Kunst im öffentlichen Raum: Die ganze Zeit über da

Die Kunsthäuser sind zwar zu, aber draußen gibt es viel Kunst zu entdecken. Vier Stationen in Hamburg – die auch vom Ringen mit der Zeit erzählen.

Ein großes Panoromafoto von Hamburg steht vor dem Eingang des Hamburger Landgerichts, davor stehen rostige Kübel mit Blumen

Gloria Friedmanns „Hier + Jetzt“ vorm Hamburger Landgericht Foto: imago/Hoch Zwei/Angerer

HAMBURG taz | Man kann ja noch raus. Ein paar Schritte gehen, sich von dem ganzen Geskype erholen, von den Nachrichten, den Sondersendungen, den Mutmaßungen, wie lange das alles noch dauert. Dort, unterwegs, trifft man mitunter auf Kunst, die nur so rumzustehen scheint und uns in dem Moment erwischt, in dem wir gar nicht auf sie aus sind.

Man kann aber auch ausdrücklich nach der „Kunst im öffentlichen Raum“ Ausschau halten, etwa in Hamburg. Gemäß einem Programm der dortigen Kulturbehörde, 1981 aufgelegt, um die bis dato oft nur dekorative „Kunst am Bau“ abzulösen, läuft es bis heute. In den ersten beiden Jahrzehnten war sie stark von der Mahnmal-Diskussion geprägt – 1979 lief die Serie „Holocaust“ im deutschen Fernsehen, 1985 folgte die Weizäcker-Rede, ab 1995 die Wehrmachtsausstellung, dazwischen die Debatte um ein zentrales Holocaust-Mahnmal in Berlin.

Als Auftakt einer Tour durch die Hamburger Kunst im öffentlichen Raum empfiehlt deshalb vielleicht die Arbeit „Hier + Jetzt“ der deutsch-französischen Künstlerin Gloria Friedmann auf dem Sievekingplatz. Eine lange Betonwand versperrt den direkten Zugang zum Hamburgischen Oberlandesgericht. Kommt man von dort, schaut man auf eine schiefergraue Wand, nur eine Zahl ist eingehämmert: 1933. Mehr nicht.

Auf der anderen Seite: ein die Wand füllendes Panoramafoto der Stadt Hamburg im besten Postkarten-Sommerlicht. Und davor 90 Stelen, bestückt mit 90 eisernen Blumentöpfen, gefüllt mit den Trieben von Blumen, Wild- und Heilkräutern, von Gemüse. Und so wie das Panorama-Bild längst ausgeblichen ist, tragen die Töpfe soliden Rost, mühen sich erste Triebe und Knospen durchzusetzen, es wird also.

Setzt Friedmann mit ihrem Mahnmal auf das Zusammenspiel von Monumentalität und floraler Vergänglichkeit, die immer wieder pflegend gestützt werden muss, vertraut Thomas Schütte mit seiner Installation „Tisch mit zwölf Stühlen“ in ­Niendorf-Nord auf rustikale Dauerhaftigkeit: Zwölf Stühle aus dem klassischen Hamburger Ziegel hat er in einem Parkstück um einen ovalen Marmortisch versammelt.

Mehr als 40 Orte von „Kunst im öffentlichen Raum“ in Hamburg sind hier zu finden: www.fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/plan.htm

Elf der Stühle tragen Plaketten mit den Namen von elf ermordeten Hamburger Widerstandkämpfern und -kämpferinnen, die – so die Imagination, an der wir gern teilhaben – sich hier zuweilen treffen: etwa das Ehepaar Paul und Magda Thürey, die einer kommunistischen Gruppe angehörten, oder die Thalia-Theater-Schauspielerin Hanne Mertens, die sich vom überzeugten NSDAP-Mitglied zur Nazi-Gegnerin wandelte. Ein Stuhl ist freigehalten – auf den setzen wir uns, schauen in die Runde der Abwesenden wie Erinnerten und spüren die Kälte aus dem Stein aufsteigen, noch der Jahreszeit angemessen.

Als Schüttes Stühle hochgemauert wurden, war der erste Abschnitt des „Harburger Mahnmals gegen Faschismus“ von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz bereits auf dem Weg, im Boden zu verschwinden. Es besteht aus einer zwölf Meter hohen Säule aus Blei, anfangs aufgerichtet in der Nähe des Harburger Rathaus und des dortigen Marktplatzes.

Die Bürger waren aufgefordert, das mahnmalskeptische Mahnmal, aufgestellt, um zu verschwinden, zu kommentieren, was geschah: Zuspruch und Hakenkreuze wurden eingeritzt, Empörtes und Rätselhaftes aufgetragen. War der Platz so gefüllt, wurde die Säule abgesenkt, bis zum 10. November 1993 geschah dies acht Mal.

Heute steht man auf einer Eisenplatte, unter einem die versenkte Säule, und wer mag, geht ein paar Stufen hinunter, schaut durch eine Drahttür ins Innere wie in eine Höhle, lauscht der Erzählung, dass an das Erinnern immer wieder erinnert werden muss, damit es nicht vergessen wird und nicht verschwindet.

Etwas verwegenes noch? Ein wenig, was den Bewegungsdrang betrifft, über die Stränge schlagen? Dazu geht es mit der Elbfähre Nummer 62 nach Finkenwerder. Am Anleger angekommen ein paar Schritte leicht südwärts, bis man auf dem Finkenwerder Neuen Friedhof steht. 1985 bat man den Beuys-Schüler Felix Droese, bekannt durch seine auf der Documenta 7 vorgestellte Arbeit „Ich habe Anna Frank umgebracht“, um einen Beitrag.

Boot“ heißt der schlicht, ­Droese ließ sich von der nahen Elbe inspirieren, von den Schiffsmotiven auf Grabsteinen ringsum. Droese ließ ein ausrangiertes Rettungsboot aus Aluminium kieloben auf dem Feld ablegen, auf dem man sich ano­nym beerdigen lassen kann. Droeses Rettungsboot fragt so: Gibt es Rettung und also Hoffnung? Und nicht weit ist der Weg zu spirituell-religiösen Vorstellungen, dass einen nach diesem Leben jemand wohin auch immer hinüberfährt und auch bei einem bleibt, wenigstens solange die Fahrt dauert – Droese ist Pfarrerssohn, einst auf Nordstrand aufgewachsen.

Doch wo ist die Arbeit hin? Kein Boot als „Boot“ ist zu sehen. Während man unschlüssig herumsteht, auch an sich zweifelt, fällt einem ein Hügel auf, am Ende des Feldes: Überwuchert von Efeu liegt Droeses Boot wie eingesargt, wie selbst begraben. Und man rupft am Efeu, arbeitet sich mit den Händen hindurch und dann ist sie zu spüren, die harte Bootshaut und das Boot für das „Boot“ ist wieder da, seit 35 Jahren im Dienst der Kunst vor Ort und unterwegs.

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