Die Wahrheit: Der fahrige Feuerfatzke

Eine Geißel der Welt ist fahrendes Volk. Die niedersten Künste bedienen auf Jahrmärkten und Rummelplätzen die niedersten Bedürfnisse.

Die Welt braucht keine Jongleure“, hat der Liedermacher Sebastian Krämer gesungen und singt es bisweilen heute noch, ist es doch das große Glück und die stete Pein des Liedermachers, die geschriebenen Gassenhauer trällern zu müssen, bis man vom Hinschied erlöst wird.

Wie recht Krämer mit seiner die Jongleure betreffenden These hatte, wurde mir bei einem Stadtfest bewusst, wo ich im Kreis einiger Freunde stand, Bier trank und, wie es sich für ein Stadtfest gehört, auch schon leicht einen zwischen den Balken hatte. Das alles lange vor Corona.

Da tippte mir plötzlich ein Mittdreißiger mit kauziger Physiognomie auf die Schulter, verschaffte sich Zugang zu unserem Trinkergrüppchen und warb großäugig um Aufmerksamkeit: „Na, Leute? Habt ihr Lust auf eine Feuershow? Dahinten im Zelt! Gleich geht’s los!“

Zumindest nach meinem Dafürhalten sprach praktisch alles dagegen, bildete man Trinkergrüppchen doch einzig und allein um des Trinkens willen. Wer zusätzlich noch etwas anderes unternehmen wollte, etwa eine Partie Darts spielen oder eben einer Hobby-Varieté-Show beiwohnen, der war freundlich dazu eingeladen, dies mit Personen außerhalb des Trinkergrüppchens zu tun oder sich einen komplett anderen Freundeskreis zusammenzustellen.

Manche geben auch 20

Leider überzeugte meine leidenschaftlich lallend zum Vortrage gebrachte Sicht auf Sinn und Zweck unseres Trinkergrüppchens die übrigen nur wenig, weshalb man kein weiteres Kaltgetränk wegschnäbelte, sondern sich in dieses gottverdammte Zelt begab. Zu meinem Ärger sogar in die erste Reihe.

Der Kauz hatte sich umgezogen und trug ein gülden schimmerndes Jackett mit viel zu weiten Ärmeln. Es war – o Scheiße! – ein Jongleur. Ein schlechter obendrein, dem schon bei geringer Keulenzahl alle acht Sekunden etwas zu Boden fiel, was ihn nicht daran hinderte, die Dinger im nächsten Schritt anzuzünden. Loderndes Gerät entglitt ihm ebenfalls, einmal krachte es ihm sogar auf den offenbar hitzeresistenten Schuh.

Mir, der ich anderthalb Meter von diesem unbeirrbaren Werf-und-fang-Künstler entfernt saß, bereitete dessen Ungeschick zusehends Unbehagen. Als er daraufhin mit zwei brennenden, an Schnüren befestigten Bällen umherwirbelte, die man im Fachjargon laut Wikipedia übrigens „Spinningelemente“ nennt, tat ich das einzig Vernünftige – nicht zuletzt, weil auch Kinder in diesem recht kleinen und wohl leicht entflammbaren Zelt saßen: Ich setzte mich hinter den größten meiner Freunde und betete zum römischen Feuergott Vulcanus.

Als der Nervenkitzel nach einer Viertelstunde sein glimpfliches Ende gefunden hatte, reichte uns der fahrige Feuerfatzke einen Hut und bat darum, einen Zehn-Euro-Schein hineinzugeben. O-Ton: „Manche geben auch 20.“ Zu seinem Unglück hatte ich aber all mein Geld längst Gott vermacht und selbigem versprochen, sofern er mich diese Jonglage überleben ließe, fortan nichts anderes mehr zu tun, als zu trinken.

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Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.

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kari

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