Abschiebung von Christophe Cissé: Machtlos gegenüber der Bürokratie

Christophe Cissé hat in Hamburg Freunde, Arbeit und eine Zukunft. Doch dann lief sein Pass ab. Nun soll er nach Mali abgeschoben werden.

Ein Demonstrationszug mit Transparenten

Freiheit für Cissé: Freunde und Unterstützer demonstrieren für seinen Verbleib in Deutschland Foto: Philipp Steffens

HAMBURG taz | Christophe Cissé soll abgeschoben werden, aber noch kann man ihn besuchen. Es ist ein kalter Morgen, das Nieselwetter passt zur Tristesse der zusammengewürfelten Container am Hamburger Flughafen, in denen das sogenannte Rückführungszentrum untergebracht ist. Hier werden aktuell zwölf Menschen festgehalten. Zwei Beamte arbeiten an diesem Morgen dort, außerdem noch Sicherheitskräfte einer privaten Firma.

Nach einer Durchsuchung geht es in einen Aufenthaltsraum. Christophe Cissé hat einen lockeren Gang, kurze Rastalocken und freut sich sichtlich darüber, dass jemand mit ihm sprechen möchte.

Cissé war in Mali Schulleiter und lernte dort eine Deutsche kennen, die ein Auslandspraktikum an seiner Schule machte. „Ich half ihr bei Übersetzungen und im Arbeitsalltag“, sagt er. Sie wurden Freunde und später ein Paar. Als sie wieder zurück nach Deutschland ging, wollte sie, dass er mitkommt. Sie heirateten in Mali und Cissé ging mit ihr nach Berlin. Das war 2012.

Cissé besuchte einen Deutschkurs, engagierte sich als Dolmetscher und Ansprechpartner für Geflohene sowie in der offenen Fahrradwerkstatt Flicken e.V. in Kreuzberg, gab Asylsuchenden Obdach und wurde Vater. Da er über den Familiennachzug einreiste, hatte der überzeugte Christ einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitsberechtigung. „Der war hier gut integriert“, meint Taina Gärtner, die Sozialberatung für Flüchtlinge in Berlin macht. Auch Lars Kriener vom Flicken e. V. erinnert sich gut an die gemeinsame Zeit: „Er war hilfsbereit, hat Ideen eingebracht und für uns Elektrogeräte repariert.“

Cissé hätte seiner Inhaftierung zuvorkommen können, wenn er freiwillig ausgereist wäre

Cissés Ehe lief allerdings nicht gut. Es gab häufig Streit und er erfuhr, dass das gemeinsame Kind nicht von ihm ist. Mit der Aberkennung der Vaterschaft und der Scheidung verlor Cissé 2015 seinen rechtmäßigen Au­fenthalt, den er durch den Familiennachzug bekommen hatte. Er rutschte in den Status der Duldung ab. Die hing jedoch von einem gültigen Reisepass ab. Als dieser 2017 ablief, benötigte die malische Botschaft in Berlin neun Monate, bis sie ihm einen neuen ausstellen konnte. „Der Pass musste in Mali bearbeitet werden. Das ging nicht schneller, weil da Chaos ist“, sagt Cissé.

Nach seiner Scheidung war er Ende 2015 nach Hamburg gezogen, um unter anderem für Airbus zu arbeiten. Ohne gültigen Pass konnte er jedoch seine Duldung nicht verlängern. Airbus musste ihm kündigen, Cissé wurde arbeitslos und war auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Er pendelte viel zwischen Berlin und Hamburg.

Ohne Pass hatte er auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe und bekam Probleme mit der Krankenversicherung, die ihm die Beiträge persönlich in Rechnung stellte. Am Ende hatte er 11.000 Euro Schulden bei der AOK.

Als er mit einem gültigen Pass Anfang 2018 eine Verlängerung seines Aufenthalts beantragen wollte, sagte ihm die Ausländerbehörde, dass er dafür eine Krankenversicherung braucht. Die AOK stellte ihm diese jedoch wegen der Schulden nicht aus. Dadurch konnte er auch Ansprüche auf Sozialhilfe, mit der er die Krankenkasse hätte bezahlen können, nicht geltend machen.

„Ich habe mich gefühlt, als würden die mich verarschen“, sagt Cissé resigniert. „Die AOK hat mir eine Bescheinigung über die Schulden gegeben, die habe ich dem Sozialamt vorgelegt. Aber die machen gar nichts.“

Auch die Ausländerbehörde beriet ihn anscheinend nicht richtig. Über die sogenannte 3+2-Regelung hätte er eine Ausbildung beginnen und einen eigenen Aufenthaltstitel für fünf Jahre bekommen können. Cissé sagt, dass ihm das nicht erklärt wurde. Selbst mit der Aussicht auf eine Stelle bei Makita Engineering in Hamburg wollte die Ausländerbehörde ihm keinen Aufenthalt gewähren.

Als er seine Duldung am 14. Februar verlängern wollte, wurde er in der Zentralen Ausländerbehörde in der Hammer Straße festgenommen und in Abschiebehaft gebracht, weil er sich weigerte, freiwillig auszureisen. „Dann kamen die Sicherheitsleute und nahmen mich fest.“

Die Ausländerbehörde in Hamburg möchte sich mit dem Verweis auf den Datenschutz zu dem Fall nicht äußern. Sie weist aber darauf hin, dass Cissé seiner Inhaftierung hätte zuvorkommen können, wenn er freiwillig ausgereist wäre. Nach Mali möchte er jedoch nicht zurück. „Da ist Krieg“, sagt er.

Asylantrag mit geringen Erfolgsaussichten

Am Samstag vor einer Woche hatten Freunde von Christophe Cissé zu einer Demonstration aufgerufen. Bei starkem Regen versammelten sich bis zu 100 Menschen am Lampedusa-Zelt am Steindamm, unweit des Hauptbahnhofes. Es wehte eine Antifa-Flagge, Menschen hielten ein Transparent mit der Aufschrift „Free Christophe“ hoch, es kamen Freunde und Leute, denen Cissé bei Amtsgängen oder Übersetzungen geholfen hat.

Cissé sagt, es habe ihm Kraft gegeben, dass so viele Menschen für seinen Verbleib demonstrierten: „Das hat mich sehr stolz gemacht. Es bedeutet mir viel, dass so viele kamen.“

Wie es weitergeht, weiß Christophe Cissé noch nicht. Ob er wieder als Lehrer in Mali arbeiten kann, ist ungewiss. Zudem macht er sich Sorgen über die Sicherheit im Land. Frankreich ist seit 2014 mit circa 1.000 Soldaten in Mali, sie sind Teil einer größeren Antiterroroffensive in den Sahel-Staaten. Auch die Bundeswehr hat ein Mandat für bis zu 1.100 Soldaten als Beitrag zur UN-Mission Minusma im Land. Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in Mali. Abschiebungen dorthin sind trotzdem möglich.

Die letzte Möglichkeit für Cissé, hier zu bleiben, ist ein Asylantrag. Den stellte er spontan, als er in der Nacht zum 26. Februar früher als geplant von der Polizei zum Flieger gebracht werden sollte. Die Aussichten auf Erfolg sind jedoch gering.

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