Protest gegen Rassismus: Kniend sich erheben

Die, die jetzt gegen rassistisch motivierte Gewalt demonstrieren, eignen sich den Kniefall des Unterdrückers als Kampfgeste an. Diese ist sehr stark.

Menschen protestieren kniend in Den Haag

Viele Protestierende knien sich nun nieder – 8:46 Minuten lang Foto: dpa

Am Abend des 25. Mai drückte der Polizist Derek Chauvin acht Minuten und 46 Sekunden lang mit dem Knie auf das Genick des Afroamerikaners George Floyd. „I can’t ­breathe“ – ich kann nicht atmen –, flehte der 46-jährige Mann, auf dem der Polizist kniete, immer wieder, bis er ohnmächtig wurde. Und erstickte.

Die Szene in Minneapolis wurde von Passanten gefilmt, die vergeblich forderten, dass Chauvin von Floyd runtergehe. Nichts am Ablauf ist erfunden. Selbst als die Sanitäter schon vor Ort waren, kniete Chauvin weiter auf Floyds Genick.

Entrüstung, Protest, Widerstand folgen. Sie folgen zu Recht. Denn die Polizeigewalt, so die Vermutung, war rassistisch begründet. Wer keine weiße Hautfarbe hat, verliert in vielen Ländern sein Leben schneller. Auch in Deutschland. Viele Protestierende knien sich nun nieder wie der Polizist: mit einem Knie auf dem Boden.

Schwäche signalisiert Stärke

Die geballte Faust, Geste der Arbeiterbewegung und auch Geste der Black-­Power-Bewegung, ist seit Anfang des ­letzten Jahrhunderts Teil der politischen Ikonografie. Sie soll Kampf­entschlossenheit bedeuten, Kampfesmut. Und signalisiert doch auch hilflose Wut – und damit Schwäche. Mit dem Kniefall ist es umgekehrt: Er entstand aus der Schwäche und signalisiert nun Stärke.

Polizisten aller Ethnien, auch Weiße, knieten auf die gleiche Manier vor Leuten nieder, die gegen den Rassismus in den USA demonstrierten. Die Message war klar: Wir greifen euch nicht an, signalisierten sie so; wir distanzieren uns von Chauvin; wir sind solidarisch mit dem Opfer – und mit euch.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Der Kniefall, eigentlich eine Unterwerfungs- oder Demutsgeste, sei es im religiösen Kontext oder im politischen, erhält seither eine neue Deutung. Er wird ein Zeichen der Solidarität, des Protests und des Kampfs gegen Ungerechtigkeit.

Physischer Schmerz wird sichtbar

Und wenn Sportler oder Politiker und Politikerinnen acht Minuten und 46 Sekunden, wie es die Demokraten im US-amerikanischen Kongress taten, auf die gleiche Weise knien wie der Polizist Chauvin, dann ist da auch physischer Schmerz sichtbar, der die Solidarität echt macht. Man muss es nur selbst ausprobieren, 8:46 minuten sind lang.

Dieser Kniefall signalisiert Widerstand – gewaltfreien Widerstand. Denn die Demutsgeste ist nicht verloren. Niemand stürmt kniend eine Bastille. Und trotzdem ist da Protest. ­Kniend wird sich erhoben. Es ist notwendiger denn je. Denn Ungerechtigkeit schädigt alle. Auch die, die von der Ungerechtigkeit profitieren.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es in diesem Text, dass die Geste des Kniefalls in den Protesten nach dem Tod von George Floyd entstanden sei. Die Geste wiederhole die des Polizisten Chauvin, der Floyd umbrachte, indem er ihn minutenlang sein Knie in den Nacken drückte.

Tatsächlich entstand der Kniefall als Protestgeste aber bereits 2016 bei den Spielen der National Football League. Der Spieler Kaepernick wollte schon damals auf Polizeigewalt an Schwarzen aufmerksam machen. Andere Spieler schlossen sich an und übernahmen die Geste. Die Proteste sind als „US national anthem protests“ bekannt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.