„Die Welle“ als Jungendtheaterstück: Schullektüre auf der Bühne

Mit Slapstick, aber auch mit deutlich erkennbarem pädagogischen Auftrag hat das Grips Theater in Berlin „#diewelle2020“ inszeniert.

Vier junge Männer auf einer Bühne, alle in Bewegung, der in der Mitte wird bedrängt.

Es kommt zu Konflikten unter den Schülern Foto: David Baltzer

Schulklingel, Kreide, Hausaufgaben. Wie zeigt man einen Stoff, mit dem sich das Zielpublikum bestens auskennt, nämlich die Schule, für die es der Alltag ist und sich ein Theaterbesuch immer ein wenig nach Pflichtprogramm anfühlt? Mit viel Humor und überzogener Jugendsprache. Im Grips Theater in Berlin gibt es in der Inszenierung von Jochen Strauch mit „#diewelle2020“ für Schulklassen Generationskomik und originellen Slapstick zu sehen, um unaufdringlich zur Reflexion über soziale Strukturen anzuregen.

Die überraschenden Momente, die etwa das spielerisch eingesetzte Bühnenbild erzeugen, braucht das lange Stück. Ist dem Publikum bereits das Setting der Schulsituation sehr vertraut – den folgenden Inhalt kennen die meisten hier auch. Mit kleinen Anpassungen an das aktuelle Jahrzehnt und an Berliner Gegebenheiten gibt „#diewelle2020“ die Geschichte des Sozialexperiments in einer amerikanischen Schulkasse wieder, wie sie Todd Strasser alias Morton Rhue 1984 beschrieben hat.

Der Roman „Die Welle“ ist seit vielen Jahren Schullektüre und wurde schon oft für Theaterbühnen adaptiert. Größere Bekanntheit erreichte der Stoff in Deutschland außerdem 2008, als Dennis Gansel ihn gleichnamig mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle verfilmte.

Einen glatzköpfigen Geschichtslehrer mit Zahnlücke gibt es im Grips nicht. Stattdessen wird das Publikum von der Lehrerin Berit Rosenberg, überzeugend gemimt von Katja Hiller, zur Mitarbeit motiviert. An diesem Abend befinden sich die meisten Theatergäste doppelt in der Schulklassenrolle, entsprechend unruhig ist der Saal. Auf dem Lehrplan einer fiktiven Berliner Gesamtschule steht: Nationalsozialismus – und die Frage: Wieso haben so wenige widersprochen? Antworten bekommt die charismatische, schlagfertige Lehrerin nur von den im Zu­schaue­r*in­nen­raum verteilten Schau­spie­le­r*in­nen.

Die vierte Wand durchbrochen

Angesprochen sind durchgängig alle. Elegant wird im sketchartigen Stück die vierte Wand durchbrochen. Die Figuren sind nicht nur durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen des jungen Ensembles nahbar.

Nach erschütternden Bildern aus Konzentrationslagern diskutieren die Schü­le­r*in­nen der Gesamtschule. Heute, im weltoffenen Berlin, könnte eine Diktatur nicht mehr entstehen, sind sie sicher. Rosenberg startet daraufhin ein Experiment mit ihrer Klasse – zunächst mit leichten Disziplin- und Atemübungen, mit Handyverbot, schließlich gibt es für den Gemeinschaftssinn Parolen und Symbole. „Stärke durch Disziplin, Kraft durch Gemeinschaft, Macht durch Handeln“ wird mantramäßig geflüstert, gesungen, geschrien. Ein geheimer Gruß schweißt die Gruppe weiter zusammen, „die Welle 2020“ ist geboren.

Wie in der Buchvorlage, ist das, vor der dramatischen Zuspitzung, alles nett anzusehen: Außenseiter gehören plötzlich dazu, Teamgeist euphorisiert, die Lehrerin freut sich über Schulengagement und Anerkennung ihrer Person. In der Grips-Version wird eine Gesangseinlage von Jürgen Paapes „So weit wie noch nie“ auf herumwirbelnden Schultischen vom jugendlichen Publikum mit Kichern und hochgezogenen Augenbrauen rezipiert. Das häufig mit elektronischen Beats unterlegte und optisch abwechslungsreiche Stück schafft es trotz Handyverbot mit verstohlen gezückten Smartphones in ein paar Instagram-Postings.

Sprachlich nicht überzeugend

Stichwort Instagram-Likes, Fridays-for-Future-Verweise und geheime WhatsApp-Chats – das ist, was für den Sound von 2020 steht, gemischt mit „Ey, wo war noch gleich der Bus mit Leuten, die das interessiert?“. In der Soziolinguistik heißt es, Jugendsprache funktioniere so lange, bis Erwachsene versuchen, sie zu verstehen und nachzuahmen.

"#diewelle2020" in einer Grips-Fassung und Übersetzung von Jochen Strauch nach Motiven des Romans „Die Welle“ von Todd Strasser (Morton Rhue), Grips Theater Berlin. Weitere Termine hier.

Sprachlich überzeugt das Jugendtheaterstück nicht immer, fragt man Schü­le­r*in­nen, bemängeln sie die Länge mancher Szenen. Doch es bietet einen Anstoß, um über Rechtsextremismus und Mobbing zu diskutieren. Den pädagogischen Auftrag nimmt das Grips nicht nur durch die Stückwahl ernst. Im Anschluss an einige Vorstellungen von „#diewelle2020“ wird es einen Dialog mit dem Verein „Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e. V.“ und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus geben.

Denn am Ende des Experiments steht eine Gruppendynamik, die Angst macht, ein Kind mit Migrationshintergrund wird verprügelt. „Ist uns Demokratie zu anstrengend geworden? Was ist die Alternative?“, fragt Berit Rosenberg mahnend ins Publikum.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.