befreiung von auschwitz
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Die Gedenkshow der Mächtigen

Die diesjährigen Feierlichkeiten zur Auschwitz-Befreiung waren die mit Regierungschefs am hochkarätigsten besetzte Veranstaltung, die je in Israel stattfand. KritikerInnen befürchten, dass das Gedenken zu einer Plattform für staatspolitische Interessen wird

Beim Hand­shake: der russische Präsident Wladimir Putin, Israels Präsident Reuven Rivlin und Premierminister Benjamin Netanjahu. Daneben sitzen der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Prinz Charles (von links nach rechts) Foto: Ronen Zvulun/reuters

Aus Israel Judith Poppe

Nur ganz am Schluss der Veranstaltung spricht ein Holocaust-Üerlebender, Rabbi Meir Lau, von seinen Erfahrungen während der Shoah – auf einer Veranstaltung, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, der ermordeten Jüdinnen und Juden zu gedenken. „An den Holocaust erinnern. Antisemitismus bekämpfen“ war das Motto des fünften World Holocaust Forum, der wohl größten und hochkarätigst besetzteb Veranstaltung, die in Israel je stattgefunden hat. Nahezu minütlich waren in den vergangenen Tagen Delegationen von mehr als 45 Königen, Regierungschefs und Präsidenten aus der ganzen Welt am Ben-Gurion-Flughafen angekommen.

„Danke für die Solidarität mit dem jüdischen Volk. Danke für die Verpflichtung an das Gedenken der Shoah“, begrüßte der israelische Präsident Reuven Rivlin die Teilnehmer*innen des Forums in Yad Va­shem, der weltweit wichtigsten Gedenkstätte zum Gedenken an die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus. Dabei stand er vor einem Bronzerelief, das die Vernichtung, aber auch den Aufstand und Widerstand der Juden im Warschauer Ghetto symbolisiert.

Bereits im Vorfeld hatte es Kritik an der kostenintensiven und hochoffiziellen Veranstaltung gegeben, unter anderem kam sie von Holocaust-Überlebenden, denen aus Platzgründen die erwünschte Teilnahme versagt wurde. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass nur ein Holocaust-Überlebender eingeladen wurde zu sprechen: der Vorsitzende des Yad-Vashem-Rates Rabbi Israel Meir Lau. Der Vorsitzende der Gedenkstätte, Avner Shalev, verwies darauf, dass mehr als 100 Überlebende der Veranstaltung beiwohnen würden. Derzeit leben in Israel noch circa 200.000 Überlebende.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, dass Israel seine Lektion aus der Geschichte gelernt habe und alle Drohungen gegen Israel ernst nehmen würde. Der Staat Israel sei ein „Schutzschild“ für die Jüdinnen und Juden, sagte er und rief die versammelten Staatsoberhäupter dazu auf, den Iran, „der Nuklearwaffen anstrebt“, zu konfrontieren: „Israel wird alles tun, um den eigenen Staat zu schützen und die jüdische Zukunft zu gewährleisten.“

Betont emotional gab sich der amerikanische Vizepräsident Mike Pence in seiner Rede. Er bekräftigte die Wichtigkeit, gegen den Iran zu agieren, und rief alle Nationen, die versammelt waren, dazu auf, die USA darin zu unterstützen.

2019 besuchten erneut mehr Menschen KZ-Gedenkstätten in Deutschland. So meldete die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Dachau knapp 900.000 BesucherInnen. Das ehemalige KZ Sachsenhausen suchten mehr als 700.000 Personen auf. Die Belastungsgrenze für Personal und Infrastruktur sei, so mehrere Betreiber, mittlerweile erreicht.

In Berlin interessierten sich 2019 über als 1,3 Millionen für die Stiftung Topographie des Terrors. Seit mehreren Jahren beobachten GedenkstättenleiterInnen eine zunehmende Tendenz einzelner BesucherInnen zu Geschichtsrevisionismus und sekundärem Antisemitismus. (epd, taz)

„75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er betonte seine Dankbarkeit für „die ausgestreckte Hand der Überlebenden“ und „für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland“.

Die Geschichte habe die Deutschen jedoch nicht immun gegen antisemitisches, völkisches und autoritäres Denken gemacht, sagte Steinmeier in Hinblick auf antisemitische Vorfälle und den Anschlag in Halle im vergangenen Jahr und schloss an: „Wir stehen an der Seite Israels.“ Steinmeier erntete langen Applaus für seine Rede. Auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron warnte vor erneut grassierendem Antisemitismus und Fremdenhass und betonte, dass Antisemitismus nicht nur ein Problem der Juden sei, sondern zunächst einmal das Problem der anderen.

Der russische Staatspräsident Wladimir Putin betonte die Leistungen der Roten Armee bei der Befreiung vom Nationalsozialismus und bedauerte, dass das Gedenken an die Shoah politisiert werde. Diese Kritik war ihm im Vorfeld der Veranstaltung selbst entgegengebracht worden.

Viele Israelis befürchteten, dass das Forum zu einer Plattform für staatspolitische Interessen werde. Auch innerhalb von Yad Vashem hat es laut der Zeitung Ha’aretz Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob die Veranstaltung in der Gedenkstätte ausgetragen werden sollte. Sie solle, so einige Stimmen, keine Veranstaltung ausrichten, die mit nationaler Diplomatie oder prorussischen Interessen zu tun habe.

„75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Organisator der Veranstaltung ist der russische Oligarch und Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, Moshe Kantor. Ihm wird nachgesagt, ein guter Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sein. Auseinandersetzungen um die verschiedenen Narrative haben im Vorfeld des Holocaust Forum zu Zerwürfnissen geführt. Ha’aretz sprach gar davon, dass Israel „Stalins Handschlag mit Hitler“ reinwasche. Der polnische Präsident Andrezj Duda hatte seine Teilnahme am Forum abgesagt, weil er im Gegensatz zum russischen Präsidenten Putin nicht als Redner eingeladen worden war (siehe Text rechts).

Die Ankunft Wladimir Putins ist auch deshalb mit besonderer Aufmerksamkeit aufgenommen worden, weil viele Israelis auf eine Freilassung der 26-jährigen Naama Is­sachar hoffen. Issachar sitzt wegen Cannabisbesitzes von unter 10 Gramm mit einer ungewöhnlich hohen Gefängnisstrafe von siebeneinhalb Jahren in russischer Haft. In einem Treffen zwischen Ministerpräsident Netanjahu, Putin und der Mutter von Naama, das vor den Feierlichkeiten in Jerusalem stattfand, kommentierte Putin dies mit den Worten: „Alles wird gut sein.“ Die Freilassung könnte allerdings, so vermuten israelische Medien, einen Preis haben: die Unterstützung von israelischer Seite fürfürfür Putins Narrativ über die russische Rolle im Zweiten Weltkrieg und die Rückgabe von russischen Gebäuden in Jerusalem.

Nach dem World Holocaust Forum in Yad Vashem werden zahlreiche der Staatsoberhäupter zu den Feierlichkeiten anlässlich des Internationalen Gedenktages an die Opfer des Holocausts am 27. Januar in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau weiter­reisen. Putin ist nicht eingeladen.