Goldene Schaufeln vor neutralem Hintergrund.

Wer anderen eine Grube gräbt, hat nicht immer ein Goldgrubengrabgerät Foto: LPF/plainpicture

Frauen und Beruf:Was Arbeit wert ist

Die meisten Menschen sprechen ungern über ihr Gehalt. Was verdient eine Topmanagerin? Und was eine Reinigungskraft? Sechs Protokolle.

8.3.2020, 09:31  Uhr

Die Topmanagerin
Farblich bearbeitetes Porträt einer Frau mit Helm und Brille

Sigrid Nikutta Foto: Foto: DB

„Weil ich gerne Fäden ziehe“

Der Job: Bis vor Kurzem war Sigrid Nikutta Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, seit Januar ist sie Vorstand Güterverkehr bei der Deutschen Bahn. „Mir war immer klar, dass ich zu den Entscheidern gehören möchte. Weil ich gern die Dinge in der Hand habe, weil ich gern die Fäden ziehe.“ Die heutige Position der promovierten Psychologin sei Folge einer strategischen Karriereplanung. „Durchaus verbunden mit persönlichen Härten.“ Mehrfach haben die heute 50-Jährige und ihre Familie den Wohnort und ihr gewohntes Umfeld gewechselt.

Die Arbeitszeit: Die Frage nach Wochenarbeitszeiten, der Länge von Arbeitstagen: schwierig zu beantworten, sagt Nikutta. „Im Grunde bin ich immer dabei, die Frage ist nur, an welchem Ort.“ Der Tag beginnt und endet mit der Arbeit. „Wenn ich den Wecker, also mein Handy, in die Hand nehme, checke ich als erstes, welche Themen neu reingekommen sind.“ So zu arbeiten, müsse man schon mögen. „Ich liebe es.“ Genau das ist Nikuttas Art, die Fäden zu ziehen. „Und ich werde nervös, wenn es nicht so ist.“

Das Geld: Unter den führenden Managerinnen erlebe sie eine unglaubliche Solidarität, was Karriereplanung betrifft, sagt Nikutta. Es werde auch durchaus über Geld gesprochen. Aber in der Zeitung?! „Bei Frauen in Toppositionen wird das auch in den etablierten Wirtschaftsmedien viel häufiger dazugeschrieben als bei den Männern, so nach dem Motto: Schauen wir mal, ob sie das wirklich wert ist. Das muss sich ändern.“

Die Wertschätzung: „Ist es das berufliche Ziel, wertgeschätzt zu werden?“, fragt Nikutta. Und ob das nicht auch nur die Frauen gefragt würden. „Güter von der Straße holen. Kunden wieder von der Schiene begeistern – das ist mein Ansporn!“

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Am ehesten etwas Technisches, was mir hilft, mein Leben zu synchronisieren!“

Die Reinigungskraft
„Warten und durchhalten“

Der Job: Vor einem Jahr ist Daniela Vasileva nach Berlin gekommen. Um mit ihrem Freund zusammen sein zu können, wie sie sagt. Und weil in ihrer Heimat Bulgarien das Geld nicht zum Leben reichte. Die 48-Jährige ist gelernte Schneiderin. In Berlin putzt sie Arztpraxen, Apotheken, Bürogebäude, private Haushalte. Gerade hat Vasileva die Arbeitsstelle gewechselt, weil sie – wie viele ihrer bulgarischen Kolleginnen – immer wieder ausgebeutet wurde.

Die Arbeitszeit: Was in ihrem alten Arbeitsvertrag stand, weiß Daniela Vasileva nicht genau. Dafür spricht sie zu wenig deutsch. Früh ab 7.30 Uhr reinigte sie bis zur Öffnung der Geschäfte die ersten Räume, ab dem späten Nachmittag die nächsten. Sechs Tage, rund 30 Stunden in der Woche. Oft sei sie erst um 21 Uhr zu Hause gewesen. Als sie im Dezember sehr krank war, musste Vasileva trotzdem jeden Tag zur Arbeit. „Es gibt keine Vertretung“, habe ihr Arbeitgeber gesagt. Wie sie sich am Ende eines Arbeitstages fühlte? „Sehr müde.“ Urlaub habe der Arbeitgeber zwar gewährt – aber unbezahlt.

