Thomas Melles Stück „Ode“ in Berlin: Der Tod des Theaters

Im Stück „Ode“ spielen Linksaktivisten rechtsextremen Kräften in die Hände. Eine Uraufführung am Deutschen Theater Berlin.

In farbigen Lichtstrahlen bewegen sich Figuren, tanzen, verschwimme.

In „Ode“ wird getanzt und projiziert Foto: Arno Declair

Der Schauspieler und Regisseur Orlando rutscht mit Putzlappen in der Hand auf Knien über die strahlend weiße Bühne. Das schwarze Wasser im Eimer färbt den Boden immer dunkler – ein Bühnenbeschmutzer, dieser Orlando. Er hat es gewagt, als weißer, privilegierter Mann in die Rolle einer minder privilegierten Putzfrau mit Migra­tionshintergrund zu schlüpfen – und sich auch noch ein Kopftuch umzubinden.

Bis eine Schauspielkollegin, hier Katrin Wichmann, ihm die neuen Grundsätze erklärt: „Du kannst doch nicht so tun, als wärst du Reinigungspersonal! Als könntest du nachvollziehen, was es heißt, anders zu sein oder woanders herzukommen. Von jetzt an darfst du nur noch über dich selbst erzählen und nie von anderen unter dir. Das Kopftuch gehört nur ihr und ihresgleichen. Du hast da nichts zu erzählen und zu stehlen.“ Besser kann man nicht auf den Punkt bringen, wie sich das Theater mit eigens auferlegten Regeln der „kulturellen Aneignung“ und der Identitätspolitik derzeit in die Parade fährt.

In Thomas Melles „Ode“ wird die Kunstfreiheit von allen Seiten bekämpft. Von rechts gibt es die Forderung nach Nationalkultur, Brauchtum, Verständlichkeit. Von der linken Seite die Frage nach Repräsentation: Wer darf für wen auf der Bühne sprechen? Was darf gezeigt werden – wenn nur noch politisch korrekte Wunschrealität zugelassen ist? Hier also das Biedermeier der nationalen Rechten – dort der ideologische Moralismus der neuen Linken.

Verbote spielen den Falschen in die Hände

Melles Analyse: Die Verbots­attitüde von links spielt den rechten Kräften in die Hände. Er möchte die Kunst herausholen aus der grassierenden Aktualitätshuberei und ihre anarchische, zweckungebundene Natur feiern.

In seinem Roman „Die Welt im Rücken“ hat der Autor in bewegender Sprachgenauigkeit seine bipolare Störung beschrieben, im Drama „Bilder von uns“ die Folgen eines Missbrauchs an einer katholischen Schule als kriminalistische Versuchsanordnung erzählt.

Ein nicht weniger halsbrecherisches Unternehmen ist es, aus den oben genannten Debatten ein Theaterstück zu machen. Melle hat einen mit Geistesgeschichte angefütterten Text geschrieben, in dem keine Charaktere aufeinandertreffen, sondern Prinzipien in Gestalt allegorischer Figuren, die schlaglichtartig beleuchtet werden. Es ist das mediale Stimmengewirr unserer aufgeregten Gesellschaft, dem er das existenzielle Eintreten für die Kunst entgegensetzt.

Zu Beginn präsentiert die staatlich geförderte Akademiekünstlerin Fratzer (der Name ist Brechts amoralischem „Fatzer“ entlehnt) eine Skulptur mit dem Titel „Ode an die alten Täter“ – eine Hommage an die Nationalsozialisten, die Fratzers gewalttätigen Großvater getötet und ihr selbst dadurch das Leben gerettet haben. Das (unsichtbare!) Kunstwerk wird verboten, die Künstlerin bringt sich um.

Dann springt das Stück zehn Jahre in die Zukunft. Nun versucht Orlando, die Geschichte der verbotenen Skulptur auf der Bühne zu inszenieren – und scheitert an seinen Mitspielern, die weder die Rechten geben möchten noch überhaupt jemand anderen als sich selbst.

Diskurs Theater

Die Regisseurin Lilja Rupp­recht verlegt das Stück in einen Kunstraum, einen weißen leeren Halbkreis, und fährt einiges an ästhetischen Mitteln auf – es wird gesungen und choreografiert, ein mediales Bilderflimmern projiziert, an die Wand gepinselt, sich selbst bemalt. Die Intention: aus dem abstrakten Diskurs Theater entstehen zu lassen. Die Schauspieler, darunter Juliana Götze und Jonas Sippel vom inklusiven Ramba-Zamba-Theater, entwickeln ihre Rollen zu mehr und mehr überzeugten Nationalisten – bis sie schließlich in schwarz-rot-goldener Abendgarderobe die Deutschlandflagge hereintragen, als die Diktatur durchgesetzt ist.

Die Inszenierung gewinnt stets an Fahrt, sobald es ans wahre Spiel geht. Wenn Manuel Harder als privilegierter Orlando von der Bühne gejagt wird, ist das grotesk-komisch: „Dies ist also das Ende des Theaters, wie wir es kennen. Wir zeigen hier den Tod des Theaters!“

Am Ende des Theaterabends kann man gar nicht anders, als über die Aussagen des Stücks zu diskutieren

Weniger gut gelingt es, Melles abstrakte Monologe mit Leben zu füllen. Vor allem der dritte Teil, in dem sich die Sprache des Textes gänzlich ändert und das Künstlerwesen „Präzisa“, hier in Gestalt von Natali Seelig und Alexander Khuon, eine lyrische, emphatische Ode an die freie Kunst hält, gerät die Inszenierung allzu schwülstig.

Es ist paradox: Thomas Melle schwört auf die Zweckfreiheit der Kunst, auf das Rollenspiel – doch sein Stück gerät stellenweise selbst mehr zur politischen Meta-Analyse, zum (am Ende dann poetischen) Appell statt zum Theatertext. Trotzdem: ein wichtiger, kluger Abend, bei dem man im Anschluss gar nicht anders kann, als über seine Aussagen zu diskutieren.

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