Wut. Trauer. Mut.

Eine Woche nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau bleibt die Frage: Was können wir tun? Acht Protokolle

Hanau, 20. Februar: Auf dem Marktplatz an Tag eins nach dem Anschlag Foto: Christian Jungeblodt

Rechtsterror stoppen

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Meine eine ersten Gefühle nach Hanau? Angst, Ohnmacht, Wut. Was passiert, wenn Deutschland kippt? Wohin gehen wir? Es reicht, dass Rassismus kleingeredet und immer wieder von Fremdenfeindlichkeit gesprochen wird. Es reicht, dass ein Ali es schwerer hat als Thomas, eine Wohnung zu bekommen. Es reicht, dass eine Fatma mit Kopftuch sich viermal mehr als eine Anna bewerben muss, um bei gleicher Qualifikation zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Es reicht, dass wir bei Angriffen auf Schwarze, auf Sinti und Roma direkt zur Tagesordnung übergehen. Ich selbst erhalte immer wieder Morddrohungen, stehe auf Todeslisten, bekomme Polizeischutz, erlebe Hass und Hetze von rechts wie nie zuvor in meinem Leben.

Rassismus ist in unserem Land heute keine Ausnahme, Rassismus ist für viele Menschen Alltag. Manch eine Kopftuch- oder Leitkulturdebatte, manch eine Äußerung über Migration und Flüchtlinge, über Clans und Shishabars – und damit meine ich insbesondere, aber nicht nur die AfD –– haben den Boden dafür bereitet, indem sie Deutschland in ein „Wir“ und ein „Die“ eingeteilt haben. Spaltung beginnt in den Köpfen und setzt sich in Bestsellern, Kommentarspalten und Tweets fort. Und wer nur noch mit Gleichgesinnten in der eigenen Blase kommuniziert, da ist es kein großer Schritt mehr hin zur Radikalisierung. Und dann können aus dem Hass auf Migranten, auf Muslime, auf Flüchtlinge auch schreckliche Taten werden. Hanau steht dafür beispielhaft.

Fakt ist aber auch: Wir können nicht bei Ohnmacht, Wut und Angst stehenbleiben. Mein Plädoyer: Jetzt erst recht. Wir überlassen den Hatern dieses Land nicht. Und Berlin geht hier mit vielen positiven Beispielen voran. Als Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement im Berliner Senat setze ich mich dafür ein, die Zivilgesellschaft in ihrem Einsatz gegen Rechts und für Demokratie zu stärken, Strukturen zu schaffen, damit dieses Engagement sich besser entfalten kann. Wir setzen uns dafür ein, dass Antisemitismus und Rassismus nicht immer weiter um sich greifen. Endlich steht das Thema antimuslimischer Rassismus auf der Agenda. Auch in puncto Sicherheit ist vieles geschehen. Moscheen und Synagogen, Kultureinrichtungen und größere Veranstaltungen werden verstärkt von der Polizei geschützt. Für bauliche Maßnahmen, wie Sicherheitstüren stehen jährlich fünf Millionen Euro zur Verfügung. Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, dass wir tiefergreifende Maßnahmen brauchen, um den Vormarsch der Rechtsterroristen zu stoppen. Ich bin zuversichtlich. Viele sind in den letzten Monaten aufgestanden. Und das ist gut.

Sawsan Chebli, Staatssekretärin in der Berliner Staatskanzlei

Sie sind umsonst gestorben

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Mein Sohn soll nicht umsonst gestorben sein, sagt die Mutter von Ferhat Unvar, der in Hanau ermordet wurde. Leider wird es so sein. Er ist umsonst gestorben. Genau wie alle anderen. Sie, ihr Sohn und alle anderen gehören nicht zu Deutschland, wie Bundesinnenminister Seehofer vor zwei Jahren verkündete. Die Migration sei die Mutter aller Probleme und der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Damit gehören sie und ihr Sohn genauso wenig wie ich zu Deutschland. Von einer „Zäsur“ wird nur gesprochen, wenn Biodeutsche getötet werden. Nicht die Höckes und Konsorten sind unser Problem. Wer als Innenminister einer wohlgemerkt christlichen Partei, der für die innere Sicherheit in diesem Land und damit für die Sicherheit aller Bürger in diesem Land verantwortlich ist, so etwas sagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn andere den Abzug drücken.

