EU-Verbot der Mentholzigarette: Alles spricht gegen Menthol

Ab Mittwoch ist die Mentholzigarette in der EU verboten. Wir verabschieden uns schon einmal von der Sorte in der grünen Schachtel.

Mann holt eine Zigarette aus der Schachtel

Newport ist die meistverkaufte Marke von Mentholzigaretten weltweit Foto: Cindy Yamanaka/imago

Viel Gutes ist über das Rauchen zu sagen, vor allem wenn man denken muss. Der niederländische Arzt Beintema von Palma schrieb schon vor 300 Jahren: „Einer, der studiert, muss notwendig viel Tabak rauchen, damit die Geister nicht verloren gehen und er wohl überlegen und beurteilen kann.“ Insbesondere die Zigarette verdient Lob, die eine proletarische Erfindung ist. Spanische Tabakarbeiterinnen kamen auf die Idee, Reste in Papier zu wickeln und anzuzünden. Eine große, entschieden zu wenig gewürdigte Tat.

Nichts Gutes ist hingegen über die Mentholzigarette zu sagen. Lassen wir beiseite, dass Konzerne in den USA in den 50ern gratis Mentholzigarretten an schwarze Kinder verteilen ließen, um die Schwarzen als Konsumenten für diese merkwürdige, zweitklassige Form des Rauchens zu gewinnen. Ähnlich Abgründiges gab es auch im Zigarettenbusiness.

Gegen die Mentholzigarette aber spricht alles: Sie ist nicht ehrlich. Das anscheinend frische, arg künstlich wirkende Menthol übertüncht den wunderbaren Geschmack des Tabaks. Das ist schändlich. Warum raucht man, wenn man gerade das Herrliche, den Geruch von Tabak, zum Verschwinden bringen will? Mir scheint das so verlockend, wie Marihuana mit Himbeergeschmack zu rauchen.

Von Helmut Schmidt, dem bekannten Menthol-Paffer, gibt es die Legende, dass er sich mit 200 Stangen eindeckte, als die EU das Verbot plante. Es hätte bis zu seinem 100. Geburtstag gereicht. Man musste kein Schmidt-Anhänger sein, um das irgendwie rührend zu finden.

Ab dem 20. Mai 2020 ist der Verkauf von Rauchtabakprodukten mit Menthol in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verboten. Die Regelung ist Teil der EU-Tabakrichtlinie, die bereits 2014 verabschiedet wurde und 2016 in Kraft getreten ist.

Da Mentholzigaretten einen EU-weiten Marktanteil von über drei Prozent haben, galt für sie eine Übergangsfrist von vier Jahren, um dem Handel genug Zeit zu geben, restliche Bestände zu verkaufen und damit Verbraucher*innen sich umgewöhnen konnten.

Das Verbot betrifft alle Tabakerzeugnisse, die nach Ansicht der EU mit einem „charakteristischem Aroma“ den Einstieg erleichtern würden. Das betrifft sowohl Zigaretten als auch Tabak zum selber Drehen und Tabakerhitzer. E-Zigaretten mit Menthol-Liquid sind weiterhin erlaubt.

Einige Tabakkonzerne haben die Übergangszeit innovativ genutzt, um Ersatzprodukte zu entwickeln: Aromakarten, die in Zigarettenpackungen gesteckt werden können, und Eindrehfilter.

Nun wird sie verboten, weil sie besonders gefährlich für Konsument:innen sein soll, die offenbar zu doof sind, das selbst zu verstehen. Das hat die Mentholzigarette, verachtenswert wie sie ist, auch nicht verdient. Ich bin ein Anhänger der Europäischen Union, die es jederzeit gegen tumbe Nationalisten zu verteidigen gilt. Aber das geht zu weit. Was kommt als Nächstes? Piña Colada verbieten, weil man den Alkohol nicht schmeckt? Stefan Reinecke

Wie Wiener Schnitzel aus Algenbrei

Niemand, der bei Trost ist, raucht Mentholzigaretten. Und trotzdem ist es selbstverständlich ein weiterer Schritt in Richtung Protestantismusfaschismus, ihr das Existenzrecht abzustreiten. Denn: Demokratie beginnt im Aschenbecher.

Selbst wer sich mit Schwarzer Krauser oder Roth-Händle ohne Filter seine Zähne ruiniert, seine Lunge perforiert und nach dem Aufhören mit heftigen körperlichen Kompensationsforderungen zu tun hatte, steht heute, in diesen schwierigen Zeiten hinter den Mentholern. Für das Recht auf Rauchfreiheit! Und das, obwohl Ottonormalraucher die Mentholer schon immer für eine nicht ernst zu nehmende Spezies hielten. Eine starke Raucherin fasst die Menthol noch nicht mal dann an, wenn die Schachtel alle ist und schon die Reste aus dem Aschenbecher oder dem Teebeutel eng werden.

