche Bilder und Umschreibungen. „Letztlich hätte ich meiner Familie den Tumult meiner frühen Erwachsenenjahre anlasten können; früher habe ich das oft getan. Das schwierigste an dem Prozess war, mir selbst einzugestehen, wie sehr ich ihre Scham internalisiert hatte. Und dabei anzuerkennen, dass das letztendlich meine eigene Entscheidung war, die ich wiederum niemandem anlasten kann.“

Im Song „Phenom“ bilanziert sie: „Shamefully shame’s claim on me / Led my life with infamy / But I don’t call it / I don’t solve it / I dissolve it / Famously.“ Dass sich durch die Arbeit an „Temple“ Dinge gelöst haben, hört man der Musik durchaus an, vor allem im Vergleich zum Vorgänger-Werk „A Man Alive“ (2016), das Nguyen mit ihre Nachbarin und guten Freundin Merrill Garbus (alias Tune-Yards) produziert hatte. In den düstereren, klaustrophobischen, beatgesteuerten Songs schwang stets mit, wie sie den Zeitraum der Albumentstehung rückblickend wahrnimmt: „Ich steckte total fest.“

Trotzdem klingt „Temple“ nicht nach einem musikalischen Befreiungsschlag. Thao & The Get Down Stay Down lassen keine Drums und Gitarrenriffs explodieren. Die Melodien kommen eher vorsichtig forschend daher; das Sounddesign wirkt luftig. Neben dem Balanceakt zwischen Groove und Bedrohlichkeit schafft das Quintett Dreampop-Momente („Pure Cinema“), verwinkelt Hymnisches („Marauders“) und angejazzten Artpop („Lion On The Hunt“).

Herausgekommen ist beim bisher besten Album der kalifornischen Band eine vielstimmige Selbsterforschung, die auch den sozialen Rahmen im Blick hat. So spezifisch und doch allgemein, wie Nguyen ihre Coming-out auffächert, hört man sich auch eine scheinbar auserzählte Geschichte gerne an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.