Von zu Hause arbeiten: Himmel, Hölle, Homeoffice

Daheim arbeiten ist wie Joggen oder Schokolade: Kann toll sein. Zu viel, dann wird ­einem schlecht. Über die Tücken des Schlabberlookproletariats.

Eine Frau sitzt an einem Laptop. Sie blickt skeptisch auf den Bildschirm. Im Hintergrund steht ein großes Regal, eine Bluse hängt vor dem Fenster. Die Frau befindet sich offensichtlich in ihrer eigenen Wohnung.

Super Platz – leider auch zum Prokrastinieren: das Homeoffice Foto: Alberto Fanego/dpa

Das Fachmagazin Cyberpsychology wird 40 Jahre alt. Zu seinem Geburtstag empfiehlt es, zwei Mal täglich in einem virtuellen Garten spazieren zu gehen, um während einer Corona-Quarantäne nicht durchzudrehen. Ist ein ernster Ansatz, entwickelt in Italien.

Falls sich nach ein paar Wochen Homeoffice die Tage zäh anfühlen, wenn Sie ausgebrannt sind: ist ganz normal. Ein Bereich in unserem Hirn ist für die Wahrnehmung von Orten da. Und diese sind mit autobiografischen Informationen verknüpft: „Wir sind Arbeiter, weil wir in die Firma ­gehen“, schreibt Cyberpsychology. Falls nicht, verliert sich die Arbeiter­identität.

Das passt zu dem, was Mareike Bünning und Kolleg*innen vom Wissenschaftszentrum Berlin nach einer Onlineumfrage mit 10.000 Beteiligtenin der Zeit Online schrieben: Im Homeoffice wird man zufriedener mit dem Familienleben, nicht aber mit der Arbeit, da steigt der Frust. Besonders bei Frauen, weil die mehr Kinderbetreuung übernehmen als die Männer. Allerdings sagt das Ergebnis wenig über die Segnungen von gelegentlichem Homeofficen aus, organisiert und nicht erzwungen.

„Die Romantik des Homeoffice ist wohl zerstört. Aber eben auch das Totschlagargument vieler Arbeitgeber, das gehe überhaupt nicht“, sagt Bünning der taz. Oder, wie es SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil kürzlich im Bundestag ausdrückte: „Dass Homeoffice nicht immer ein Zuckerschlecken ist, erleben im Moment viele.“

Heil hat jetzt seinen alten Vorschlag von Anfang 2019 ausgegraben und bis zum Herbst einen Gesetzentwurf zum „Recht auf Homeoffice“ angekündigt. Vergangenes Jahr war er damit noch am Widerspruch von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gescheitert. Die Grünen wollten kurz vor Ausbruch der Krise auch ein Heim­arbeitsrecht, inklusive neuer Regelungen beim Datenschutz, Unfallschutz sowie klarer Haftungsfragen: Es gilt gemeinhin als nicht präzise geregelt, wer zahlt, wenn man beim Home­officen vom Dienstrechner aufsteht, in sein eigenes Homeklo pinkelt und sich dabei verletzt. Außerdem fordern die Grünen ein Rückkehrrecht, falls es einem daheim zu doof wird. Unternehmen sollen Heimarbeit zudem begründet ablehnen können. Was für Tätigkeiten wie Dachdecken oder Kernbrennstäbewechseln sinnvoll erscheint.

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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat 2016 Erkenntnisse über das Homeoffice zusammengetragen: Wer auch daheim arbeiten darf, ist zufriedener, macht aber mehr und vor allem unbezahlte Überstunden, auch in vergleichbaren Jobs. Wer daheim arbeiten könnte, aber nicht darf, ist besonders unglücklich. In den Niederlanden arbeiteten vor Corona 30 Prozent zumindest gelegentlich von zu Hause aus, bei uns waren es nur 8,6 Prozent, derzeit ein Viertel.

Soziale Frage Homeoffice

Wirtschaftsverbände sind gegen jedwede Pflichten für die Firmen und deshalb auch gegen eine Pflicht, auf Wunsch Homeoffice zu erlauben und einzurichten. Auch die Gewerkschaften sehen die Sache nicht nur positiv. Claudia Dunst arbeitet für die IG Metall in Baden-Württemberg gerade mit Betriebsräten daran, Regeln zu mobilem Arbeiten umzusetzen. Bisher sei vor allem die mittlere Führungsebene in Unternehmen schwer zu überzeugen, sie fürchtet den Verlust der Kontrolle über ihre Beschäftigten, erzählt Dunst. „Die Erfahrungen jetzt werden aber enorm was ändern“, glaubt sie. „Viele Betriebsräte sagen uns gerade, dass viel mehr in Sachen Homeoffice geht.“ Dennoch müssten bei einem Recht auf Daheimarbeiten dringend die konkreten Umstände in den Unternehmen berücksichtigt werden.

Außerdem könnte es Ungleichheiten verschärfen: Das DIW hat gezeigt, dass vor allem gut bezahlte Akademiker*innen vom „HO“ profitieren. „Wird jemand ein Gesetz bei seinen Vorgesetzten einfordern, der auf sich allein gestellt ist und keine starke Vertretung durch Betriebsrat oder Gewerkschaft hat? Ich hab da so meine Zweifel“, sagt auch Dunst. Homeoffice dürfe auch nicht dazu führen, dass Unternehmen Kosten auf Arbeitnehmer*innen abwälzten, sagt sie. Wenn im Schnitt 20 Prozent der Belegschaft daheim arbeiten, spare das auch Strom und Büromiete. Dunsts Fazit: Recht auf Homeoffice ja, aber die konkreten Bedingungen müssten vorher geklärt werden.

Auch, was die Technik betrifft. Cyberpsychology verweist auf den Mailänder Psychologen Luca Bernardelli. Er hat Cyberbrillen für sein Team angeschafft. Während der Quarantäne hält er Meetings nicht per Videochat ab, sondern auf japanischen Bergen. „Virtual Reality ist wirklich ein mächtiges Werkzeug. Das wird eine neue Art des Arbeitens daheim“, sagt Bernardelli. Man vergesse bei Meetings die Zeit – und Spaß machten sie auch noch, so als Avatar.

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