Berichte über Suizid von Thomas Schäfer: Noch nicht alle haben gelernt

Beim Schreiben über Selbsttötung ist große Sensibilität nötig. Das ist nicht überall durchgedrungen, zeigt der Fall des hessischen Finanzministers.

Thomas Schäfer während einer Pressekonferenz

Thomas Schäfer, der verstorbene Finanzminister von Hessen. Foto: Florian Gaertner/imago images

Die folgende Nachricht war am Wochenende in fast allen Medien zu lesen, zu hören oder zu sehen: „Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer ist tot, er wurde am Samstag leblos gefunden. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden und das Polizeipräsidium Westhessen gehen nach ersten Ermittlungen von einem Suizid aus.“

In der Regel wird in Deutschland nicht über Suizide berichtet, dabei begehen laut Statistischem Bundesamt über 9.000 Menschen im Jahr Suizid, das sind ungefähr dreimal so viele Tote wie bei Verkehrsunfällen. Die Zurückhaltung der Medien, über einzelne Suizide zu berichten, ist dennoch richtig, denn das detaillierte Berichterstatten kann andere Menschen dazu animieren, sich das Leben zu nehmen. Dieser sogenannte Werther-Effekt wurde in etlichen Studien belegt.

Bei Prominenten ist es trotzdem anders. In solchen Fällen wägen Journalist:innen ab zwischen öffentlichem Interesse, Persönlichkeitsrechten und dem Schutz von suizidalen Personen. Thomas Schäfer war hessischer Finanzminister, eine Person des öffentlichen Lebens, die Bevölkerung hat ein Recht, von seinem Tod zu erfahren.

Lehren von früher

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seel­sor­ge­r*in­nen zu chatten.

Wichtig ist jedoch, wie berichtet wird. Der Pressekodex fordert Journalist:innen zu Zurückhaltung auf. Doch gerade wenn Promis Suizid begehen, passiert häufig das Gegenteil: schaurige Details, Spekulationen. Ein bekanntes Negativbeispiel ist das Medienecho zum Suizid von Fußball-Torwart Robert Enke im November 2009. Sowohl die Methode als auch der Ort des Suizids wurden bekannt gemacht, in Texten, Karten und Bildern, sein Bild fand sich auf fast allen Titelseiten. Unmittelbar danach stieg die Zahl der Menschen, die auf ähnliche Weise wie Enke Suizid begingen.

Das hat schon damals eine Debatte über Suizidprävention ausgelöst – auch im Journalismus. Die Berichterstattung zu Schäfers Suizid ist bedachter und zeigt, dass viele Medien aus früheren Fehlern gelernt haben.

So ist es mittlerweile Usus, einen Hinweis mit Hilfsangeboten und Telefonnummern zu veröffentlichen. Doch viele andere Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) wurden auch in diesen Tagen nicht umgesetzt, dabei sollte jede:r Journalist:in mit ihnen vertraut sein.

Das beginnt schon mit dem Wording, das man den Suizid Schäfers nicht als „Selbstmord“ oder „Freitod“ bezeichnet, wie es beispielsweise das Neue Deutschland und die Bild-Zeitung getan haben. Suizid passiert nicht aus „niederen Beweggründen“, wie das Wort „Mord“ nahelegt, meist aber auch nicht aus einer „freien Entscheidung“.

Es gibt nicht „den Grund“

Auch die Ortsangabe, die von vielen Medien wie Zeit Online oder der Welt genannt wurde, ist problematisch, denn diese gibt Auskunft über die Methodik des Suizids. Die DGS warnt, dass dies zu „Nachfolgesuiziden an dem jeweiligen Ort oder nach der jeweiligen Methode führen kann“.

Am Sonntagmittag dann trat Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier vor die Mikrofone. In seiner Rede bezog der CDU-Politiker sich auf einen Abschiedsbrief, den Schäfer hinterlassen haben soll – und kam zu dem Schluss, dass Schäfer die (finanziellen) Sorgen der Coronakrise „erdrückt“ hätten.

Diese scheinbare Begründung für Schäfers Suizid wurde von vielen Medien, wie Tagesschau.de, unhinterfragt übernommen. Dabei ist ein Suizid nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Die FAZ hatte aus dem Abschiedsbrief zitiert, hat aber mittlerweile die Meldung angepasst und die vermuteten Gründe aus dem Text genommen.

Wer ohne methodische Details, Romantik und Dramatisierungen oder einfache Erklärungen über Suizide berichtet, kann den Werther-Effekt zu verhindern helfen.

Und nicht nur das: Richtige Berichterstattung kann zum Gegenteil, zum sogenannten Papageno-Effekt, führen, der seit 2010 belegt ist. Sprich: Suizide verhindern. Dafür braucht es laut der DGO: Hintergründe der Gefährdung, Hinweise auf Hilfsangebote, Infos über Warnsignale, Risikofaktoren sowie das Leid der Hinterbliebenen. Diese Art von Berichterstattung scheint aktuell besonders wichtig, denn die Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologen warnt, dass während der Coronakrise ein Anstieg von Suiziden zu befürchten ist.

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