Genderexpertin über „Männerwelten“: „Das ist nicht die Welt des Mannes“

Das Duo Joko und Klaas hat vieles richtig gemacht. Nun befassen sich mehr Menschen mit dem Thema Gewalt an Frauen, sagt die Politologin Regina Frey.

zwei Frauen stehen vor Bildern

Standbild aus der digitalen Ausstellung „Männerwelten“ mit Palina Rojinski und Sophie Passmann Foto: dpa

taz: Frau Frey, das Moderatoren-Duo Joko & Klaas hat mit der virtuellen Ausstellung „Männerwelten“ über Gewalt an Frauen viel Aufsehen erregt. Wundert Sie das angesichts der Tatsache, dass Gewalt an Frauen schon länger auch ein öffentliches Thema ist?

Regina Frey: Mich wundert die enorme Reichweite des Videos, über 3 Millionen Klicks erreichen nicht viele Arbeiten zu einem so unbequemen Thema. Andererseits bin ich nicht wirklich erstaunt darüber.

Warum?

Im Clip ist das Thema recht skandalisierend aufbereitet – zu Recht, weil Gewalt an Frauen ein Skandal ist. Diese Skandalisierung im Video führt dazu, dass sich mit dem Thema jetzt auch Menschen befassen, die bisher nicht wirklich darüber nachgedacht haben.

Dann haben Joko & Klaas alles richtig gemacht?

Was die Reichweite angeht – ja. Die Niedrigschwelligkeit des Abrufs, die Drastik der Darstellung tragen dazu bei, dass Gewalt an Frauen jetzt verstärkt außerhalb der feministischen Bubble debattiert wird, das ist erst einmal positiv.

Wie finden Sie den Titel „Männerwelten“?

Gut. Obwohl er eine Vereinfachung darstellt.

Regina Frey, 54, ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Gleichstellungsexpertin.

Nicht wenige Männer fühlen sich durch den Titel pauschal als Täter verurteilt.

Das kann ich nicht teilen. Der Titel heißt ja „Männerwelten“ und nicht „die Welt des Mannes“. Der Titel ist vereinfachend, ja, aber der doppelte Plural in „Männerwelten“ besagt nicht: DER Mann an sich ist so oder so. Er verdeutlicht eher: Es geht um bestimmte Männer, um diejenigen, die Gewalt ausüben, die meinen, sie hätten das Recht, Frauen zu erniedrigen.

Ist es also übertrieben, wenn sich profeministische Männer mit „Männerwelten“ diskreditiert fühlen?

Natürlich ist es berechtigt, dass profeministische Männer auf diese Vereinfachung reagieren. Diejenigen, die sich seit Jahren reflektieren und gegen Sexismus wenden, wollen einen differenzierten Blick auf das Thema. Aber angestoßen durch den Clip, verschaffen auch sie sich Gehör, ihre wichtigen Positionen werden bekannter. Die gewählte Form setzt nun mal auf Zuspitzung und Vereinfachung, wodurch nicht jeder kritische Blick auf Gewalt aufgegriffen werden kann. Dafür bräuchte man ein anderes Sendeformat.

Ebenso wurde kritisiert, dass der Clip Transgenderpersonen, Women of Color und behinderte Frauen ausklammert. Ist der Vorwurf berechtigt?

Diese Kritik teile ich, in dem Clip kommen vor allem prominente, weiße Frauen vor. Joko & Klaas hätten die Gesellschaft realistischer abbilden können, also so divers, wie sie nun mal ist. Aber eine andere Frage ist doch: Welche Kritik kann man an welche Formate herantragen? Und das gewählte Format verträgt sich schlecht mit einen elaborierten Diskurs über soziale Differenzierung und Intersektionalität.

Sie arbeiten gerade an einer Studie zu digitaler Gewalt. Digitale Gewalt nimmt in „Männerwelten“ einen breiten Raum ein. So erzählt die TV-Moderatorin Palina Rojinski von Dickpics, die sie ungefragt geschickt bekommt. Wie verbreitet ist sowas?

Die genauen Ausmaße und die Mittel digitaler Gewalt sind nicht bekannt, es gibt bislang keine ausreichende quantitative Forschung dazu. Auch meine Studie wird das kaum leisten können, das ist keine breit angelegt empirische Untersuchung. Literatur und Expert*innen gehen aber klar in die Richtung: Wir brauchen dringend aktuelle Zahlen und Befunde aus repräsentativen Dunkelfeldstudien.

Es gibt doch aber Studien zu Gewalt, die auch digitale Gewalt untersucht haben.