Die Mentholzigarette ist wie Apfelmus aus Meerrettich oder Wiener Schnitzel aus Algenbrei. Streng genommen dürfte sie im Zigaret-tenregal gar nicht unter „Zigaretten“ einsortiert werden. Menthol rauchen höchstens Snobs. Wegen der weißen Stummel. Weil einem der Snob schon im Aschenbecher sein Anderssein, Schönersein, Coolersein zeigen will.

Aber der Dandy hat ja recht: Im Aschenbecher sind wir alle gleich. Nur manche sind eben gleicher. Auch noch da, wo alle bloß ihre Kip-pen ausdrücken, eine Haltung von „I am different“ reinzudrücken, das muss weiter möglich sein. Die Mentholer sind eine kriminali-sierte Minderheit. Gerade im Zeitalter der Achtsamkeit und Empfindlichkeit ist es das Gebot der Stunde, an ihrer Seite zu stehen. Jene Bürger, die sich derzeit Pappschilder malen, auf denen sie Maulkorb statt Meinungsfreiheit konstatieren, wären gut beraten, auch die Mentholer mit ins Boot zu holen. Wehret den Anfängen: Vom Mentholverbot zum Marlboroverbot ist es nur ein kleiner Schritt. Doris Akrap

Black lungs, white cigarettes

Gegen eine Mentholzigarette an einem südlichen Strand geraucht, wo man in den geminzten Mund hinein kleine Schlucke eiskalten Peronibiers fließen lässt – dagegen ist überhaupt nichts zu sagen.

Im Gegenteil: Diese beiden gern als Ersatzprodukte für „richtiges“ Bier und „richtige“ Zigaretten geschmähten Genussmittel gehen mit Sonne und Salzbrise eine vollendete Kombination ein – die man sich wie alle Genüsse natürlich auch sparen kann und tatsächlich sparen sollte; und die wie alle Genüsse ihre Wirkung nicht durch sich selbst entfalten, sondern durch den Mythos, der ihnen anhängt beziehungsweise kommerziell oder kreativ angehängt worden ist.

Spanische Tabakarbeiterinnen kamen auf die Idee, Reste in Papier zu wickeln und anzuzünden

Mein Menthol-Mythos ist der von Sergeant Hoke Moseley, Kri-minaler bei der Mordkommission im Miami Police Department: „Kann ich ein bisschen Kleingeld für Zigaretten haben“, fragt ihn – wir sind in den mittleren 1980er Jahren – seine Teenie-Tochter Sue Ellen. “‚Nein.‘ Hoke nahm zwei Kool aus seiner Schachtel und reichte sie ihr. ‚Teil sie dir ein. Wenn du dir das Rauchen mit dem Taschengeld, das ich dir gegeben habe, nicht leisten kannst, dann solltest du damit aufhören, bis ich einen Job für dich gefunden habe.‘ Sue Ellen schob die Unterlippe vor. ‚Ich mag keine Mentholzigaretten.‘ Hoke schnappte sich die beiden Kool und schob sie in seine Schachtel zurück.“

That’s the spirit, ihr Mentholverächter – dann eben nicht! Beziehungsweise: Das war der Spirit. Beziehungsweise: Das war’s. Jene Zeiten, in denen Romangeschöpfe noch über ihre Zigaret-tenmarken charakterisiert werden konnten und die Kritik sich die Mühe machte, aufzuzählen, wer HB, Benson & Hedges oder eben Kool quarzte – sie sind dahin wie Rauch im Wind: Wer heute noch in einem Roman als Raucher dargestellt wird, hat ein Problem, Punkt. Flasche leer, Aschenbecher voll.

Die Mentholzigarette und die Kritik an ihr ist nicht zuletzt deswegen interessant, weil sie das Genussgift von Minderheiten ist. Die Dokumentation „Black Lives / Black Lungs“ erforscht die Marketingstrategien der US-Tabakindustrie, die dazu führten, dass heute fast 90 Prozent aller afroamerikanischen Raucher:innen zu Menthol greifen und 47.000 von ihnen Jahr für Jahr am Rauchen sterben. Würden Mentholzigaretten auch in den USA verboten, entstünde ein Schwarzmarkt mit entsprechenden polizeilichen Unterdrückungsmaßnahmen, unter denen vor allem Schwarze US-Amerikaner:innen zu leiden hätten, befürchten Bürger-rechtsverbände. Hoke Moseley würde sich an solchen Ma-chenschaften jedenfalls schon mal nicht beteiligen. Ambros Waibel

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.