Faire Hilfen in der Pandemie: Geld ist nicht knapp

In der Coronakrise wird oft ein „Lastenausgleich“ wie 1952 gefordert. Doch die Nachkriegszeit taugt nicht als Vorbild. Der Staat muss Schulden machen.

In einem historischen Foto hält eine Frau eine D-Markmünze in die Kamera.

Corona-Krise gleich Nachkriegszeit? Fehlanzeige Foto: akg-images/picture alliance

Die Coronakrise wird gern mit einem Krieg verglichen. Der Virus soll „bekämpft“ und „besiegt“ werden; US-Präsident Trump hat bereits Gesetze aus dem Koreakrieg bemüht, um den Autobauer General Motors zu zwingen, Beatmungsgeräte herzustellen.

Auch in Deutschland werden Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wach, wenn es um die Frage geht, wie die Kosten der Coronakrise bewältigt werden könnten. Der Historiker Heinrich August Winkler fordert eine Vermögensabgabe, die den „Lastenausgleich“ von 1952 imitiert. Damals sollten die Opfer der Bombardierungen, der Vertreibung und der Währungsreform entschädigt werden. Die nötigen Milliarden wurden von jenen Bundesbürgern aufgebracht, die ihren Besitz im Krieg behalten hatten.

Ein Corona-Lastenausgleich hat in der Politik ebenfalls zahlreiche Anhänger. Die Linke fordert ihn explizit, während SPD-Chefin Saskia Esken es etwas anders formuliert hat: Sie stellt sich eine „einmalige Vermögensabgabe“ vor, um eine „faire Lastenverteilung“ zu erzielen.

Kein Zweifel, die Kosten der Coronakrise sind enorm. Trotzdem wären Anleihen bei der Nachkriegszeit wenig sinnvoll. An den Lastenausgleich von 1952 erinnert man sich heute zwar gern mit nostalgischer Rührseligkeit, doch faktisch handelte es sich weitgehend um Symbolpolitik.

Zunächst wirkte der Lastenausgleich durchaus radikal: Alle Vermögen über 5.000 D-Mark wurden mit einer Abgabe von 50 Prozent belegt. Trotzdem wurden die Vermögensbesitzer kaum belastet, denn die Zahlungen wurden über dreißig Jahre gestreckt, sodass allein schon die Inflation dafür sorgte, dass die Raten immer leichter aufzubringen und am Ende fast bedeutungslos waren. Zudem wurden Immobilien nach dem Einheitswert angesetzt – und nicht etwa nach dem Verkehrswert, der wesentlich höher lag.

In der Coronakrise ist nicht klar zu erkennen, wer für wen zahlen soll, da doch fast jeder Defizite verbucht hat

Bis zum Ende des Projekts wurden etwa 150 Milliarden D-Mark aufgebracht, und damit war der Lastenausgleich zweifellos „die größte Vermögensabgabe der Geschichte“ in Deutschland. Doch zu einer Umverteilung zwischen den sozialen Schichten kam es nicht. Der Witz am Lastenausgleich war, dass Vermögende für andere Vermögende gezahlt haben. Die meisten Bundesbürger gingen weitgehend leer aus.

Wie sich schon damals zeigte, ist die entscheidende Frage bei einem Lastenausgleich, welche Verluste er eigentlich kompensieren soll. Die SPD forderte nach dem Krieg, dass der einstige Besitz keine Rolle spielen und nur die Bedürftigkeit zählen sollte. Die CDU hingegen wollte das frühere Eigentum berücksichtigen und orientierte sich am erlittenen Schaden. Adenauers Koalition beschloss daher einen Lastenausgleich, der die alten Vermögensverhältnisse weitgehend restaurieren sollte.

Diese Debatte würde sich sofort wiederholen, wenn es einen Corona-Lastenausgleich gäbe. Denn die Epidemie macht keine Unterschiede zwischen Arm und Reich, fast jeder verliert. Auch große DAX-Konzerne büßen momentan bis zu 100 Prozent ihres Umsatzes ein. Die wenigen Coronagewinner sind an einer Hand abzuzählen: Supermärkte, Pharmakonzerne und Amazon.

Wenn aber alle verlieren und nur wenige profitieren, wird eine Vermögensabgabe schwierig. Denn es ist nicht klar zu erkennen, wer zahlen soll, da doch fast jeder Defizite verbucht hat. Zudem stellt sich die Frage, wer entschädigt werden soll: Wer die größten Verluste hatte? Wer existenzbedroht ist? Nur die Kleinunternehmer? Oder auch die Kurzarbeiter, die auf Einkommen verzichten mussten? Es ist unwahrscheinlich, dass ein „Lastenausgleich“ zustande käme, der von allen als gerecht empfunden würde.

Bleibt die Frage, wie sich die Coronamisere dann beheben lässt. Denn es stimmt ja, dass die Epidemie zwar fast alle trifft – aber nicht alle gleich hart. Vor allem ist zu befürchten, dass viele Kleinstunternehmer die Krise nicht überstehen.

Geld wird nur knapp, wenn man glaubt, es sei knapp

Der Denkfehler ist zu glauben, dass das Geld knapp sei. Die Advokaten des Lastenausgleichs gehen wie selbstverständlich davon aus, dass wir es mit einem Nullsummenspiel zu tun hätten: Jemand muss zahlen, damit andere profitieren.

Doch das Geld ist nicht knapp. Es existiert kein Sachzwang, der erklären könnte, warum die Bundesregierung ihre Coronadefizite derzeit bei 156 Milliarden Euro deckelt. Sie könnte genauso gut 300 Milliarden Euro ausgeben, ohne dass ein strafender Gott zur Erde herniederfährt.

Es wäre gefahrlos möglich, auch Taxifahrern, Kneipenwirten, Soloselbstständigen, Ladenbesitzern oder Künstlern ein Kurzarbeitergeld zu zahlen, das sich an ihren versteuerten Gewinnen orientiert. Die Daten wären in den Finanzämtern abrufbar. Stattdessen muss jeder Einzelne einen Antrag auf Grundsicherung stellen und mehrere Monate in Armut verbringen. Eine gute Idee wäre auch, das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent des Nettolohns anzuheben und auf Minijobber auszuweiten. Der Trick wäre also, die Verluste klein zu halten, die die Einzelnen erleiden. Ein Lastenausgleich wäre dann nicht mehr nötig.

Vielen Deutschen wird schummrig, wenn der Staat seine Schulden erhöht. Wie soll er denn diese vielen Milliarden zurückzahlen?! Die Antwort ist simpel: Die Kredite werden nicht getilgt, sondern verlieren an Bedeutung. Sie finanzieren sich selbst, indem sie das Wachstum anschieben.

Anders ausgedrückt: In einer Krise entstehen die Schulden sowieso, aber es ist deutlich effektiver, sie am Anfang aufzunehmen. Sollten die Bundesregierung weiterhin knausern und Millionen Bundesbürger ihr Einkommen verlieren, dann fehlt das Geld, um wieder zu konsumieren, wenn die Kontaktsperren beendet sind. Das Virus wäre eingedämmt, aber die Coronakrise würde weiterschwelen. Wenn der Staat hingegen jetzt die Einkommen stützt, würde es sofort aufwärts gehen, sobald die Fast-Quarantäne vorbei ist. Geld wird nur knapp, wenn man glaubt, es sei knapp.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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