Psychotherapeut über Telefontherapie: „Gespräche können stabilisieren“

Was Therapie jetzt bringt und was Menschen tun können, um psychisch gesund zu bleiben, erklärt Christoph Sülz von der Psychotherapeutenkammer Bremen.

Spaziergänger in den Herrenhäuser Gärten in Hannover

Auf dem Spaziergang Fremde anlächeln, rät der Psychologe Foto: Peter Steffen / dpa

taz: Herr Sülz, wie arbeiten Sie gerade?

Christoph Sülz: Sehr eingeschränkt. Meine Frau und ich stellen gerade unsere Praxen auf Videobehandlung um und nebenbei betreuen wir unsere Kinder. Den letzten Patienten habe ich am Freitag gesehen, das war der einzige in der Woche. Am selben Tag hatte ich auch meine erste Videobehandlung.

Wie lief die?

Erstaunlich gut. Wir hatten Probleme mit der Tonübertragung und mussten parallel telefonieren, aber wir fanden beide, dass es funktioniert hat, wir konnten sogar konkret etwas erarbeiten, nämlich, wie der Patient jetzt mit seinen Ängsten umgeht. Er hat sich auch einfach gefreut, dass wir uns sprechen konnten. Diese Rückmeldung habe ich auch von anderen bekommen. Sie sind froh, dass es überhaupt weitergeht.

Das ist aber nicht per Skype, oder?

Um Gottes Willen, nein. Es gibt zertifizierte Anbieter mit hohen Sicherheitsstandards, auch wenn ein Restrisiko bleibt, dass jemand gehackt wird.

40, ist promovierter psychologischer Psychotherapeut für Verhaltenstherapie und Mitglied im Vorstand der Psychotherapeutenkammer Bremen.

Was ist mit denen, die keine Möglichkeit der Video-Telefonie haben?

Es braucht dafür eigentlich nicht viel, einen Computer und eine Webcam. Die Psychotherapeutenkammern setzen sich aber gerade sehr dafür ein, dass auch Telefonate abgerechnet werden können. Bisher ist nur eine Beschränkung für Videobehandlungen aufgehoben worden, vorher durften wir höchstens 20 Prozent der Behandlungen so machen. Ich glaube aber, dass viele Kollegen und Kolleginnen jetzt in der Abwägung zwischen Wirtschaftlichkeit und der Notwendigkeit zu helfen, sich für Letzteres entscheiden.

Aber ist so überhaupt noch Therapie möglich?

Der Gold-Standard ist natürlich der persönliche Kontakt, weil wir daran glauben, dass der Wirkungsgrad einer Therapie von der Beziehung abhängt. Und klar, ich kann jetzt mit einem Angstpatienten nicht ins Kaufhaus gehen, damit er sich dort mit seinen Ängsten konfrontiert. Aber solche Übungen kann man zum Teil auch in der Vorstellung machen. Das ist einfach das Beste, was wir in dieser Situation tun können. Ich glaube, dass therapeutische Gespräche jetzt eine stabilisierende Wirkung haben.

Brechen nicht jetzt viele Erkrankungen wieder so richtig auf? Gerade für Menschen mit Ängsten oder Zwängen ist die Situation doch Gift für die Nerven.

Einerseits ja. Andererseits bieten Krisen immer auch Chancen. Wir sind gerade alle aus unseren Routinen herausgenommen und müssen uns neu einrichten – was auch sehr ablenkt. Dazu können auch Symptom-Routinen zählen. Mir hat gerade ein Kollege von einem Patienten erzählt, dessen Waschzwang in den Hintergrund getreten ist, weil seine Hygieneregeln gerade von allen befolgt werden …

Erscheinen in so einer Krisensituation vielleicht auch manche Probleme als weniger wichtig?

Da ist etwas dran, ja. Es relativiert sich einiges. Vielleicht auch in Beziehungen, die sich jetzt neu sortieren. Ich erlebe das selbst, dass ich mit Menschen in engerem Kontakt stehe als vorher. Gleichzeitig verbringe ich plötzlich mit meiner Frau so viel gemeinsame Zeit wie noch nie zuvor – da brauchen wir neue Regeln im Miteinander zu Hause.

Auf der anderen Seite wird es Beziehungen geben, wo die Konflikte jetzt genau aufgrund dieser Enge erst richtig aufbrechen. Und dann ist da keine Therapeutin und kein Familienberater, mit deren Hilfe das gelöst werden kann.

