Black-Lives-Matter-Demos: „Wir sind Deutschland“

Auch an diesem Wochenende soll es wieder Antirassismus-Demos geben. Drei Organisator*innen aus Bremen, Leipzig und München erzählen.

Dutzende Menschen ssitzen auf einem U-Bahnaufzug und halten Protestschilder hoch

Etwa 15.000 Menschen demonstrieren bei der Silent Demo in Berlin am 6. Juni Foto: Sebastian Wells

„Es weht ein anderer Wind“

Seit Oktober studiere ich Global Studies in Leipzig, seit vier Jahren gebe ich rassismuskritische Workshops. Ich bin Teil des Organisationsteams des Black-Lives-Matter-Protests am vergangenen Sonntag. Entstanden ist die Idee für die Demo in einer Telegram-Gruppe für die BIPOC-Community in Leipzig nur eine Woche zuvor. Zunächst waren wir nur vier Leute, mittlerweile sind wir fast 60.

Wir sind ein Bündnis von Menschen aus verschiedenen Gruppen, die sich für diese Demo zusammengetan haben. Wir haben gesagt: Okay, jetzt ist es an der Zeit, dass wir auf die Straße gehen, damit Menschen uns zuhören. Insbesondere in Leipzig wollen wir uns sichtbar machen. Hier in der Stadt gibt es sehr viel politisches Engagement und viele Netzwerke, auf die wir zurückgreifen konnten. Aber gleichzeitig ist es immer noch eine Stadt im Osten, in der wir als Schwarze Menschen sehr unterrepräsentiert sind.

Porträt Naomi Lwanyaga

Naomi Lwanyaga, 27 Foto: Verena Prinz

Uns war es wichtig, dass es an diesem Tag um Black People geht und wir als BIPOC-Community in Solidarität mit diesen auf die Straße gehen. Das ging dann alles recht schnell. Mitte der Woche hieß es, dass das Ordnungsamt mit 1.000 Menschen rechnet, an dem Tag selbst waren es dann über 15.000. Ich glaube, uns ist allen erst nach der Demo bewusst geworden, was wir da eigentlich gemacht haben.

Ursprünglich wollte ich gar keine Rede halten, aber ich war so überwältigt, dass ich es gemeinsam mit meiner Schwester doch gemacht habe. Das hat sich durch die ganze Organisation gezogen: Dass es vor allem für Schwarze Menschen ein riesiger Tag war. Für viele, ich selbst inklusive als Schwarze Deutsche, war es der erste Tag, an dem wir sagen konnten: Wir sind Deutschland.

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Meine Forderung in der Rede war, dass weiße Menschen sich weiter mit Rassismus beschäftigen. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, können sich das nicht aussuchen. Unser Appell ist, den Ball in das andere Feld zu spielen und zu sagen: Ihr müsst jetzt die Entscheidung treffen, denn wir können den Rassismus ohne euch nicht stoppen. Wir haben schon so viel geweint, unsere Erfahrungen geteilt. Aber es ist ein Unterschied, ob jemand Mitleid für die traumatischen Erfahrungen zeigt oder sagt: „Ich bin Teil des Problems und muss jetzt ein eigenes rassismuskritisches Bewusstsein schaffen.“

Das ist eine große Forderung von uns: Es geht nicht nur um die Demo, es geht um einen Prozess. Es weht ein anderer Wind, in dem auch weiße Menschen in die Pflicht genommen werden, sich weiterzubilden. Protokoll: Sarah Ulrich

„Die Luft hat förmlich gebrannt“

Bei der Silent Demo in München mit 25.000 Teilnehmern durfte ich die Eröffnungsrede halten. Ich war überwältigt von den Menschen, es war eine Welle von großen Gefühlen und Zusammenhalt, die Luft hat förmlich gebrannt. Es ist unglaublich, dass so viele für die Black Community zum Königsplatz gekommen sind.

Zum Team der Silent Demo bin ich über die Afrojugend München gestoßen, bei der ich seit einigen Jahren Mitglied bin. Bei einem kleineren Trauermarsch für George Floyd haben wir linke Gruppen kennengelernt und uns für die Organisation der Demo zusammengeschlossen. Das geschah innerhalb weniger Tage.

Porträt Jiréh Emanuel

Jiréh Emanuel, 25 Foto: privat

Geboren wurde ich in Frankfurt am Main, mit zehn Jahren bin ich mit meiner Familie nach München gezogen. Nach dem Gymnasium habe ich in der Gastronomie und im Vertrieb gearbeitet, jetzt bin ich Junior Sales Manager in der Personalberatung und vermittle Fachkräfte für Augenärzte.

Politisch bin ich schon immer stark interessiert. Man möchte ja seine eigenen Wurzeln erkunden, deshalb befasse ich mich viel mit Kolonialismus, Kapitalismus und Afrika. Der Alltagsrassismus hier fängt in der U-Bahn an, wenn sich Leute von einem wegsetzen. Natürlich gibt es in München und in Deutschland auch strukturellen Rassismus. Schwarze Menschen werden etwa viel häufiger von der Polizei kontrolliert oder unangemessen lange festgehalten, das passiert mir immer wieder.

