Zweifelhafte Glyphosat-Gutachten: Studien aus dem Fälscherlabor

Als Behörden das Pestizid Glyphosat als ungefährlich einstuften, beriefen sie sich auch auf ein Labor, das offenbar Experimente manipuliert hat.

Demonstrierende in Gelbwesten halten ein Banner mit der Aufschrift "Wir vergessen euch nicht" und Zeichungen von Tieren.

Demonstration gegen die Firma LPT vor dem Hamburger Rathaus im Februar 2020 Foto: eventpress

BERLIN taz | Mehrere Tierversuchsstudien für die Zulassung des Pestizids Glyphosat stammen von einem Laborbetreiber, der offenbar Ergebnisse von Experimenten gefälscht hat. Das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nennt in seinem letzten Gutachten über das Unkrautvernichtungsmittel für die EU bei 14 Untersuchungen die Hamburger Firma LPT (Laboratory of Pharmacology and Toxicology) als Quelle.

Hinzu kommen mindestens 7 Studien, die sich anhand der Nummernkennung und des Autors wahrscheinlich dem LPT zuordnen lassen. Alle 21 Untersuchungen wurden von dem Hamburger Chemiehändler Helm AG beauftragt, der zu den Antragstellern für die Zulassung von Glyphosat gehörte. Das BfR-Gutachten war die wichtigste Vorarbeit für die EU-Behörden, die Glyphosat 2017 für weitere 5 Jahre zugelassen haben.

Der Fall könnte die Glaubwürdigkeit des amtlichen Pestizid-Zulassungssystems weiter erschüttern. Denn das BfR vertraute den LPT-Studien stärker als von der Industrie unabhängigen Untersuchungen, weil die zuständige Landesbehörde in Hamburg das Labor nach den „Grundsätzen der Guten Laborpraxis“ zertifiziert hatte.

Diese Regeln hat die Industrieländerorganisation OECD 1981 beschlossen, nachdem mehrere Studien nachweislich manipuliert wurden. Die Richtlinien schreiben den Laboren zum Beispiel unternehmensinterne Kontrolleure vor, die verhindern sollen, dass Ergebnisse gefälscht werden. „Dieses System hat hier auf jeden Fall versagt“, sagte der Toxikologe Peter Clausing, Vorstandsmitglied der Umweltorganisation Pestizid-Aktionsnetzwerk Deutschland.

Möglicherweise beeinflusst der LPT-Skandal auch das gerade laufende EU-Verfahren zur Verlängerung der Erlaubnis für den Wirkstoff Glyphosat, den die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Glyphosat wird unter anderem von Monsanto – der US-Tochter des Chemiekonzerns Bayer – produziert und ist das meistverkaufte Ackergift weltweit.

Der aktuelle Skandal wurde ausgelöst durch einen Aktivisten der Organisation Soko Tierschutz, der sich als Mitarbeiter in den LPT-Standort im niedersächsischen Mienenbüttel bei Hamburg eingeschlichen hatte. Videos, die er heimlich aufnahm, zeigten, wie Tiere dort gequält wurden. Er erklärte, dass Mitarbeitern zufolge ein bei einem Experiment für ein südkoreanisches Pharmaunternehmen gestorbener Affe durch einen lebendigen ersetzt worden sei. Im Versuchsprotokoll sei das unterschlagen worden.

In der ARD-Fernsehsendung „Fakt“ bestätigen zwei ehemalige LPT-Mitarbeiterinnen, dass die Firma auch bei anderen Versuchen mit Medikamenten Tiere heimlich ausgetauscht habe. „Ich habe es nicht nur erlebt, ich habe es auch gemacht. Ich habe Dokumente gefälscht […] wenn Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprachen, bin ich angehalten worden, das zu verbessern“, sagte eine der Frauen. Auch ein weiterer Mitarbeiter gab an, dass ein Tier ausgewechselt worden sei. Er sprach von „Betrug“. Während die anderen Informanten aus Angst vor Repressalien nur anonym in der Sendung auftraten, sagte ein ehemaliger Co-Autor von LPT-Studien sogar mit Namen vor laufender Kamera aus, dass die Firma Ergebnisse verfälscht habe.