Ja, das ist für viele jetzt richtig schlimm. Die Beratungsstellen versuchen wie wir, ohne den direkten Kontakt weiterzumachen, aber sie können dann nur noch mit einzelnen Familienmitgliedern arbeiten. Und nicht alle, die Hilfe brauchen, haben die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, oder jemand, der solange auf die Kinder aufpasst. Die Berufsverbände arbeiten zudem noch an einer Lösung dafür, wie Menschen eine Therapie neu beginnen können oder sich akut behandeln lassen können. Bisher ist dafür ein erster persönlicher Kontakt vorgeschrieben.

Gibt es etwas, was Sie Menschen raten können, wie sie psychisch gesund bleiben?

Wenn ich an die denke, die jetzt in der ersten Reihe stehen – Ärztinnen, Krankenpfleger, Polizistinnen und Feuerwehrleute, also die, die sich über das normale Maß einsetzen müssen –, dann denke ich, es ist gut, wenn sie jetzt auf sich aufpassen, viel mit Angehörigen und Freunden sprechen, Pausen machen, etwas für ihren Körper tun. Sonst brechen sie alle zusammen, wenn die Krise einigermaßen überstanden ist und sie loslassen können. Hier braucht es jetzt schon Supervision und Begleitung.

Aber auch die anderen sind gefährdet, oder? Soziale Kontakte, auch auf einer körperlichen Ebene, sind doch so wichtig, um etwa Depressionen zu verhindern.

Das stimmt, deshalb sage ich auch allen, nutzt alle Kanäle, die ihr habt, um in Kontakt zu bleiben. Man kann sich vielleicht nicht in den Arm nehmen, aber mit Abstandsregeln sind ja auch Treffen weiter möglich. Und wer niemand hat, kann die Telefonseelsorge anrufen. Es kann auch sein, dass sich neue Kontakte ergeben. Wir haben zum Beispiel eine Nachbarin, von der wir bisher kaum etwas mit bekommen haben. Jetzt kam sie auf uns zu und hat gesagt, meldet euch, wenn ihr etwas braucht.

Am Wochenende habe ich es als sehr beängstigend erlebt, wie ich beim Spazierengehen merkte, dass ich andere als Bedrohung wahrnahm und sie auch Angst vor mir hatten als potentielle Überträgerin.

Das ging mir genauso. Menschen machen einen Bogen, drehen sich weg, gucken sich nicht an. Ich rate dazu Fremde anzulächeln, zu grüßen, einander anzugucken. Dadurch kann ich eine positive Erfahrung machen und mir passiert nichts, das trägt.

Mehr konkrete Tipps, bitte.

Strukturen sind jetzt wichtig, gerade auch für Kinder. Wir haben mit unseren beiden, sie sind fünf und acht, einen Tagesplan geschrieben, wo alles draufsteht. Aufstehen, fertig machen, Lernzeiten, rausgehen. Wir haben feste Medienzeiten und überlegen uns, was wir kochen wollen, wie wir einkaufen. Und wir halten den Horizont klein. Wenn ich mir vorstelle, das geht bis Weihnachten so, wird mir ganz anders. Also nur auf die nächsten Tage schauen. Das ist wichtig, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhalten, zu wissen, ich habe noch Aufgaben und Ziele, ich kann noch gestalten, ich bin nicht hilflos und ausgeliefert.

Das ist vielleicht auch der Unterschied zu Menschen, die im Krieg leben.

Ja, danach frage ich auch meine Patienten und Patientinnen mit Ängsten. Was heißt denn Katastrophe? Was haben die Bilder aus Italien mit meiner Lebensrealität zu tun? Es ist wichtig, im Hier und Jetzt zu bleiben. Wenn ich die ganze Zeit den Live-Ticker verfolge, kann ich nur panisch werden. Deshalb rate ich auch zur strikten Nachrichten-Diät. Nur das verfolgen, was für den eigenen Alltag und das eigene Handeln wichtig ist. Wenn es so klare Anordnungen gibt wie jetzt die, das man sich nur noch zu zweit im öffentlichen Raum treffen darf, dann kann das auch entlastend wirken. Ich muss nicht spekulieren, was ich darf und was nicht. Unsicherheiten lösen Angst und Panik aus.

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