Das Geld: 770 Euro sollte Vasileva im Monat bekommen, die vielen Überstunden wurden aufgeschrieben, wohl auch bezahlt. Aber das Geld sei nie in einer Summe gekommen, mal bar und mal per Überweisung, immer zu spät. Was sie gemacht habe, wenn ihr das Geld ausging? „Warten und durchhalten.“ 300 Euro zahlt Vasileva anteilig für die Miete. Von dem Rest lebt nicht nur sie, sondern auch ihr Sohn, der noch zur Schule geht. Und die Großmutter, die nur eine ganz kleine Rente bekommt. Beide wohnen in Bulgarien, zwischen 100 und 200 Euro schickt ihnen Vasileva jeden Monat.

Die Wertschätzung: „Wenn das Geld regelmäßig gekommen wäre, wäre es okay gewesen“, sagt Daniela Vasileva. Seit einem Monat arbeitet sie nun für ein anderes Reinigungsunternehmen. Mit Hilfe des Berliner Beratungszentrums für Migration und Gute Arbeit Bema fordert sie von dem alten Arbeitgeber ausstehendes Urlaubsgeld und Gehalt. Nach der Kündigung hatte sie von ihrem letzten Monatsgehalt gar nichts mehr bekommen.

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? Ein paar schöne Anziehsachen – das wäre ein Traum, sagt Daniela Vasileva. Aber die Hälfte des Geldes würde sie auf jeden Fall nach Bulgarien schicken.

Die Aktivistin
Gelb schwarzes Bild einer Frau im Profil, der Kopf leicht zurückgeworfen, das Haar flattert
„Ich suche noch Pat*innen“

Der Job: „Es gibt keine richtige Jobbeschreibung für Bewegungs-arbeiter*innen. Wir haben ganz unterschiedliche Ansatzpunkte“, erklärt Paula Tilly. „Mein Fokus ist das Empowerment von anderen Aktivist*innen. Ich unterstütze sie dabei, ihre Sache so professionell zu machen, dass ihr Anliegen gut im Mainstream ankommt.“ Tilly organisiert Workshops, bei denen Aktivist*innen Handwerkszeug lernen: „Zum Beispiel, wie Nachrichten am besten verschlüsselt werden.“ Schon ihr Vater war in der linken Bewegung aktiv. Konkret politisiert wurde die 27­Jährige durch die Aktionen gegen den G20-Gipfel 2007.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Arbeitszeit: „Im Aktivismus ist es schwer, zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen. Allerdings habe ich dieses Jahr das Wochenende für mich eingeführt. Montag bis Freitag arbeite ich jetzt am Computer, gehe zu Plena und Gruppentreffen. Das dauert manchmal bis spät abends. Das Wochenende halte ich mir aber frei.“

Das Geld: Seit Oktober 2019 ist Paula Tilly eine der zehn Personen, die von der Bewegungsstiftung ideelle Förderung erhalten, also zum Beispiel Schulungen. Geld bekommt sie über Pat*innen, nicht von der Stiftung: „Wir müssen selbst um Pat*innen werben, die unsere Arbeit unterstützen.“ Sie sucht noch Pat*innen, bis jetzt bekommt sie erst 100 Euro monatlich. Mit Workshops und Vorträgen verdient die studierte Politologin etwa 400 Euro im Monat. „Ich brauche nicht viel. Ich wohne in einem Bauwagen einer Wagenburg, dort zahle ich keine Miete. Meine einzigen Fixkosten sind die Krankenkassenbeiträge.“

Die Wertschätzung: „Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit im Familien- und Freund*innenkreis gesehen und wertgeschätzt wird. Eigentlich von allen, denen ich davon erzähle.“

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Ich würde mir nichts Neues kaufen, ich würde das Geld in meine Projekte stecken. Damit könnte ich Fahrkarten zu Aktionen bezahlen oder meine Bildungsarbeit ins Internet tragen, über Videos oder Fernkurse. Ein paar Bücher würde ich mir vielleicht zulegen.“

Die Erzieherin
Farblich bearbeitetes Porträt einer Frau mit Brille und forschem Blick in die Kamera

