Kolumne Berlin Viral: Alltagsroutinen inmitten von Stille

Durch die Corona-Pandemie ist plötzlich vieles anders. Die Schule in der Straße hat geschlossen. Damit gibt es auch kaum mehr Autoverkehr.

Rechts schaut man in leeren Schulgang, recht steht Tür zum Klassenraum offen, der ebenfalls leer ist, die Stühle stehen auf den Tischen

Leere im Inneren der Schulen Foto: Fabian Strauch/dpa/picture alliance

Zwei Wochen ist es her, aber es kommt mir schon viel länger vor, dass ich zuletzt Kinder auf ihrem Weg in die Schule sah. Eine Grundschule ist in meiner Straße, ich trat morgens zwischen halb sieben und acht auf meinem Hometrainer in die Pedale und konnte dabei aus dem Fenster schauen.

Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber die Schritte der Mädchen und Jungen, manche auch an der Hand einer Mutter, schienen mir entschlossener als sonst der Schule zuzustreben. Als wollten sie da noch mal hin, unbedingt. Einige kamen schon nach zehn Minuten zurück, rosa Hefte in der Hand, waren das schon Aufgaben für die nächste Zeit?

Seit der Schließung der Schule ist es morgens so ruhig, wie es sonst nur in den Ferien ist, in dieser Straße. Dass die Schule mit so viel mehr Autoverkehr verbunden ist, hat mich schon immer gewundert. Wenn sie zu ist, bleibt es länger still.

Jetzt, unter den Bedingungen des Schutzes vor Covid-19, höre ich anders auf die Geräusche der Straße. Ah, die Baustelle nebenan, ein Wohnhaus entsteht, ist noch in Betrieb. Diesmal freut mich das Klopfen und Hämmern, ein Stück Normalität. Ich hoffe, sie verputzen das Haus bald und bauen das Gerüst ab, dessen staubige Planen direkt an meinen Balkon grenzen. Seit zwei Jahren schon. Je mehr „Zu Hause bleiben“ gilt, desto wichtiger wird der Balkon, aber die Baustelle bleibt mir wohl noch länger erhalten.

Aktuelle Postkarte aus der Vergangenheit

Eine Postkarte mit Kakteen kam vor einer Woche, abgeschickt hatte sie eine Freundin am 1. März in Teneriffa, sie schwärmte von der Vielfalt der Landschaft. Einen Moment lang mutete die Karte mich an wie aus einer Epoche der Vergangenheit, als in Ferien zu verreisen eine Möglichkeit war.

Ich hielt sie beim Frühstück in der Hand, im rbb Kulturradio las der Autor Horst Köhler in sieben Briefen von einer Reise in den Frühling vor: Über Andalusien, Spanien, Frankreich und schließlich Werder in Brandenburg reiste er über Wochen mit der Apfelblüte.

Ich saß etwas beleidigt vor dem Radio. Mir jetzt, wo das Reisen und das Draußensein zu genießen erst mal auf längere Zeit allen verwehrt ist, davon die Ohren voll zu schwärmen, schien mir deplatziert. Später dachte ich, da hat dich das Virus schon missgünstig gestimmt, es verdirbt den Charakter.

Kein großer Einschnitt in den Alltag

Natürlich mache ich mir Sorgen. Meine Verwandten, Schwestern und Schwäger, da sind alle über siebzig und plötzlich Risikopatienten die meisten. Ich telefoniere mit ihnen. Aber ja, sagen sie, uns geht es gut, sie leben schon länger zurückgezogen, gehen wenig aus. Es klingt so, als würden sie die Veränderungen im Alltag nicht als so große Einschnitte empfinden. Keiner redet über seine Ängste, man hält sich daran fest, dass die Gegenwart funktioniert.

Ich bin froh, dass Spazierengehen möglich ist. Einmal rauskommen aus meinem Single-Haushalt. Mein Weg führt vorbei an einem kleinen Laden von Pia Fischer, Textilkunst und Design. Seit etwas über einer Woche hat sie selbstgenähte, waschbare Atemschutzmasken in ihrem Schaufenster und verkauft durch ein kleines Fenster nebendran.

Am letzten Samstag war ich die dritte in einer kurzen Schlange, diesen Samstag stehen mit großem Abstand zehn bis zwölf Leute davor, halten das Gesicht in die Sonne, schauen in ihre Smartphones, eine liest sogar in ihrem Buch. Fast wie sonst im Café, eine Übung in Gelassenheit. Nicht so einfach.

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