Vorwürfe gegen Bremer Pflegeheime: Heime als Corona-Profiteure

Leiharbeitsfirmen für Pflegekräfte schwinden die Aufträge. Ihr Vorwurf: Einrichtungen unterschreiten die wegen Corona ausgesetzten Quoten.

Die Corona-Pandemie ist für die ohnehin überlasteten Pflegekräfte eine riesige Herausforderung Foto: Peter Steffen/dpa

BREMEN taz | Die Corona-Krise ist vor allem für den Pflegebranche eine zusätzliche Herausforderung. Um den ohnehin von Personalnot geplagten Betrieb von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auch in diesen Zeiten gewährleisten zu können, hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im März bundesweit die Personaluntergrenzen und Fachkraftquoten ausgesetzt. Betreiber von Altenpflegeheimen nutzen das schamlos aus, um Kosten zu sparen – das behaupten zumindest Bremer Personaldienstleister.

Die verschärften Hygienemaßnahmen, die die HochrisikopatientInnen vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen sollen, eine ausgedünnte Personaldecke aufgrund erkrankter oder ebenfalls gefährdeter MitarbeiterInnen und das Fehlen helfender Angehöriger durch die Kontaktsperre bedeuten viel zusätzliche Arbeit für Pflegeeinrichtungen. Die könnte aufgefangen werden durch PflegerInnen, die bei Leiharbeitsfirmen angestellt sind. Aber: Offenbar werden die zur Zeit weniger denn je in Anspruch genommen.

Mehrere Personaldienstleister bestätigen, dass die Auftragslage vor allem bei Altenpflegekräften extrem zurückgegangen ist. Gerold Fischer (Name geändert) musste wegen der Corona-Krise sogar Kurzarbeit anmelden: „Im April waren 80 Prozent meiner Angestellten auf Kurzarbeit“, sagt er. Weil die Krankenhäuser mittlerweile wieder im Regelbetrieb arbeiten, seien es nun nicht mehr ganz so viele, „aber vor allem die Lage in den stationären Pflegeeinrichtungen ist katastrophal – dort werden wir gerade noch zu zehn Prozent gebucht.“

Die Einrichtungen begründen das mit Sorge vor der Einschleppung des Corona-Virus durch externe Pflegehilfskräfte. Nachvollziehbar, sagt auch Fischer, aber: Neulich habe mit genau dieser Begründung ein Altenheim den Einsatz einer bereits gebuchten Fachkraft wieder abgesagt, „und nur wenige Tage später erfuhr ich, dass die Einrichtung statt dessen von einer anderen Leiharbeitsfirma eine Hilfskraft gebucht hatte.“

Hintergrund, sagt er, sei auch hier zwar die Corona-Krise – allerdings nicht die Angst vor dem Virus, sondern die Chance der Heimbetreiber, Geld zu sparen. Denn die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums von März bedeutet für sie: Sie dürfen seither auch dann ihren Betrieb aufrechterhalten, wenn weniger Fachkräfte als vorgesehen zur Arbeit kommen können. Auch die landesspezifischen Regelungen zur Fachkraftquote sind seither „flexibilisiert“ – und die Vergütung der Heime wird trotzdem nicht gekürzt.

Keine Kontrollen mehr

„Verheerend“ findet Fischer das, denn das betreffe vor allem Pflegeheime, die aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen auch schon vor Corona zu wenig fest angestellte MitarbeiterInnen hatten: „Da laufen jetzt fast nur noch Helfer rum.“ Und: Sie werden kaum kontrolliert, denn die eigentlich vorgeschriebenen regelhaften Kontrollen durch den „Pflege TÜV“ und durch die bei der Sozialsenatorin angesiedelte Wohn- und Betreuungsaufsicht sind ebenfalls ausgesetzt.

„Kontrolliert wird nur noch, wenn tatsächlich Corona in einer Einrichtung ausgebrochen ist oder wenn es konkrete Beschwerden gegenüber der Behörde gibt“, sagt Fischer. Die kämen allerdings oft von Angehörigen – und die durften zwei Monate lang gar nicht und seit Kurzem nur unter extremen Einschränkungen in die Einrichtungen.

Auf Anfrage heißt es dazu aus der Sozialbehörde, Einrichtungen dürften nur dann von der Quote abweichen, „wenn die Fachkraftquote und der Präsenzschlüssel durch vermehrte Erkrankungen des Personals beziehungsweise eine Reduzierung des Personals durch angeordnete Quarantänemaßnahmen nicht eingehalten werden können und das auch nicht ausgeglichen werden kann durch Leiharbeitskräfte, Personal aus einer anderen Einrichtung desselben Trägers oder Personal aus anderen Einrichtungen.“

Eine seiner Angestellten sei kürzlich nachts in einem Altenheim für 55 BewohnerInnen ganz alleine zuständig gewesen, berichtet ein Personaldienstleister

Das Abweichen von der Quote, so ein Sprecher der Behörde, müsse der Wohn- und Betreuungsaufsicht gemeldet werden: „Diese setzt dann die Personalanforderungen aus und verhängt einen sofortigen Aufnahmestopp.“ Werde die Abweichung nicht gemeldet, handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die auch im Nachhinein noch geahndet werden könne. Bislang sei eine Abweichung von der Quote in Bremen noch nicht genehmigt worden – allerdings sei sie auch noch kein einziges Mal bei der Behörde beantragt worden.

Dass sie also nicht „einfach so“ ihr Personal kürzen dürfen, ficht manche Einrichtungen offenbar nicht an, das bestätigt auch ein anderer Personaldienstleister, der ebenfalls nicht genannt werden möchte – schließlich handelt es sich bei den Pflegeheimen um seine Auftraggeber. „Die Einrichtungen nutzen den runtergefahrenen Schlüssel aus, um richtig Kohle zu sparen“, sagt er. Eine seiner Angestellten sei kürzlich nachts in einem Altenheim für 55 BewohnerInnen ganz alleine zuständig gewesen. Der gesetzlich vorgeschriebene Personalschlüssel liegt in Bremen bei einer Pflegefachkraft für höchstens 40 BewohnerInnen während der Nachtschicht.

Urlaubssperre bei Festangestellten

Er selbst, sagt er, musste noch keine Kurzarbeit anmelden, „Aber die Aufträge sind weggebrochen und wir haben Einstellungsstopp.“ Anderen Personaldienstleistern gehe es ähnlich, „da haben sogar schon welche bei mir angerufen und gefragt, ob ich nicht vielleicht Aufträge für sie hätte.“

Er berichtet von den fest in den Einrichtungen angestellten Pflegekräften: „Die machen Überstunden ohne Ende und haben Urlaubssperre. Viele sagen: wir können nicht mehr.“ Kontrollierbar seien die massiven Personaleinsparungen kaum: „Da müsste man ja in jedes einzelne Haus gehen und prüfen, ob da genügend Leute arbeiten – das geht nicht.“

Ein Ende der Ausnahmeregelung ist nicht terminiert und vorläufig auch nicht in Sicht, aber die Sozialbehörde will die Hinweise zum Anlass nehmen, „in dem wöchentlichen Gespräch mit den Trägern und den Kassen explizit auf die einschlägigen Anweisungen hinzuweisen.“

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