Dass LPT Studien manipuliert hat, bezeugen also mehrere frühere Insider. Die Staatsanwaltschaft ermittele wegen Betrugs, sagte Behördensprecherin Liddy Oechtering der taz. Zwar ist bisher nicht bewiesen, dass die Firma auch Glyphosat-Experimente gefälscht hat. Aber der Verdacht liegt angesichts der Erfahrungen mit LPT nahe. Zudem datieren die fraglichen Studien zu dem Pestizid fast alle auf die Jahre 2009 und 2010. Damit fallen sie in einen Zeitraum, in dem Zeugen zufolge Manipulationen an Untersuchungen im LPT erfolgten.

Fragwürdiger Stempel „Gute Laborpraxis“

18 der 21 infrage stehenden LPT-Studien zu Glyphosat bezeichnete die Behörde BfR in ihrem Gutachten als „accepted“ – vor allem, weil sie den Stempel der „Guten Laborpraxis“ trugen. Sie waren nach Meinung der Beamten so gut, dass ihre Ergebnisse in vollem Umfang in die Risikobewertung einfließen konnten. Bei den restlichen 3 wurden die Versuchstiere nicht lang genug Glyphosat ausgesetzt. Dennoch lieferten sie „zusätzliche Informationen“ für die Zulassung, heißt es im BfR-Gutachten.

Die 18 in vollem Umfang akzeptierten Studien halfen den Beamten unter anderem zu belegen, dass Glyphosat das Erbgut nicht verändere, dass es also keine Gentoxizität habe.

Zwar stellt der glyphosatkritische Toxikologe Clausing fest: „Zahlreiche andere Studien aus anderen Labors sagen das Gleiche aus zur Gentoxizität. Das BfR wäre ohne die LPT-Untersuchungen nicht zu anderen Schlussfolgerungen gekommen.“ Aber Clausing kritisiert auch: „Alle Zulassungsbehörden ruhen sich darauf aus, dass die Studien angeblich den Grundsätzen der Guten Laborpraxis (GLP) entsprechen. Die Frage ist, wie gründlich die Kontrollen der zuständigen Länderbehörden sind.“ Die Ämter würden in der Regel die Firmen nur alle zwei Jahre überprüfen. „Mit etwas krimineller Energie kann man da vieles vertuschen“, so Clausing.

Harald Ebner, Grüner BundestagsabgeordneteR und Pestizidexperte

„Die Risikobewertung von Glyphosat muss neu aufgerollt werden“

„Der LPT-Skandal hat deutlich gemacht, dass die Integrität des GLP-Systems nicht gewährleistet ist und die vermeintliche ‚Fälschungssicherheit‘ von GLP-Studien daher trügerisch ist“, sagte Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker des österreichischen Umweltverbands Global 2000, der taz. Weil die Manipulationen so eklatant und jahrzehntelang nicht aufgefallen seien, liege der Verdacht nahe, dass auch in anderen Labors gefälscht werde. „Da die Behörden sich sehr stark auf GLP-Studien verlassen, ist keine Pestizidzulassung mehr sicher“, so Burtscher.

Gefahr von Gefälligkeitsgutachten

Der Grüne Bundestagsabgeordnete und Pestizidexperte Harald Ebner erklärte, der Fall „stellt den ganzen GLP-Standard infrage“. Die Risikobewertung von Glyphosat müsse „neu aufgerollt werden“, so der Politiker. „Besonders pikant ist, dass das BfR bisher stets die GLP-Studien der Hersteller allen unabhängigen Studien vorgezogen hat, die nicht diesem vermeintlich verlässlichen Standard entsprechen“, ergänzte Ebner.

