Wegen Coronavirus schasst Peking Parteikader

Die chinesische Führung zieht erste personelle Konsequenzen und tauscht die Kader in der Provinz Hubei aus. Unterdessen steigt die Zahl der Infizierten dramatisch an

Coronavirus und Regen. In Hongkong versuchen die Menschen, sich vor beidem zu schützen Foto: Vincent Yu/ap

Aus Peking Fabian Kretschmer

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die politische Säuberungswelle in China losgehen würde. Auch zeichnete sich bereits ab, dass es als erstes Opfer den Bürgermeister von Wuhan treffen würde, gefolgt vom Chef der umliegenden Provinz Hubei. Die dortigen Parteikader haben schließlich mehrere Wochen lang versucht, das neuartige Coronavirus zu verheimlichen. Am Mittwoch war es soweit: Die Zentralregierung in Peking tauschte die beide aus – unter anderem gegen den ehemaligen Bürgermeister Shanghais, der als politischer Ziehsohn von Präsident Xi Jinping gilt.

Das Kalkül hinter der prominent in den Staatsmedien berichteten Maßnahme: Peking möchte die Schuldfrage für den Virusausbruch vor allem auf der Ebene der Lokalregierung belassen. Doch schon bald könnte die Krise auch die Führung in die Bredoullie bringen. Schließlich befindet sich das Land noch immer im Stillstand: Zwar wurden einige Fabriken mittlerweile wieder eröffnet, um die Unterbrechung von Lieferketten im Zaum zu halten und die Versorgung medizinischer Ausrüstung zu gewährleisten. Doch viele Schulen und Universitäten, der Dienstleistungssektor generell und auch viele mittelständische Betriebe sind nach wie vor geschlossen. Vor allem die Verdienstausfälle für die Abermillionen Landarbeiter dürften für Unmut und Frust sorgen.

Auch die anhaltende Quarantäne zehrt an den Nerven. Die drastischsten Einschränkungen hat die Stadt Shiyan in der Provinz Hubei ausgegeben: Dort dürfen sämtliche Bewohner bis auf einige Ausnahmen nicht einmal mehr ihre Wohnungen verlassen. Solche Maßnahmen können auch als vorauseilender Gehorsam der Lokalregierung verstanden werden, die von Peking verordnete Virusbekämpfung mehr als ernst zu nehmen.

Dabei scheint die Lage in Hubei immer bedrohlicher. Nur wenige Stunden vor diesen personellen Konsequenzen vermeldeten die Gesundheitsbehörden eine Hiobsbotschaft: 14.840 Menschen sollen sich innerhalb der letzten 24 Stunden mit dem Erreger infiziert haben – also fast zehnmal so viele wie noch am Tag zuvor. Allerdings hängt der massive Anstieg vor allem mit einer geänderten Zählweise zusammen. Benjamin Cowling, Epidemiologe von der Universität Hongkong, erklärt das so: Bei Epidemien würde zwischen drei Kategorien an Patienten unterschieden: Verdachtsfälle, wahrscheinliche Fälle und klinisch bestätigte Fälle. Seit Donnerstag würden nun auch sämtliche wahrscheinlichen Fälle zu den Infizierten gezählt. Denn immer mehr Bewohner Wuhans, die sich ganz offensichtlich angesteckt haben, zeigten dennoch bei Tests negative Resultate.

„Die Schlüsselfrage ist, wie schwerwiegend die Infektionen des neuen Coronavirus tatsächlich sind“, sagt der Forscher. Vergleichswerte sind für die Experten das Sarsvirus mit niedriger Übertragungs- und hoher Sterberate und die herkömmliche Grippe, die hochansteckend aber meist nicht sonderlich gefährlich ist. „Das neue Coronavirus liegt in etwa in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen“, sagt Cowling.

Die Zentralregierung möchte die Schuldfrage gern auf der Ebene der Provinz belassen

Sein Universitätskollege John Nicholls sagt: „Wir haben keinen blassen Schimmer über die tatsächliche Zahl der Infizierten, weil eine Dunkelziffer nur leichte Symptome zeigt und nicht getestet wurde.“ Auch wenn beide Mediziner grundsätzlich zufrieden sind mit der Informationspolitik der chinesischen Behörden, bleiben doch viele Fragen unbeantwortet – etwa, warum sich bislang derart viele Krankenhausmitarbeiter angesteckt haben.

Bislang hielten die Behörden in Wuhan jene Statistik unter Verschluss, doch die Hongkonger Zeitung South China Morning Post hat nun veröffentlicht, dass sich allein in Wuhan bis Mitte Januar über 500 Krankenpfleger und Ärzte angesteckt hätten und weitere 600 als Verdachtsfälle gelistet werden. Krankenhäuser wurden von der chinesischen Regierung angewiesen, die Zahl nicht zu veröffentlichen – vermutlich, um die Moral der unter immenser Arbeitslast stehenden Mediziner nicht zu schwächen.

Wie nervös die chinesische Regierung ist, zeigt auch die Festnahme zweier Bürgerjournalisten in Wuhan: Diese hatten unter anderem Videoaufnahmen von Krankenhäusern veröffentlicht, auf denen auf den Boden herumliegende Leichensäcke zu sehen waren. Zunächst wurden die beiden nur verhört, nun aber sollen sie laut Medienberichten nicht mehr erreichbar und festgenommen worden sein.