Krisenmanagement in Albanien: Edi Rama ist Mister Corona

Albaniens Ministerpräsident ist bekannt für seinen eigenwillig-autoritären Stil. In Corona-Zeiten verschickt er Sprachnachrichten an die Bürger:innen.

Portrait

Albaniens Premierminister Edi Rama Foto: Aris Oikonomou/reuters

BERLIN taz | Wer sich in Albanien in Zeiten von Corona über die aktuelle Situation informieren will, konsultiert nicht etwa Qualitätsmedien oder die Internetseite einer staatlichen Behörde, sondern stattet der Facebook-Seite des Ministerpräsidenten Edi Rama einen Besuch ab. Denn der hat den „Krieg“ ausgerufen, wie er den Kampf gegen Covid-19 nennt, und ihn zur alleinigen Chefsache erklärt.

Wer etwa die Wohnung verlassen möchte, braucht eine App, um dafür eine elektronische Erlaubnis zu bekommen. In Albanien gilt eine besonders strenge Ausgangssperre: Zwischen 5 Uhr morgens und 13 Uhr am Nachmittag darf nur eine Person pro Haushalt für maximal eine Stunde das Haus verlassen, um wichtige Besorgungen zu erledigen. Von Samstag Nachmittag bis Montag Früh gilt eine komplette Ausgangssperre. Wie diese App zu nutzen ist, erfuhren die Albaner:innen wiederum nur von Rama höchstpersönlich – in einem Videotutorial auf seiner Facebook-Seite.

Niemand kann sich Rama dieser Tage entziehen. Regelmäßig versendet er an alle Vodafone-Nutzer:innen des Landes Sprachnachrichten. Die Aktivistin Gresa Hasa berichtet der taz, wie sie vor Kurzem einen wichtigen Anruf tätigen wollte: „Mein Anruf wurde einfach geblockt, stattdessen musste ich Ramas Stimme zuhören: „Hi, hier ist Edi. Wasch deine Hände! Bleib zu Hause! Zusammen schaffen wir das! Ich umarme dich aus der Ferne!“ Das habe sie schon sehr aufdringlich gefunden.

In der Coronakrise inszeniert sich Rama noch mehr als sonst als die Nummer Eins Albaniens, alle Fäden laufen bei ihm zusammen. „Hier gibt es keinen wirklichen Staat, Rama ist das Alfa und das Omega“, sagt Hasa. Auch sonst lässt Rama kaum eine Möglichkeit aus, diese Position auszubauen – etwa wenn er versucht, ein Zensur-Gesetz für die noch verbliebenen unabhängigen Medien durchzubringen und Journalist:innen als „Mülleimer“ beschimpft.

Maßnahmen im Alleingang

Dabei kann Rama seit einiger Zeit ohnehin so handeln, wie er selbst das möchte: Im ewigen Clinch mit seiner Sozialistischen Partei (PS) boykottiert die konservative oppositionelle Demokratische Partei (DP) seit geraumer Zeit das Parlament. Seit einer auf internationalen Druck beschlossenen Justizreform, ist das Verfassungsgericht nicht mehr arbeitsfähig.

Diese „Spielräume“ nutzt Rama in der jetzigen Situation nur allzu gerne aus. Bislang gibt es 409 bestätigte Corona-Fälle in Albanien, 23 Menschen sind an der Epidemie gestorben (Stand 10. April). Das Land hat bereits seit dem 9. März ungewöhnlich strenge Corona-Maßnahmen, die Rama im Alleingang durchgesetzt hat. So dürfen etwa Rentner:innen ihre Wohnungen bis zum Ende der Epidemie gar nicht mehr verlassen, ihre Anfragen per App werden abgelehnt.

Dass viele Menschen diese Maßnahmen akzeptieren, liegt auch an den schockierenden Bildern aus Italien, mit dem Albanien enge wirtschaftliche und soziale Verbindungen hat. Und an der Angst, dass Albaniens schwaches Gesundheitssystem einem massiven Ausbruch des Virus nicht standhalten würde.

Ramas Machtkalkül

Dass sich Rama mental im Kriegszustand befindet, zeigt sich auch auf den Straßen der Städte. Bilder in den sozialen Medien und Fernsehprogrammen zeigen Militärfahrzeuge und schwer bewaffnete Soldaten, die in den Nachbarschaften patroullieren. Laut Rama dürften sie alle Maßnahmen ergreifen, die nötig sind, inklusive Tränengas.

In Anbetracht all der strikten Anordnungen, wirkt es mehr als seltsam, dass diese nicht für alle zu gelten scheinen: Schuhfabriken, Callcenter, Minen und Baustellen operieren weiterhin.

„Albaniens billige Arbeitskräfte weiter an die Erste Welt vermarkten zu können, Gebäude zu bauen, damit albanische Politiker und Geschäftsmänner weiterhin ihr Geld waschen können oder über das Telefon Produkte an in Quarantäne sitzende Italiener zu verkaufen, das scheint hier wichtiger zu sein als die Gesundheit dieser Menschen“, sagt Hasa und verweist auf erste Infektionen in Textilfabriken. Das entlarvt noch deutlicher, was wirklich hinter Ramas „Krieg“ gegen das Virus steckt.

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