Taten statt Worte haben schon die NSU-Terroristen propagiert. Der Islam und damit die „Ausländer“ gehören nicht hierher. Schließlich geht es hier um den Erhalt der Deutschen Nation. Es wird alles beim Alten bleiben. Ein paar Tage Trauer, die Fahnen auf halbmast, alles bleibt wie es ist. Es wird nicht besser. Es wird schlimmer. Es kommen die nächsten Seehofers, die den Rechtsradikalismus mit der Thematisierung der Clankriminalität bekämpfen wollen. Schon wieder sind es die „Ausländer“, die Schuld daran sind, dass es Rechtsradikalismus in Deutschland gibt. Wer erklärt dieser Mutter, dass ihr Sohn umsonst gestorben ist?

Seda Başay-Yildiz, NSU-Nebenklageanwältin, Frankfurt

Schnell ist Normalität eingekehrt

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Hätte ein islamistischer Terrorist in Deutschland zehn Menschen erschossen, weil er gegen „Ungläubige“ vorgehen wollte, hätte es – völlig zu Recht – einen Aufschrei gegeben, der wochenlang nachhallt. Aber nach dem Terror von Hanau? Schnell ist Normalität eingekehrt. Kein Mensch ist auf die Idee gekommen, Karneval ausfallen zu lassen. Und hat irgendjemand eigentlich etwas über die Beerdigungen der Opfer gelesen? Kann wenigstens einen Namen der Ermordeten nennen? Mich erstaunt das nicht. Das ist kein neues Gefühl, dass Menschen, die braune oder schwarze Haut haben oder die einen fremd klingenden Namen tragen, in dieser Gesellschaft weniger wert sind. Wenn sie wegen genau dieser Eigenschaften ermordet werden, ist es anscheinend weniger schlimm. Politiker wie Friedrich Merz von der CDU vermitteln in dieser Lage allen Ernstes, am Rechtsextremismus seien letztlich die Ausländer selbst schuld. So wie CSU-Politiker Horst Seehofer behauptete, Migration sei „die Mutter aller Probleme“. So wie der CDU-Mann Heinrich Lummer, als Anfang der Neunzigerjahre Flüchtlingsheime brannten und Menschen ermordet wurden, erklärte: „Ich warne vor eine Überfremdung Deutschlands!“ All das ist inakzeptabel. Wie wird es weitergehen in Deutschland? Wir werden uns wehren, immer wieder, mit Worten und allen demokratischen und juristischen Mitteln. Wir müssen noch viel lauter werden.

Hasnain Kazim, Autor, Wien

Waffenbesitzer überprüfen

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Das Attentat in Hanau erschüttert zahllose Menschen in Deutschland. Scheinbar aus dem Nichts ist wurden Menschen mitten aus dem Leben gerissen, plötzlich, sinnlos, unbegreiflich. Den Zusammenbruch all dessen, was wir für sicher und stabil in unserem Leben halten, müssen die Angehörigen nun ertragen. Und wir müssen uns fragen, was können und was müssen wir tun, damit nicht noch mehr unschuldige Menschen mitten aus unserer Gesellschaft, mitten im Alltag, mitten unter uns ermordet werden? Das Waffengesetz in Deutschland ist eines der restriktivsten der Welt. Was versäumen wir? Offensichtlich geht es um die Vernetzung von Informationen, denn der mutmaßliche Täter war als Waffenbesitzer bekannt und er war ebenso als psychisch belastet auffällig geworden, als er Anzeige, gegen eine imaginäre Geheimdienstorganisation stellte. Die Zusammenführung der Informationen hätte zum sofortigen Entzug der Berechtigung zum Besitz von Schusswaffen geführt. Neben dieser Vernetzung ist eine obligatorische psychologische Begutachtung von Waffenbesitzern, wie sie als Antrag 2017 bei der Revision der EU Feuerwaffenrichtlinie vorlag und abgewiesen wurde, sinnvoll. Im Leben eines jeden Menschen kann es Entwicklungen geben, die ihn aus der Bahn werfen. Der Besitz einer Schusswaffe kann in einer solchen Situation fatale Folgen haben.

