Kontaktloser Besuch im Pflegeheim: Zumindest besser als Telefonieren

Wegen der Coronapandemie waren Besuche in Pflegeheimen verboten – bis jetzt. Unser Autor berichtet von der Zeit bei seiner Mutter.

Ein Mundschutz liegt auf einem Tisch in einem Pflegeheim

Trotz Plexiglasscheibe: Ein dreilagiger Mundschutz ist beim Besuch im Pflegeheim Pflicht Foto: Frank Molter/dpa

BERLIN taz | Fortschreitende Demenz hat auch Vorteile. So merkt meine 80-jährige Mutter erst nach 25 Minuten, dass wir durch eine Plexiglasscheibe getrennt sind. Plötzlich hat sie sich über die Spiegelungen gewundert. Es ist unser erstes Treffen von Angesicht zu Angesicht seit Ende Februar. Kurz nach dem letzten Mal kam sie nach einem Sturz, ihrem dritten innerhalb eines Vierteljahrs, in ein Krankenhaus. Dort durfte ich sie schon wegen „der Corona“, wie meine Mutter zu sagen pflegt, nicht besuchen. Seit Ende März lebt sie in einem Pflegeheim, das sie zum Glück noch aufnahm, aber schon damals keine Besucher mehr zuließ.

Seit Dienstag sind dort erstmals wieder Besuche unter strengen Auflagen möglich. Im Eingangsbereich wurde ein provisorisches Besucherzimmer mit Tisch und darauf einer Trennscheibe eingerichtet. Die Auflagen: Registrierung samt Kontaktdaten, kein Körperkontakt, Pflicht des Besuchers zum Tragen von dreilagiger Maske und Einmalhandschuhen, Desinfektion der Handschuhe, maximale Besuchszeit 30 Minuten, danach Desinfektion von Trennscheibe und Tisch, nur ein Besuch pro Bewohner die Woche und nur wochentags, täglich nur acht Besuchsslots insgesamt.

Immerhin bekomme ich einen Slot schon am zweiten Tag – direkt nach der Mittagspause. Ich bin etwas früher da und so dürfen wir uns fünf Minuten länger sehen. Meine Mutter erkennt mich trotz Maske, wundert sich aber die ganze Zeit über die Hygienemaßnahmen. Die kann sie nur mit Mühe erfassen wie die gesamte Pandemie.

Plötzlich tritt der Pfleger, der meine Mutter geholt und mich eingewiesen hatte, wieder auf mich zu. Meine selbst genähte Maske sei nicht wie vorgeschrieben dreilagig. Dem Pfleger ist der pingelige Hinweis etwas peinlich. Er verweist auf die behördlichen Vorgaben. Freundlicherweise besorgt er mir eine Einwegmaske aus den Vorräten des Personals. Das ist mir dann peinlich. Schließlich kenne ich die Berichte, wie schwer es ist, genug Nachschub für das Personal zu bekommen.

Dann weist uns der Pfleger darauf hin, dass unsere Zeit abgelaufen ist. Er fragt mich nach meinem Eindruck: „Humaner als ein Knastbesuch“, sage ich. Ich erinnere mich an Besuche inhaftierter Freunde mit Trennscheiben aus dickem Glas, eine Verständigung war nur mit Mikrofonen möglich. Mir fällt auch wieder ein, wie ich Anfang der 80er Jahre in einem Berliner Krankenhaus mit einer Hepatitis in Quarantäne war. Mein Zimmer lag im 1. Stock, Besucher standen auf der Straße. Ich musste das Fenster aufschrauben, damit wir uns wenigstens zurufen konnten.

Das Heim hat den Besuchsraum mit Blumen freundlich geschmückt. Weil der auch der Eingangsbereich ist, befanden wir uns trotzdem wie auf einem Präsentierteller. Aber zumindest war es besser als Telefonieren, weil wir uns immerhin mal wieder sehen konnten. Da meine Mutter und ich uns noch hauptsächlich über Worte verständigen und auch bisher wenig Körperkontakt pflegten, war es okay. Doch sollten Gespräche bei fortschreitender Demenz kaum noch Sinn machen, könnte das Verbot körperlicher Nähe unerträglich sein.

Nach dem Besuch greift der Pfleger zum Desinfektionsmittel und wischt den Tisch und die Scheibe damit ab. „Das Plexiglas dürfte davon bald stumpf werden,“ sagt er. Dann wird meine Mutter früher merken, dass irgendwas zwischen uns nicht stimmt.

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