Campact-Aktivist über Hygienedemos: „Wir predigen das Vorsorgeprinzip“

Campact hat mit der Warnung vor den Coronaprotesten einige Unterstützer*innen verprellt. Vorstand Felix Kolb erklärt, warum das trotzdem richtig war.

Eine Frau mit Gitarre winkt zwischen anderen Menschen.

„Wir kritisieren das Verleugnen der Gefährlichkeit der Pandemie“, sagt Felix Kolb von Campact Foto: Roland Geisheimer/attenzione

taz: Herr Kolb, ist es richtig, wenn Menschen gegen Regierungshandeln protestieren?

Felix Kolb: Grundsätzlich ja. Dass Menschen ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrnehmen, ist ja auch die Mission von Campact.

Aber das gilt nicht für Proteste gegen Coronamaßnahmen?

Doch. Ich finde, dass die Bundesregierung im Großen und Ganzen richtig gehandelt hat – aber diese Meinung muss man nicht teilen und kann dafür auf die Straße gehen. Wir haben ja auch Solidaritätsproteste mit Pflegepersonal organisiert. Aber es ist falsch, mit Leuten zu demonstrieren, die den demokratischen Grundkonsens verletzen.

Viele dieser Proteste werden von Personen und Gruppierungen organisiert, die rechtsextreme oder antisemitische Ansichten vertreten. Und wir kritisieren das Verleugnen der Gefährlichkeit der Pandemie. Leider glauben auch etliche unserer Unterstützer*innen an Verschwörungstheorien und behaupten, Corona sei nicht gefährlicher als eine normale Grippe. Das war der Anlass, vor der Teilnahme an diesen Protesten zu warnen. Als eine Organisation, die ständig Protest organisiert.

Wie haben Ihre Unterstützer*innen auf dieses vor zwei Wochen per Mail an sie verschickte Statement reagiert?

46, ist Campact-Vorstand, Mitgründer von Attac und hat über Auswirkungen sozialer Bewegungen promoviert.

Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mailing solche Emotionen und so viele Reaktionen hervorgerufen hat wie dieses. Viele haben gesagt, dass sie es gut finden, wenn wir, die die Regierungen sonst immer kritisieren, sagen können, „das war jetzt im Kern in Ordnung“. Aber es gab auch sehr viele Zuschriften von Leuten, die uns zum Teil seit Jahren unterstützen, die enttäuscht von uns waren. Viele haben gesagt, sie seien keine Verschwörungstheoretiker, sie hätten das alles nachgelesen – mit dem Verweis auf dubiose einschlägige Webseiten.

Aber der Gipfel war für mich eine immer wieder kehrende Schlussformel, sie könnten sich das nicht anders erklären, als dass ich bedroht oder Campact dafür jetzt Regierungsgelder erwarten würde. Das hat mich schon sehr bestürzt, diese Unfähigkeit, uns eine andere Meinung zuzugestehen, ohne dahinter eine Verschwörung zu wittern.

Können Sie sich das erklären?

Das hat damit zu tun, dass wir Missstände thematisieren, von denen gibt es ja genug, Stichwort Klima- und Sozialpolitik. Damit bieten wir wie die taz eine Heimat für Menschen, die unzufrieden sind. Aber viele haben offenbar eine so negative und vereinfachte Sicht auf die Realität, dass sie die Nuancen nicht sehen können. Da passt es nicht ins Weltbild, dass eine Regierung auch etwas richtig oder nicht komplett falsch machen kann. Wobei es auch Praktiken der Politik gibt, die es leicht machen, an Verschwörungstheorien zu glauben. Zum Beispiel ist die Lobbypolitik auf nationaler und internationaler Ebene viel zu intransparent.

Haben Sie Ihre Unterstützer*innen damit ganz neu kennengelernt?

Nein. Nach dem Aufkommen der AfD haben wir zu unserem Entsetzen festgestellt, dass sich ein kleiner Prozentsatz unserer Unterstützer*innen der AfD nahe fühlt. Das haben wir gemerkt, als wir anfingen, uns kritisch zur AfD zu positionieren. Die Schnittmenge zwischen Campact und der AfD ist die Unzufriedenheit mit der Politik.

Wir haben daraus gelernt, dass wir würdigen müssen, wenn Regierungen und Parteien auf gute Argumente aus der Öffentlichkeit reagieren. Seitdem geben wir systematisch Rückmeldung zu den Wirkungen unserer Proteste. Zum Fracking-Kompromiss haben wir etwa gesagt, es ist nicht, was wir uns gewünscht haben, aber die SPD hat alles rausgeholt. Das hat uns auch schon empörte Zuschriften eingebracht.

Am Wochenende hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow weitreichende Lockerungen angekündigt – und dies mit den ­Protesten begründet. Ist es nicht in Ihrem Sinne, wenn Politik so direkt reagiert?

Nur weil eine Regierung auf Proteste reagiert, heißt das ja nicht, dass das inhaltlich richtig ist. Ich habe 1993 in Bonn gegen die Abschaffung des Asylrechts demonstriert. Damals hatte die Politik auch auf die öffentliche Meinung, auf Brandanschläge und Rassismus reagiert. Zumal diese Corona-Demos gemessen an der Teilnehmerzahl überproportional viel Aufmerksamkeit bekommen. Da wären wir glücklich, wenn wir das mit jeder noch so kleinen Demo erreichen würden.

Was war falsch an Ramelows Vorstoß?

Ich fand zunächst das Vorgehen hochgradig problematisch, weil er isoliert vorgeprescht ist. Vermutlich auch, um sich für die anstehende Landtagswahl zu profilieren.

Da war er ja nun nicht der Erste.