Gisela Mayer, Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden

Rassismus benennen

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Der Terroranschlag in Hanau hat nicht überrascht, aber geschockt. Es hat Menschen getroffen, die meine Geschwister hätten sein können. Meine Geschwister waren am Samstag wieder in einer Shishabar. Meine Schwester sagt am Telefon, wir sind immer in die Shishabar gegangen. Wir werden es auch weiterhin tun. Vor rechtem Terror können wir uns nicht selber schützen. Nur die Sicherheitsbehörden können das, die Zivilgesellschaft kann das, die Politik kann das. Die Sicherheitsbehörden, in dem sie ihrer Pflicht nachkommen, alle Menschen zu schützen und mit der Entnazifizierung in den eigenen Reihen und Köpfen beginnt. Die Zivilgesellschaft, in dem sie rechter Ideologie keinen Quadratzentimeter Boden einräumt, in dem sie sich als antifaschistisch versteht. Und die Politik, die ein verschärftes Waffenrecht durchsetzt, erwirkt, dass die NSU-Akten geöffnet werden, die Förderung für zivilgesellschaftliche Projekte sicherstellt, keine Kompromisse mit der AfD eingeht und Rassismus benennt.

Ronya Othmann, Autorin, München

Schutzpflicht des Staates

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Der Anschlag in Hanau kam nicht unerwartet. Erst kurze Zeit vorher ist ein Nazi-Terrornetzwerk von der Polizei hochgenommen worden. Die formulierten Ziele der Neonazis waren Terroranschläge auf die muslimische Minderheit des Landes, um dadurch Bürgerkriegszustände herzustellen. Dieses Wissen führt nicht dazu, dass es einem weniger das Herz zerreißt, dass diese unschuldigen Menschen sterben mussten. Die Trauer, die sich jetzt in ihren Familien ausbreitet, muss unermesslich sein. Schlimm waren auch Relativierungsversuche in den sozialen Medien und anderswo. Dass es einen hundertprozentigen Schutz nun einmal nicht gebe, usw. Eine solche Aussage macht es sich zu einfach. Niemand fragt hier nach dem Unsterblichkeitskraut. Es geht um menschenrechtliche Schutzpflichten des Staates, die eingehalten werden müssen, auch wenn das nicht zu einem absoluten Schutz führen kann. Dazu gehört: Dass der Staat keine Ressourcen scheut, den NSU-Komplex vollständig aufzulösen, alle Netzwerke von Nazis zu identifizieren und wirksame Maßnahmen gegen sie zu ergreifen. Bisher blieben die Mahnungen von Betroffenen und Opferanwälten ungehört. Auch nach innen hin muss der Staat aktiv werden und in den eigenen Behörden, insbesondere im Sicherheitsapparat die Verbindung zu Nazistrukturen mit einer Null-Toleranz-Linie eliminieren, also eine Entnazifizierung 2.0. durchführen. Die Generalbundesanwaltschaft sollte Rechenschaft darüber ablegen, wie sie mit den Informationen aus dem Brief umgegangen ist, den der Attentäter aus Hanau vorab dort eingesandt hat. Darüber hinaus sollte der Staat einen wirksamen, zugänglichen und schnell handelnden Beschwerdemechanismus für die Angehörigen der Opfer einrichten. Für potentiell Betroffene sollte es eine Meldestelle geben, wo sie bei Verdacht auf Verfolgung sofort Schutz finden können.

