Ronya Othmann
und Cemile Sahin
Orient Express
: Rechtsextremismus, die Mutter aller Probleme – überall

Foto: Leon Kahane

Die Mutter aller Probleme ist der Rassismus. Vor einer Woche hat ein Rechtsextremer in Hanau zehn Menschen ermordet. Darunter waren eine Romni und Menschen mit kurdischen, türkischen, bulgarischen, bosnischen, rumänischen, afghanischen Wurzeln. Der Terrorist war kein verwirrter Einzeltäter, sondern ein Nazi. Er wollte ein arisches Deutschland und verabscheute die pluralistische Gesellschaft. Die Mutter aller Probleme ist der Rechtsextremismus.

Es gibt jedoch nicht nur deutschen, sondern auch türkischen Rechtsextremismus. Und der türkische Rechtsextremismus in Deutschland ist so gut organisiert und vernetzt, dass es der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht einmal mehr auffällt. Erdoğan und AKP-nahe Akteure vereinnahmen schon länger die Opfer von rassistischem Terror in Deutschland für ihre Ideologie. Auch in Hanau.

Plötzlich teilen viele auf Social Media Tweets von Seta-Mitarbeiter (AKP-Stiftung) Tarek Baeé oder Videos zu Hanau vom Erdoğan-Propaganda-Sender TRT Deutsch. Wie kann das sein, dass die Opfer von Hanau instrumentalisiert und diese Propaganda-Kanäle salonfähig gemacht werden? Wie kann es sein, dass Kübra Gümüsay zu Maybrit Illner als „Stimme“ einer marginalisierten Gruppe eingeladen wird? Obwohl sie in ihrem Buch „Sprache und Sein“ den islamistischen Schriftsteller Necip Fazıl Kısakürek (Erdoğans Lieblingsdichter, Antisemit) in einem Atemzug mit Audre Lorde, Schiller und Goethe nennt? Gümüsay sagte, es sei ein Recherchefehler gewesen. Dabei hätte es nur eine Google-Recherche von drei Sekunden gebraucht, um zu erfahren, wer dieser Mann war: ein Nationalist und Islamist. Die Mutter aller Probleme ist die deutsche Deutungshoheit, die kritische Stimmen, darunter auch Kurd*innen, Alevit*innen, und Ezîd*innen mundtot macht, in dem sie Kritik an Gümüsay als antimuslimischen Rassismus diskreditiert.

Es geht noch weiter: Nach dem Terroranschlag in Hanau telefoniert Angela Merkel mit Erdoğan. Bei Kundgebungen haben Organisationen wie MillîGörüșund Ditib gesprochen. Für viele Deutsche sind alle Menschen, die aus dem Nahen Osten kommen, Muslime, Türken oder Araber. Es ist auch der deutsche Rassismus, der die anderen Opfergruppen, darunter Kurd*innen unsichtbar macht. Und dadurch die türkische Kontinuität der Unterdrückung von Kurd*innen in Deutschland fortschreibt.

Auf einer Trauerfeier für die ermordeten Opfer in Hanau sahen wir türkische Flaggen und Nationalisten, die „Allahu Akbar“, „Gott ist groß“ brüllten. Das scheint die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht zu stören.

Die Fünftage­vorschau

Do., 26. 2.

Michelle Demishevich

Lost in Trans*lation

Fr., 27. 2.

Anna Dushime

Bei aller Liebe

Mo., 2. 3.

Hengameh Yaghoobifarah

Habibitus

Di., 3. 3.

Jürn Kruse

Nach Geburt

Mi., 4. 3.

Lin Hierse

Chinatown

kolumne@taz.de

Im Gegenteil. Stattdessen gilt die Parole: Wir müssen zusammenhalten. Doch türkische Nazis sind wie deutsche Nazis und mit deutschen Nazis möchte man auch nichts zu tun haben! Das ist keine Spaltung der Opfergruppen, sondern die Benennung der Mutter aller Probleme. Und die ist jeder Rechtsextremismus.