Katja Reichel Foto: Foto: privat

„Ohne uns könnt ihr nicht arbeiten“

Der Job: „Eigentlich wollte ich Krippenerzieherin für die ganz Kleinen werden, aber das gab es nach der Wende nicht mehr.“ Also wurde Katja Reichel Erzieherin, arbeitete zunächst zehn Jahre im Kinderheim. Nachtdienste, Schichten – „Das wollte ich nach der Geburt meines ersten Sohns nicht mehr.“ Seit 2006 ist die 46-Jährige deshalb Erzieherin in einer Kita im sächsischen Mittweida, einer 15.000-Einwohner-Stadt bei Chemnitz. Um die Arbeitsbedingungen für sich und ihre Kolleginnen zu verbessern, engagiert sich Reichel außerdem in der Gewerkschaft. „Die beitragsfreie Kita ist ja schön, aber wir Erzieher haben davon gar nichts.“

Die Arbeitszeit: Sechseinhalb Stunden am Tag ist Reichel im Schnitt in der Kita, 30 Stunden in der Woche. „Ich mache die Arbeit mit Leib und Seele, das heißt, ich habe die ganze Zeit voll die Kinder im Fokus.“ Katja Reichels eigene Kinder waren auch bei ihr in der Einrichtung, nach der Arbeit ist sie gemeinsam mit ihnen nach Hause gegangen. Ob sie nicht manchmal genug hatte von der Kinderbetreuung? „Meine Söhne haben früh gelernt: Die Mama braucht jetzt ihren Cappuccino, und nach einer Viertelstunde ist sie wie-der ansprechbar.“

Das Geld: Die Gehälter in Reichels Kita sind an den öffentlichen Dienst angepasst. „So 1.600 Euro landen auf meinem Konto.“ Eine angemessene Entlohnung? „Ich persönlich bin zufrieden.“ Familien-urlaube, die Wünsche der Kinder, der Leistungssport des Größten, das gemeinsame Haus – „Wir können uns alles leisten, was wir brauchen.“

Die Wertschätzung: „Was, du bist bloß Erzieherin geworden, du hättest auch mal ein bisschen mehr aus deinem Leben machen können“, habe mal ein Bekannter zu Katja Reichel gesagt. Ihre Antwort: „Ohne uns könnt ihr nicht arbeiten gehen.“ Von den Kindern erfahre sie dagegen viel Wertschätzung: „Wenn man denen viele Möglichkeiten gibt, dann sind die einfach nur glücklich mit uns.“ Und die Eltern: „Früher hatte man Achtung vor uns, jetzt ist da vor allem ein Anspruchsdenken bei vielen Eltern.“ Trockenwerden, mit Besteck essen: „Was die Eltern zu Hause nicht schaffen, das sollen wir leisten.“

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Meine Kinder wollen unbedingt mal ins Disneyland Paris, das würde ich dann machen.“

Die Steuerberaterin
Farblich bearbeitetes Porträt einer Frau mit Brille und offenen Haaren

Agnes Musfeldt Foto: Foto: privat

„Es war mir unangenehm, über Preise zu sprechen“

Der Job: Als Agnes Musfeldt mit der Schule fertig wurde, da haben die Eltern gesagt: „Ein Studium können wir dir aber nicht bezahlen.“ Die heute 36-Jährige lernte also Steuerfachangestellte, bestand später die gefürchtete Prüfung zur Steuerberaterin, vor vier Jahren hat sie sich selbstständig gemacht. Musfeldt erstellt Buchführungen, Lohn-buchhaltungen, Jahresabschlüsse und Steuererklärungen. Jeden Tag neue steuerrechtliche Konstellationen und Probleme, Anfragen von Mandanten und Finanzämtern: „ein Traumjob“. Ob sie manchmal Kopfschütteln für diese Begeisterung ernte? „Täglich.“

Die Arbeitszeit: „Die Fristen, die jeden Monat einzuhalten sind, die bestimmen meine Arbeitszeiten.“ Es gibt Wochen, da sei sie nur 20 Stunden in ihrer Kanzlei, deutlich öfter sind es 50 oder 60. Weniger arbeiten, das kann sich Musfeldt kaum vorstellen, dafür so lange wie möglich: „Ich kenne eine Steuerberaterin, die ist 79 und arbeitet jeden Tag mit Freude ihre 8 Stunden, das ist doch klasse!“

