Aktivist über Proteste gegen Rassismus: „Es hat einen Funken gegeben“

Tausende protestieren gegen Polizeigewalt und Rassismus. Biplab Basu von der Beratungsstelle ReachOut ist zuversichtlich, dass daraus eine neue Bewegung entsteht.

Eine große Demonstration von oben aus einem Fenster fotografiert, im Vordergrund ein anderer Fotograf.

Allein in Berlin demonstrierten am 6. Juni Zehntausende gegen rassistische Polizeigewalt Foto: Christian Ditsch

taz: Herr Basu, am Wochenende haben in Deutschland weit über 100.000 gegen rassistische Polizeigewalt demonstriert. Hatten Sie das erwartet?

Biplab Basu: Nein. Ich hatte nicht mit mehr als 1.000 bis 2.000 Menschen pro Demonstration gerechnet.

Selbst die Veranstalter*innen hatten viel weniger Teilnehmende erwartet. Was ist passiert?

Es erstaunt mich auch. Der Tod von George Floyd war ja nicht der erste solche Fall in den USA. Der Satz „I can’t breathe“ wurde schon 2014 durch den Tod von Eric Garner geprägt. Auch in Deutschland kennen wir zahlreiche Fälle. Aber Social Media trägt zu einer Verbreitung bei, wie wir sie in der Vergangenheit nie erreicht haben. Und wir haben es mit einer Generation zu tun, die nicht mehr daran glaubt, dass es von alleine besser wird.

Ihr Bündnis „Death in Custody“ zählt in Deutschland 159 Fälle von Tod in Gewahrsam seit 1990, darunter Oury Jalloh oder Hussam Fadl, der 2016 in einer Geflüchtetenunterkunft von Polizisten erschossen wurde. Wo waren damals die Großdemonstrationen?

arbeitet bei der Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt „ReachOut“ in Berlin. 2002 gründete der 68-Jährige die „Kampagne gegen rassistische Polizeigewalt“ (KOP) und 2019 das Bündnis „Death in Custody“. (taz)

Eine Bewegung aufzubauen braucht Zeit. In den USA gehen heute Hunderttausende für George Floyd auf die Straße. Aber Schwarze Bürgerrechtler haben Jahrzehnte gebraucht, um das Civil Rights Movement aufzubauen. Diese Proteste heute bauen auf unserer Arbeit auf. Ich habe auf der Demo in Berlin jemanden mit einem Schild „Gerechtigkeit für Hussam Fadl“ gesehen. Das hat mich sehr gefreut.

Die Demos wurden nicht von den üblichen Initiativen angemeldet, und unter den Teilnehmenden waren viele, die wohl zum ersten Mal auf der Straße waren. Sehen wir gerade eine neue Politisierung?

Ja. Und das ist die junge Generation, die ich schon angesprochen habe. Viele von uns Älteren haben sich nie gegen Rassismus gewehrt. Sie haben versucht, brav zu leben, und dachten, ihre Kinder hätten es dann besser. Die würden dann Erfolg und gleiche Chancen im Leben haben. Und diese Kinder merken jetzt: Das stimmt gar nicht. Rassismus zieht sich so stark durch alle ihre Lebensbereiche; sie wissen, dass abwarten nicht reicht.

Hat die aktuelle Empörung auch damit zu tun, dass der Anlass in den USA liegt – weit weg?

Nein, das glaube ich nicht. Junge People of Color und Schwarze Deutsche haben gesehen, was in den USA passiert ist – und es hat sofort hier einen Funken gegeben. Es hat sie sofort daran erinnert, wie ihr Leben hier aussieht, das Leben ihrer Eltern, ihrer Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins. Ihrer Freunde. Wie ihnen hier von Polizisten ohne Achtung und Respekt begegnet wird. Und sie sind auf die Straße gegangen. Das ist übrigens ein großer Unterschied etwa zu den Demonstrationen für Geflüchtete.

Inwiefern?

Diese jungen Menschen gehen für sich selbst auf die Straße. Für ihre Community. Natürlich ist es wichtig, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft mitzieht, dass wir so viele Menschen wie möglich auf unserer Seite haben. Aber wir haben es hier mit einer enorm empowerten Generation Schwarzer Menschen und People of Color zu tun, die ihr Leben und ihren Protest in die eigenen Hände nimmt. Das ist wichtig.

Wird aus dieser Energie eine neue Bewegung entstehen?

Dafür zu sorgen ist jetzt die große Aufgabe. Wenn wir es nicht schaffen, diese Menschen jetzt aufzufangen, zu unterstützen und zu motivieren, wird der Effekt, fürchte ich, bald verpuffen. Ich habe aber Hoffnung. Allein Montagvormittag haben mich sechs Menschen angerufen, die von Vorfällen berichten und wissen wollten, was sie tun können. Die Leute müssen ja nicht bei uns Mitglied werden. Aber sie müssen weiterprotestieren, und zwar nicht nur am Alexanderplatz in Berlin, sondern immer, in ihrem Alltag. Wenn wir das schaffen – dann kann man wirklich sagen, dass eine Welle der Veränderung losgebrochen ist.

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