Die letzte repräsentative Prävalenzstudie zu Gewalt gegen Frauen ist über 15 Jahre alt. Eine europäisch vergleichende Studie der Grundrechteagentur FRA behandelt digitale Formen geschlechtsbezogener Gewalt nur am Rande. Andere Studien haben allgemein Hass im Netz zwar untersucht, methodisch finde ich das in Bezug auf Geschlecht aber wenig überzeugend.

Was ist mit den Befragungen der Beratungsstellen zu Gewalt?

Das sind keine Erhebungen, die eindeutige Aussagen treffen können über das Ausmaß an digitaler Gewalt. Die Befragungen geben aber durchaus wichtige Hinweise auf die verschiedenen Formen der Gewalt und zu Schritten, die unternommen werden könnten, um dem Einhalt zu gebieten.

Aber wie digitale Gewalt aussieht, ist doch bekannt.

Das ja, es reicht von Beleidigung und Schmähung zu Identitätsklau, Verbreitung von Bildmaterial gegen den Willen der Betroffenen, Stalking mithilfe von Tracking-Apps, Verfolgen per E-Mail und SMS, das Veröffentlichen der Privatadresse, solche Übergriffe. Gewalt an Frauen im sozialen Nahfeld wird durch die Digitalisierung dynamisiert, weil Täter durch technische Hilfsmittel mehr Möglichkeiten haben. Aber wie groß das Ausmaß genau ist, muss eine Studie herausfinden. Die Untersuchung soll auch erkunden, ob prominente Frauen und Feministinnen stärker von digitaler Gewalt betroffen sind als Frauen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen keine Beratungsstelle aufsuchen und man deshalb von der Gewalt gegen sie erst gar nichts erfährt.

Sind Mechanismen digitaler Gewalt bekannt?

In den unterschiedlichen Sphären läuft das verschieden ab: Ein Shitstorm gegen eine öffentliche Person kann nicht verglichen werden mit Stalking in einer Trennungssituation. Bei einem Shitstorm läuft es in der Regel so: Eine Bloggerin oder eine Feministin äußert etwas in den sozialen Netzwerken. Wenn zum Beispiel ein Autor mit vielen Follower*innen darauf reagiert, ist schnell seine digitale Gefolgschaft da und stürzt sich dann auf die Frau – teilweise mit extrem sexistischen Kommentaren..

Was steckt dahinter?

Da geht es natürlich um Aufmerksamkeit von antifeministisch eingestellten Personen, das können auch Frauen sein. Bestimmte Medien betreiben damit platten Aufreger-Journalismus. Sie geben solchen giftenden Bloggern ein Forum, um viele Klicks zu generieren. Bei der Welt läuft das offensichtlich so. Die Stänkerei und der Hass, der daraus folgt, werden einfach in Kauf genommen.

Wer macht so was?

Wir wissen zu wenig über diejenigen, die Hass und Gewalt ausüben, wir wissen auch zu wenig über ihre Motive. Eine These wäre: Anhänger dieser digitalen Gefolgschaft merken, dass sie mit ihrer überkommenen Vorstellung von Männlichkeit nicht mehr punkten und reagieren sich digital ab – gerne auch anonym. Aber auch darüber sollte eine Studie mehr herausfinden.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast wurde mit „Drecksfotze“ beschimpft. Es hat lange gedauert, bis ein Gericht das als strafbar eingestuft hat. Ist die Sensibilität der Justiz gegenüber digitaler Gewalt unzureichend ausgeprägt?

Die Sensibilität im Netz ist größer geworden, es gibt inzwischen auch gute Beratungsangebote, Initiativen und Hilfsprojekte. Die Institutionen der Rechtsdurchsetzung hinken aber den aktuellen Entwicklungen hinterher. Die Strafverfolgungsbehörden stoßen an Grenzen sowohl personell als auch technisch, weiterhin berichten Frauen, dass sie auflaufen, wenn sie die Gewalt aus dem digitalen Raum anzeigen wollen – absurderweise wird diese Form der Gewalt oft als nicht „real“ eingeschätzt.

Die Behörden klagen zudem über zu wenig Personal.

Das kommt dazu. Auch nicht jede Frau geht zur Polizei und zeigt einen sexuellen Übergriff an. Täte das jedes Opfer, könnte sich die Polizei wohl auf eine wahre Anzeigenflut einstellen. Denn was wir durchaus wissen: Das, was wir wahrnehmen, ist nur die Spitze des Eisberges, das Dunkelfeld ist um einiges größer.

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