Deniz Utlu, Schriftsteller, Berlin

Tiefe Narbe im Herzen

Foto: privat

Was heißt es, mit einer Narbe, dem Verlust eines Bruders, eines Sohnes, eines Mannes zu leben? Ich habe 2004 den Nagelbombenanschlag in Köln miterlebt, habe Jahre lang den NSU-Prozess mitgemacht und wurde wie mein Mann beschuldigt: Bandenkrieg oder Zuhälterei oder irgendetwas anderes. Rassismus ausgeschlossen. Mein Sohn hat seinen Vater mit sieben Jahren unter die Erde gelegt. Deutschland, du hast in Bezug auf Rassismus versagt! Wir sind hier geboren, wir haben einen deutschen Pass, wir reden deutsch, wir halten uns an Gesetze. Aber das hat euch nicht gereicht. Wenn ihr Integration wollt, beherrscht erst einmal unsere Namen und unsere Geschichten. Vorher seid ihr keine Deutschen. Die Morde und Anschläge passieren in eurem Land. Das gehört zu eurer Geschichte. Was ihr als Trauer bezeichnet, ist eine tiefe Narbe, die wir im Herzen haben, die ihr zwei Tage lang lebt, indem ihr Kerzen anzündet. Ich bitte euch, die Familien der Opfer in Hanau nicht nur bei Trauerveranstaltungen zu unterstützen. Ich bitte euch, eure Kinder so zu erziehen, dass sie nicht irgendwann einmal Akten wegschließen.

Candan Özer Yılmaz aus Hamburg ist die Witwe von Atilla Özer, der 2004 beim rassistischen Nagelbombenanschlag des NSU in einem Friseurladen in der Kölner Keupstraße schwer verletzt wurde. Er starb 2017 an den Spätfolgen. Dieser Text ist eine Auszug aus Özer Yılmaz‘ Rede auf einer Demonstration in Hanau am 22. Februar.

Da bricht gerade etwas zusammen

Foto: Die Grünen

Als klar wurde, was in Hanau passiert ist, war mein erster Gedanke: Jetzt ist es wieder passiert. Wochen vor der Tat habe ich mich mit anderen über die Stimmung in Deutschland unterhalten. Überall war das Gefühl: Es wird bald wieder etwas passieren, wir wissen nur nicht wo. Nun ist es Hanau. Mich lässt nicht los, dass es die Kinder und Enkel der Zugewanderten und Gastarbeiter getroffen hat. Ich hatte nach dem Auffliegen des NSU mal eine Lesung, da kam ein Mann zu mir, der sagte, er sei nach Deutschland gekommen, damit seine Kinder hier eine bessere Zukunft hätten, und nun gingen seine Kinder zurück in die Türkei, um diese bessere Zukunft dort zu suchen. Da bricht gerade etwas zusammen. Das Gefühl, hier geschützt und Teil der Gesellschaft zu sein. Ich sage in meinem Wahlkreis immer: Wendet euch an die Behörden, wenn es Probleme gibt, die sorgen für euch. Jetzt gibt es Momente, an denen ich zweifle, ob das so noch stimmt.

Ich selber habe nie erwogen, Deutschland zu verlassen, das ist keine Option. Hier ist mein Kind geboren, hier ist mein Freundeskreis, mein Lebensmittelpunkt. Ich bleibe da, wo ich bin. Ich mache mich jetzt noch breiter, lasse mir keine Räume nehmen. Das Oberste ist jetzt, dass der Staat uns schützt, und zwar alle. Dass er Rassismus wirklich wirksam entgegentritt. Und dann müssen wir uns über unsere Zukunft austauschen: Wie wollen wir miteinander leben? Da, wo etwa die AfD zu spalten sucht, da muss uns das Einende gelingen. Es ist genau die Umvolkungsideologie dieser Partei, die kranke Menschen wie in Hanau zur Tat schreiten lässt. Als ob mein deutschtürkisches Kind Teil eines Geheimplans wäre, Deutschland zu unterwandern – wie absurd und niederträchtig! Wir müssen diese Partei endlich konsequent ausgrenzen.

Canan Bayram, Grünen-­Abgeordnete, Berlin-Kreuzberg