GLP-Studien seien aber sehr teuer und würden daher von den Herstellern selbst beauftragt und bezahlt. „Mindestens im Fall von LPT hat das Labor als abhängiger Auftragnehmer dann offenbar die gewünschten Ergebnisse geliefert und unliebsame Resultate unter den Teppich gekehrt“, sagte der Grüne. „Spätestens bei dem jetzt anlaufenden Wiederzulassungsverfahren des Pflanzenvernichters ab 2023 dürften unabhängige Studien nicht länger abgewertet werden.“

Das BfR, Bayer und der Hamburger Chemiehändler Helm AG, der die infrage stehenden LPT-Studien in Auftrag gegeben hatte, ließen eine Bitte der taz um Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

In Hamburg ist die dortige Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz nach eigenen Angaben für die GLP-Prüfungen zuständig. „Aktuell ist die GLP-Bescheinigung für LPT aus dem Jahre 2017 gültig“, teilte das Amt der taz mit. Nachdem dem Labor vorgeworfen worden war, Versuchstiere ausgetauscht zu haben, „wurde zusätzlich eine Nachinspektion im Dezember 2019 durchgeführt“. Doch dabei habe man „keine grundsätzlichen Verstöße“ gegen die GLP-Regeln festgestellt. Auf die Frage der taz, ob das Amt in dem Fall versagt habe, antwortete es: „Nein, die im gesetzlichen Rahmen vorgeschriebenen Prüfungen wurden durch die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz regelmäßig durchgeführt“ – und zwar seit 1991 „mindestens alle drei Jahre“.

Die taz fragte das LPT, ob es auch die Glyphosat-Studien gefälscht habe. Das Unternehmen antwortete, „dass wir alle gesetzlichen Vorschriften insbesondere im Zusammenhang mit dem Tierwohl einhalten“.

Das grundlegende Problem ist für Umweltschützer Clausing, dass die Pestizidhersteller die Studien für die Zulassung selbst in Auftrag geben und selbst die Labore aussuchen. Dadurch könnten die Labore unter Druck geraten, Gefälligkeitsgutachten zu erstellen, um weitere Aufträge von den Herstellern zu bekommen. „Deshalb müssen die Studien künftig über einen industrieunabhängig verwalteten Fonds finanziert werden, der sich aus Gebühren der antragstellenden Firmen speist“, so Clausing.

Zulassungsverfahren von Pestiziden in der Kritik

Umweltaktivisten halten das Pestizid-Zulassungsverfahren schon seit langem für mangelhaft. Ein Beispiel ist für sie das Insektengift Chlorpyrifos, das laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit Embryonen schädigt, EU-weit aber erst seit Ende Januar verboten ist. Die EU hatte den Wirkstoff 2005 zugelassen, obwohl bereits 1998 ein Tierversuch Gesundheitsrisiken zeigte.

Schon in den 1970er und 80er Jahren manipulierte die US-Firma Industrial Bio-Test Laboratories (IBT Labs) zahlreiche Tests an Tieren für die Zulassung von Pestiziden sowie anderer Chemikalien. Mehrere Mitarbeiter dieses seinerzeit größten privaten Tierversuchslabors wurden dafür von Gerichten des Betrugs schuldig gesprochen. Es ging auch um Studien im Auftrag von Monsanto.

In der Forschung ist die Frage, ob Glyphosat Krebs auslöst, umstritten. Die US-Umweltbehörde EPA und auch die Aufsichtsämter in der EU und Deutschland gelangten zu dem Schluss, dass von dem Wirkstoff keine Krebsgefahr ausgehe. Anders als die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation beziehen sie sich vor allem auf Studien der Hersteller.

Bayer ist in den USA mit über 42.700 Klägern konfrontiert, die nach eigenen Angaben wegen des Pestizids an Krebs erkrankten. In den ersten drei Prozessen wurde Bayer zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt. Derzeit verhandelt der Konzern über einen milliardenschweren Vergleich.

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