Das Geld: Nach der Ausbildung zur Steuerfachangestellten hat Musfeldt 1.600 Euro brutto verdient, als angestellte Steuerberaterin 4.500 Euro. „Heute verdiene ich eher das Doppelte.“ Der Schritt in die Selbstständigkeit, er habe sich auch finanziell gelohnt. „Am Anfang war es mir unangenehm, über Preise zu sprechen“, sagt Musfeldt. „Aber inzwischen finde ich es sogar gut zu sagen: So viel ist meine Arbeit wert.“ Was sie sich leistet von dem verdienten Geld? Die Wohnung koste 1.300 Euro. Essen mit Freunden, ab und an ein Urlaub. „Ansonsten habe ich nicht einmal ein Auto, ich fahre Fahrrad.“

Die Wertschätzung: Immer mal wieder erlebe sie Geringschätzung von männlichen Kollegen. Einmal habe Musfeldt mit dem Handy bei einem Seminar gesessen. „Na, wenn der Chef nicht zuschaut, wird nur mit dem Handy gespielt, was...“, habe ein älterer Kollege gesagt. „Der weiß doch gar nicht, was er da redet, ich bin meine eigene Chefin“, sagt Musfeldt. Von Mandanten erfahre sie dagegen viel Dankbarkeit. Und auch vom Schreckgespenst Finanzamt: „Dort sitzen ja auch nur Menschen.“

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Wegfahren, ein paar Tage Ostsee oder Nordsee, auf jeden Fall ans Meer.“ Aber das könnte sie sich freilich auch so leisten.

Die Pfarrerin
Farblich bearbeitetes Porträt einer Frau in Pfarrerinnentracht

Dorothea Zwölfer Foto: Foto: privat

„Eine volle Stelle sind 48 Stunden“

Der Job: „Als evangelische Pfarrerin halte ich Gottesdienste, Beerdigungen, Trauungen, Taufen, gebe Religionsunterricht und kümmere mich um Verwaltungssachen“, erklärt Dorothea Zwölfer. In Franken ist sie für mehrere Dorfgemeinden zuständig. Daneben setzt sich die 55-jährige „Frau mit transsexueller Biografie“, wie sie sich selbst bezeichnet, in der Initiative Regenbogengemeinden in Bayern dafür ein, dass in ihrer Kirche auch LSBTTIQs willkommen sind – als Mitarbeitende und Teilnehmende.

Die Arbeitszeit: „Theoretisch bedeutet eine volle Stelle in der bayerischen Lan-deskirche eine 48-Stunden-Woche. Wie sich diese Zeit dann verteilt, ist sehr situativ. Man weiß ja zum Beispiel nie, wann ein Mensch stirbt. Da kann es auch einmal zwei Trauerfeiern in der Woche geben.“ Dazu kommen die regelmäßigen Kreise, Sitzungen und Gottesdienste, sagt Zwölfer. „Wenn man hört, dass bei der IG Metall 35 Stunden üblich sind, kommt man schon ins Denken. Aber die Motivation ist ja auch eine andere, man macht ja auch etwas, was einem selbst wichtig ist.“ Es gelte in ihrem Beruf auf die eigene Gesundheit zu achten, sich nicht zu überfordern, meint die Pfarrerin. Die Landeskirche unterstütze mittlerweile dabei.

Das Geld: „Die Gehaltsparallele ist die eines Gymnasiallehrers“, sagt Zwölfer. Zwischen 4.580 und 6.770 Euro sind das nach der aktuellen Besoldungstabelle für Bayern. „Man kann gut davon leben, aber keinen Reichtum anhäufen“, sagt die Pfarrerin. „Wenn es einem ums Geldverdienen geht, sollte man mit einem Abi und einem langen Studium was anderes machen. Wenn es einem nur um die Sicherheit der Verbeamtung geht, auch.“

Die Wertschätzung: „Wenn Menschen mich nach einem Gottesdienst im Seniorenheim in ihr Zimmer bitten und mir dann ihr Leben erzählen, das sind besonders schöne Momente“, sagt Zwölfer. Und die Kirche? „Bei Dienstjubiläen bekommt man einen Tag frei, aber Wertschätzung kommt eher von der Basis.“

Was kaufen Sie sich für unverhoffte 1.000 Euro? „Die würde ich spenden, zum Beispiel an Opferverbände von Vergewaltigten.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.