Nein, aber ich war sehr enttäuscht. Und die Message, die er gesendet hat, finde ich verheerend. Er wollte ja erst keinen Mundschutz im ÖPNV mehr vorschreiben und auch bei Abstandsgeboten auf Freiwilligkeit setzen. Dass das nicht funktioniert, haben wir gesehen, als der Mundschutz in Geschäften nur eine Empfehlung war. Da hat so gut wie niemand einen getragen. Das ist vergleichbar mit der Einführung von Sicherheitsgurten. Das war auch umstritten, hat sich aber durchgesetzt. ­Trotzdem sagt jetzt niemand, das ist nicht mehr vorgeschrieben, sondern nur noch ein Gebot. Recht hat ­Ramelow hingegen, wenn er sagt, man brauche nicht mehr Tag und Nacht einen Krisen­stab.

Vielleicht waren auch nicht alle Maßnahmen sinnvoll?

Nach dem, was man zu Beginn wusste, waren Kontaktbeschränkungen und andere Schutzmaßnahmen folgerichtig. Als Campact predigen wir immer das Vorsorgeprinzip, wenn es um Risiken geht. Es war richtig, dieses Prinzip anzuwenden. Diese Konsequenz wünsche ich mir beim Thema Klimaschutz oder bei Risikotechnologien.

Hat die Bundesregierung nichts falsch gemacht?

Einer der großen Fehler war, dass die Debatte über die Frage, wie wir wieder rauskommen aus den Schutzmaßnahmen, versemmelt wurde. Da gab es diese Aussage, „darüber dürfen wir nicht reden“. Politik hat versäumt, ein klares Szenario zu kommunizieren. Die Leute wurden alleine gelassen mit der Frage, wo stehen wir in ein paar Monaten, auf welches Ziel steuern wir zu. Und dass es so lange gedauert hat, Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen: Da muss einiges aufgearbeitet werden. In manchen Punkten hätte man früher reagieren müssen. Da sind noch wochenlang Flugzeuge aus Risikoländern gelandet, ohne dass die Passagiere irgendwo registriert wurden.

Ich meinte so etwas wie überzogene Beschränkungen.

Dass man in manchen Bundesländern nicht alleine auf der Parkbank sitzen durfte, fand ich völlig übertrieben. Und man hätte die ganze Zeit kleine Kundgebungen mit Auflagen erlauben können. Da hätten wir uns als Campact auch zu verhalten müssen. Wir hätten darauf klagen können, dass kleine symbolische Proteste möglich sein müssen. Richtig war dagegen, dass wir Anfang März die Schülerinnen von Fridays for Future dabei unterstützt haben, den geplanten Schulstreik abzusagen. Wenn man jetzt sieht, welche Auswirkungen die Frauentags-Kundgebungen in Spanien auf das Infektionsgeschehen hatten, bin ich froh, dass wir das so gemacht haben und uns nicht jetzt fragen müssen, wie viele Kranke und Tote wir hätten verhindern können.

Sie schreiben in Ihrem Statement, wir könnten stolz sein.

Mir war wichtig, den Fokus darauf zu legen, was gut gelaufen ist in Deutschland. Eine solche Formulierung kommt mir selten über die Lippen, aber in diesem Fall fand ich wirklich, dass man stolz darauf sein kann, Tausende von Menschenleben gerettet zu haben durch eine gute Politik.

Daran schließt sich ein Satz an, unsere Wirtschaft werde nicht so sehr leiden wie die in anderen Ländern – das hat etwas Chauvinistisches.

Nein, finde ich nicht. Mir ging es darum, einen angeblichen Widerspruch aufzulösen. Es wird oft behauptet, die Wirtschaft würde so leiden, weil wir Abstandsregeln einhalten müssen und nicht ins Kino oder Restaurant dürfen. Das ist ein Trugschluss, weil nicht wahrgenommen wurde, was noch die Wirtschaftstätigkeit beeinflusste. Viel relevanter war, dass die Lieferketten der Industrie unterbrochen waren und auch die Nachfrage geringer war. Deshalb hat Schweden genauso ökonomische Probleme – obwohl die Kinos und Restaurants auf waren.

Was, glauben Sie, bleibt Positives aus dieser Zeit?

Ich hoffe, dass Leuten bewusst geworden ist, wie fragil unser Lebensstil ist – dass wir in einem Kartenhaus leben, das jetzt ein Virus zum Einsturz gebracht hat. Das ist aber durch andere Ereignisse genau so möglich, wie die Klimakrise. Wir wären extrem gut beraten, unsere Ökonomien und Gesellschaften massiv zu verändern, um von einem Kartenhaus zu einem stabilen Gebäude zu kommen. Ich hoffe, dass dieses Erleben hängen bleibt, wie schnell sich Dinge verändern können, die als sicher galten. Wenn wir jetzt wieder auf einen neuen Hitzesommer zusteuern, hoffe ich, dass der öffentliche Rückhalt für einen Umbau nicht durch die kommende ökonomische Krise ab-, sondern zunehmen wird.

Woraus schöpfen Sie die Hoffnung?

Vielleicht ist es ein bisschen zu früh, diesen Prozess schon beobachten zu können. Und Abwrackprämie und Lufthansa-Rettung geben eher keinen Anlass zur Hoffnung. Zentral wird sein, welche Themen die nächste Bundestagswahl dominieren und wie die Parteien abschneiden werden. Solange die Union auf diesem Corona-Höhenflug bleibt, ist ihre Bereitschaft, ökologischen Wahrheiten ins Gesicht zu sehen, geringer, als wenn sie in Umfragen wieder Prozente an die Grünen abgeben muss.

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