Frieden in Afghanistan nicht in Sicht: Eskalation des Krieges

Trotz Verhandlungen fordert der Krieg in Afghanistan immer mehr Tote. Die USA werfen mehr Bomben denn je. Das zeigen neue Untersuchungen.

Kinder stehen auf einem Hügel vor einem rauchenden Schornstein

Nach UN-Angaben tobt in Afghanistan auch der weltweit tödlichste Krieg für Kinder Foto: Parwitz/reuters

KABUL taz | Zerstörte Häuser, in denen Männer unter einem grauem Himmel Schutt wegschaufeln. In bunte Decken gehüllte Leichen, auf hölzernen Bettgestellen aufgebahrt. Weinende Dorfbewohner, die sie auf einen LKW laden. Die Fotos und kurzen Handyvideos, die am Mittwoch in sozialen Medien auftauchten, zeigen die mindestens sieben zivilen Opfer eines Luftangriffs der Streitkräfte Afghanistans, der sich bereits am vergangenen Sonntag im Dorf Boka in Nordafghanistan ereignete. Es handelt sich um drei Frauen und vier Kinder einer Familie; zwei weitere Menschen wurden verletzt.

Hätte es diese Bilder nicht gegeben, wäre das Verteidigungsministerium in Kabul vielleicht mit seinem Bericht durchgekommen, dass an diesem Tag in Boka bei einem Luftschlag „sechs Taliban“ getötet worden seien, die sich in dem Dorf zu einem Angriff versammelt hätten.

Die Regierung hat jetzt eine Untersuchungskommission angekündigt. Ob sie Boka erreichen wird, ist fraglich. Das Dorf liegt im Distrikt Balch der gleichnamigen Provinz, in dem die Taliban stark sind.

Das ist nur ein Fall, der für die jüngste weitere Eskalation im Afghanistan-Krieg steht. Trotz laufender Verhandlungen mit den USA führten die Taliban in den letzten drei Monaten des Vorjahres 8.200 Angriffe auf die afghanischen Streitkräfte aus. Das ist der höchste Wert im einem letzten Quartal, der je ermittelt wurde.

Offizielle afghanische Angaben sind notorisch unzuverlässig

Die Angaben stammen aus einem Bericht des US-Sonderinspektors für den Afghanistan-Wiederaufbau (SIGAR) von Ende der Woche. In 40 Prozent der Angriffe erlitten die Regierungstruppen Verluste. Auch diese haben sich nach SIGAR-Angaben „leicht“ erhöht. Exakte Zahlen werden geheim gehalten, dürften sich aber auf mindestens 6.000 belaufen. Nach letzten offiziellen Zahlen von 2016 wurden damals 8.100 afghanische Soldaten und Polizisten getötet und 14.200 verletzt, Tendenz steigend.

Gleichzeitig seien 2019 etwa 30 Taliban-Kämpfer pro Tag getötet worden, hieß es in einem Bericht der New York Times, der sich auf Angaben der afghanischen Behörden stützt. Das wären im ganzen Jahr etwa 10.000 tote Aufständische. Allerdings sind offizielle afghanische Angaben notorisch unzuverlässig. Der Fall des Dorfes Boka zeigt, dass diese Gesamtzahlen auch zahlreiche getötete Zivilist:innen enthalten.

Zugleich zeigen am Montag bekanntgewordene Statistiken des Zentralkommandos der US-Luftstreitkräfte, dass die US-Streitkräfte 2019 so viele Bomben und andere Geschosse bei Luftangriffen – meist zur Unterstützung afghanischer Truppen – einsetzten wie nie zu vor in diesem Krieg.

Zusammen mit dem bisherigen Rekordjahr 2018 bombardierten die USA stärker als in allen Vorjahren seit 2012 zusammen. Präsident Donald Trump hat also vor allem den Luftkrieg in Afghanistan drastisch eskaliert.

Verhandlungen treten auf der Stelle

Nach UN-Angaben tobt in Afghanistan auch der weltweit tödlichste Krieg für Kinder. Von Januar bis September 2019 wurden dort 2.400 Kinder getötet oder verletzt.

Über die genauen Zahlen der Zivilopfer 2019 wird erst ein neuer UN-Jahresbericht Aufschluss geben, der Mitte Februar erwartet wird. Die afghanische Menschenrechtskommission kritisierte bereits diese Woche die eigene Regierung für die Zunahme der von ihr verursachten zivilen Opfer. Demzufolge seien 2019 485 Afghan:innen von Kabuls Luftstreitkräften getötet und 265 verwundet worden.

Unterdessen treten die Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban in Katars Hauptstadt Doha wegen Uneinigkeit um die Modalitäten einer Waffenruhe auf der Stelle. Die Taliban hatten sich jüngst noch optimistisch gezeigt, dass bis Ende Januar ein Truppenabzugsabkommen unterzeichnet werden könnte.

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