Lockerung der Corona-Maßnahmen: Vernünftig, aber widersprüchlich

Der deutsche Föderalismus ist der Krise gewachsen. Die Liste der Ungereimtheiten ist jedoch lang – besonders was die Schulen angeht.

Haare einer Frau fliegen im Wind

Sie kann bald wieder zum Friseur: Szene in Köln Foto: Bernd von Jutrczenka/ap

Nicht zu schnell zu viel. Die Lage soll unbedingt beherrschbar bleiben. Das ist pi mal Daumen die Richtung von Bundesregierung und Ländern. Angela Merkel lässt sich von einem Schlüsselargument leiten: Schon ein geringfügiger Anstieg der Ansteckungsrate kann den Flächenbrand, den man gerade ausgetreten hat, wieder entfachen.

Deswegen sind die Lockerungen äußerst vorsichtig. Demnächst werden ein paar Schulen und Geschäfte wieder öffnen, aber die harten Einschränkungen bleiben: Das Kontaktverbot bleibt bestehen. Demos bleiben eher verboten, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Hürde dafür etwas höher legt.

Das komplexe föderale System ist der Krise einigermaßen gewachsen. Angesichts des Zeit- und Problemdrucks könnte es zu langsam und manövrierunfähig sein. Aber abgesehen von ein paar Profilierungsversuchen von Armin Laschet und Markus Söder funktioniert der Föderalismus. Der Bund steckt das Terrain ab – die Ausgestaltung bleibt den Ländern überlassen.

In Berlin startet die Schule schneller, für Abiturklassen schon nächsten Montag, in Bayern erst später. Manches wirkt dabei einsichtig, weil auch die Coronafälle unterschiedlich verteilt sind – anderes nicht. Warum bleiben in Brandenburg die Schulen weitgehend geschlossen, während die Oberstufen in Mecklenburg-Vorpommern bald wieder Schule haben?

Rätselhafte Öffnung der Friseurläden

Die Liste der Ungereimtheiten ist länger. Rätselhaft scheint, dass Friseure bald wieder Haare schneiden, während in manchen Bundesländern auch ältere SchülerInnen, die soziale Distanz durchaus einhalten können, zu Hause bleiben müssen. Was tun die Eltern, die in jenen Geschäften arbeiten, die nun wieder öffnen, wenn die Kitas weiter geschlossen bleiben?

Zu der App, die Wunder wirken soll, erfährt man nur lapidar, dass sie irgendwann einsatzfähig sein soll. Die präzise nachvollziehbare Begründung, warum was wann geschieht und wie es weitergehen kann, fehlt streckenweise. Die war auch noch nie Angela Merkels Stärke.

Andererseits: Wenn man den zwischen Verharmlosung und Panikattacke irrlichternden Kurs von Boris Johnson und Donald Trump anschaut, wirkt die Bundesrepublik wie ein Hort der Vernunft. Merkel und Olaf Scholz erscheinen wie Krisenmanager, die ihr Bestes tun, um im Nebel zu navigieren. Manche dünne Begründung und widersprüchliche Regel mag verwunderlich oder ärgerlich sein. Schlimm sind sie nicht – verglichen mit den Kühlwagen, in denen anderswo vor Krankenhäusern Leichen liegen. Die tastende Bewegung von Bundesregierung und Ländern in Richtung Öffnung ist grosso mode einleuchtend.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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