Spielfilm „Das freiwillige Jahr“ im Kino: Revolte der Tochter gegen den Vater

Der Film „Das freiwillige Jahr“ von Ulrich Köhler und Henner Winckler erkundet juvenile Gefühlswelten. Das tut er authentisch und unprätentiös.

Eine junge Frau sitzt auf dem Beifahrersitz eines Autos.

Die Tochter Jette (Maj-Britt Klenke) entdeckt ihren eigenen Kopf Foto: Grandfilm

Im neuen Film von Ulrich Köhler und Henner Winckler will eine junge Frau weg von ihrem Vater. Manchmal will sie es auch nicht. Im Grunde aber doch. Die Frage ist die nach den Bedingungen des Zusammenlebens und Auseinandergehens innerhalb einer kleinen Familie ohne Mutter: Was auch immer passiert, für Jette soll das Leben nicht länger so laufen, wie es der Papa Urs geplant hat. Der vermeintlich pubertäre Ausbruch steht zu Beginn, dann müssen alle den Folgen ins Gesicht sehen.

„Kommst du?“, meint Urs gleich zu Beginn – Winckler und Köhler vergeuden ab dem ersten Moment keine Zeit und gehen direkt in die Situationen. Doch erst später werden die Prämissen klar: Der Urs hatte kürzlich die Idee, Jette für „Das freiwillige Jahr“ nach Costa Rica zu schicken, damit sie einem befreundeten Arzt im Krankenhaus zur Hand geht.

Freiwillig jedoch fühlt sich die geplante Zeit im Ausland für Jette so gar nicht an. Also tut sie, was Teenager in Filmen gerne tun. Sie widersetzt sich. Und schnell zeigt sich, dass ihrem Aufstand weitere folgen könnten. Weil sie in einer Situation lebt, die sich kaum ertragen lässt. Was fehlt, ist im Grunde ihr Coming-out: Noch realisiert niemand so recht, dass sie ihren eigenen Kopf hat. Und Urs der Vater, Urs der Mann, Urs der Dorfarzt: Er will bestimmen und kontrollieren, die Welt und seine Tochter unter Kontrolle halten.

Und direkt geht’s ab ins Auto, rastlos auf den Weg zum Flieger. Noch kurz die Kamera holen beim Bruder. Der ist Alkoholiker, betont Urs, obwohl seine Tochter das längst weiß. Weil er im Recht sein will, integer sein will. Weil er betonen will, das sein und das Leben von Jette richtig laufen und das der anderen in der Regel falsch ist – oder zumindest weniger richtig.

„Das freiwillige Jahr“. Regie: Ulrich Köhler und Henner Winckler. Mit Maj-Britt Klenke, Sebastian Rudolph u. a. Deutschland 2019, 86 Min.

Die Kamera beim Bruder zu holen, wird eine Herausforderung, so wie viele der schrägen bis aufwühlenden Hürden, über die die Figuren im Film durch ein unerbittliches, entschlossen-komisches Drehbuch getrieben werden. Eine gemäßigte Routine, der träge Frieden des Alltäglichen: Im Leben von Urs und Jette dürfen sie über knapp neunzig Filmminuten keine Rolle spielen.

Wappentier der Sturköpfe

Als Urs zu Beginn ruft, sitzt Jette übrigens im Garten mit einem kleinen Esel, den er sich neben dem Haus hält. Der Esel im Garten ist natürlich ein Vorbote, das Wappentier der Sturköpfe. Es braucht keine kompliziertere Metapher. Denn Eseln und Sturköpfen dabei zuzusehen, wie sie sich verweigern, beharren und beschweren, das macht zumindest im Kino und im Zirkus meistens irgendwie Spaß.

Als sturer, obsessiver Urs gibt Sebastian Rudolph einen tragischen Clown, der das Lachen aus seinen Gegenteilen heraus erkundet, nie düster wird, immer unangenehm nah am Nervenzusammenbruch tänzelt und mit seiner tollpatschigen Verletzlichkeit und Wärme keinen Umgang findet. Und so gibt sich auch das „Das freiwillige Jahr“ als Komödie, deren Rastlosigkeit und psychologische Aufgewühltheit heitere Zuschreibungen immer wieder auch zielsicher abprallen lässt.

In der Nacht schleichen sich die großen Fragen ein und ein Sinn dafür, dass die filmische Welt hier nicht naturalistisch sein müsste, sondern es aus einer Entscheidung heraus geworden ist. Einmal begegnen der Gartenesel und ein Artgenosse etwa einer Herde von Schafen, während Urs alleine ist und sich nach seiner Tochter sehnt. Die Mitte des Films, ein Innehalten. Die Revolte der Tochter gegen den Vater ist dann schon passiert. Ein Kirchenchor tönt, weil Urs mit Musik besser schläft, das Geträller überhöht die Szene halb ironisch zum Gleichnis.

Sie hat es nicht anders gelernt

Herdentiere zu sein, das scheinen sowohl der Vater als auch die Tochter wenig erstrebenswert zu finden. Doch lieber exzentrisch bis zum Bruch? Er hat es ihr beigebracht, wie aus Versehen. Sie hat es nicht anders gelernt. Doch beide haben sie den eigenen Freiheitsbegriff nicht so recht unter Kontrolle. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig.

Eine andere Nacht: Jette und ihr Freund Mario im Auto, auf der Flucht vor der Zukunft und doch auch halb entschlossen, diese miteinander zu beschreiten. Es ist dunkel, sie lieben sich, Marios Tattoo fällt auf. Raketen von der Mitte seines Herzens, hinauspreschend in den offenen Raum, mit noch unbekanntem Ziel.

Der Film spricht sich für eine Gefühlswelt aus, die sich nicht im Zaum halten will, in die Entfaltung strebt. Die zwei jungen Leute spielen in ihren gemeinsamen Szenen miteinander eine Authentizität, als gäbe es im deutschen Kino kein Overacting.

Der Morgen kommt in diesem Film immer wieder, unerbittlich: Wenn Maj-Britt Klenke als Jette und Thomas Schubert (Mario) bald wieder auf Sebastian Rudolph als wahnsinnigen Vater treffen, wenn sich deren Spielweisen in der unprätentiösen Bildsprache des Films aufs Deutlichste begegnen, wirkt es mitunter erneut, als stünden sich da eben Esel und Esel gegenüber. Bei den Menschen ergibt sich das Gleichnis auch ohne Choral.

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