Bei der Demo war ich auch Ansprechpartner für die Polizei, die hat sich sehr kooperativ verhalten und uns auch wohlwollend gewähren lassen. Doch wie viele Polizisten sind Afrodeutsche? Eben – da stimmt vieles nicht in unserer Gesellschaft. Jetzt hält unser Team weiterhin regelmäßig Meetings ab und wir versuchen, größer zu werden und andere Afro-Gruppen einzubinden. So sind wir in Kontakt mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und dem Arbeitskreis Panafrikanismus München.

Wir arbeiten gerade an konkreten Forderungen, etwa der Abschaffung von Racial Profiling bei der Polizei. Wir wollen als Afrodeutsche in der Stadt München mehr Gehör finden und aktiv am politischen Leben teilnehmen. Jetzt nach der Demo hat uns erstmals die städtische Fachstelle für Demokratie geschrieben und uns zu einem Gespräch eingeladen.

Angola sehe ich als meine zweite Heimat an, meine Eltern sind von dort während des Bürgerkriegs Mitte der 80er nach Deutschland geflohen. Verschiedene Kulturen sind eine Bereicherung für einen selbst, für München und für Deutschland. Das sehen meine Eltern und meine neun Geschwister genauso. Wir wollen nicht von Rassismus und Rassisten in eine Opferrolle gedrängt werden, da muss man rigoros dagegenhalten. Protokoll: Patrick Guyton

„Mehr als nur ein Instagram-Trend“

Obwohl ich in Hannover wohne, schlägt mein Herz noch in Bremen, dort bin ich aufgewachsen. Nach dem Tod von George Floyd wollte ich unbedingt zur Black-Lives-Matter-Demo nach Bremen fahren, um die Community dort zu unterstützen. Ich habe etliche Leute gefragt, ob wir zusammen hingehen wollen, aber alle haben abgesagt, teilweise mit absurden Begründungen wie: „Ich bin zum Keksebacken verabredet.“ Ich war schockiert und traurig, schließlich sind das meine Freunde. Erst in Bremen fand ich Anschluss an eine Frau, die ich nur flüchtig kannte.

Im Zug dorthin gab es eine komische Situation. Man kann sich ja wegen Corona nicht zu fremden Menschen in einen Vierer setzen. Da saß also ein Mann alleine, eine Familie stieg ein und wollte gern zusammensitzen, aber dann hätte der Mann sich wegsetzen müssen. Er meinte: „Nö, dann muss ich ja rückwärts fahren.“ Da habe ich gedacht, es geht nicht nur um Rassismus, sondern auch generell um Egoismus. Wie kann es sein, dass Menschen so rücksichtslos sind? Diese Gedanken habe ich sofort aufgeschrieben, das war der Beginn meiner Rede.

Porträt Mariam Aboukerim

Mariam Aboukerim, 24 Foto: privat

Auf der Demo in Bremen waren auch meine Geschwister, die sind 17 und 19, es war ihre erste Demo. Meine Schwester hat mir dort erzählt, dass die anderen Schüler*innen in der Schule früher zu ihr sagten, wenn sie lange genug ihre Hände wäscht, würden die weiß werden. Da wurde mir klar, dass ich noch nie mit meinen Geschwistern über Rassismus gesprochen habe. So emotionsgeflutet stand ich auf der Demo und wollte sofort auf die Bühne und alles erzählen, aber ich dachte, das ist zu impulsiv, und habe mich zurückgehalten.

Als ich zu Hause war, habe ich alles noch mal sacken lassen und mich dann bei einer Organisatorin der Black-Lives-Matter-Demo gemeldet, die ein paar Tage später in Hannover stattfinden sollte. Dort habe ich dann auch meine Rede gehalten. Die Organisatorin hatte ich mal bei einem Video-Shooting kennengelernt. Ich tanze HipHop, seit ich sechs bin.

Bei dem Videodreh habe ich auch die Vorsitzende des Jugendverbands der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) kennengelernt und gebe HipHop-Kurse für den Verein. In der Coronazeit mussten die ja ausfallen, da habe ich gemerkt, dass der Verein auch sonst sehr wertvolle Arbeit macht, auch gegen Rassismus. Jetzt engagiere ich mich als Teammitglied. Zwei Tage nach der Demo wurden die Scheiben des Vereinshauses eingeschlagen.

Von der Bundesregierung wünsche ich mir, dass sie mehr Aufklärungsarbeit an Schulen leistet. Wenn man Ausgrenzung erfährt, hat man damit jahrelang zu kämpfen. Als junges Mädchen habe ich krankhaft versucht, so europäisch wie möglich auszusehen und nicht mit Afrolocken in die Schule zu gehen. Erst im Laufe der Zeit lernt man seine individuellen Besonderheiten zu lieben. Da würde ich mir mehr Feinfühligkeit von der Gesellschaft wünschen. Und die Black-Lives-Matter-Bewegung muss ernst genommen werden. Es darf kein Instagram-Trend bleiben. Protokoll: Katharina Schipkowski

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