Josef Schuster über Bundeswehr-Rabbis: „Rabbiner sind kein Allheilmittel“

Jüdische Militärseelsorger in einer deutschen Armee? Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, hält das für ein wichtiges Zeichen.

Bundeswehr-Soldaten in einer Reihe

Künftig bekommen jüdische Soldat_innen Seelsorge durch Rabbis Foto: dpa/Michael Sohn

taz: Herr Schuster, die Bundeswehr gibt es seit 64 Jahren. Demnächst bekommt sie erstmals Militär­rabbiner, am heutigen Freitag wird dazu der entsprechende Staatsvertrag unterschrieben. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Josef Schuster: Die Frage ist, was wir unter „arbeiten“ verstehen. Nach entsprechenden Gesprächen noch mit der vorigen Verteidigungsministerin Frau von der Leyen im Frühjahr dauerte die Erarbeitung des Staatsvertrags jetzt ein Dreivierteljahr.

Und was war davor?

Unsere erste Überlegung, eine jüdische Militärseelsorge einzurichten, ist schon ein paar Jahre alt. Es bedurfte einer gewissen Entwicklung, bis es zu Spitzengesprächen kam.

Was war das Problem?

Das vermag ich ehrlicherweise nicht zu sagen. Das sollte man vielleicht die Verantwortlichen der Bundeswehr fragen, die dieser Überlegung am Anfang eher reserviert gegenüberstanden. Letztendlich, und das ist das Entscheidende, hat sich das Ministerium gerade in den Gesprächen dieses Jahres sehr kooperativ gezeigt und ich habe das Gefühl, dass der Staatsvertrag von beiden Seiten mit Überzeugung getragen wird.

Sie selbst waren als jüdischer Deutscher von der Wehrpflicht befreit. Wie empfanden Sie damals das Verhältnis zwischen jüdischer Gemeinde und Bundeswehr?

Von „der Bundeswehr“ und „der jüdischen Gemeinde“ zu sprechen, ist schwierig. Bei uns in Würzburg war es schon in den Siebzigern gang und gäbe, dass Vertreter der Bundeswehr am Volkstrauertag am Ehrenhain für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs einen Kranz niedergelegt haben – eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt und auch in anderen jüdischen Gemeinden aufgegriffen wurde. Ein anderes Thema sind jüdische Soldaten bei der Bundeswehr.

Josef Schuster1954 in Haifa/Israel geboren, übersiedelte er als Kind nach Würzburg. Nach dem Abitur studierte er Medizin. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vize-Präsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress

Inwiefern?

Auch wenn die Bundeswehr nicht Nachfolgerin der Wehrmacht ist und auf ganz anderen, auf demokratischen Grundlagen steht, gab es unter jüdischen Menschen Vorbehalte gegen deutsche Uniformen. Nach den Verbrechen der Shoah kann das nicht verwundern. Hier musste erst über Jahrzehnte ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Seit zehn, zwanzig Jahren treten Juden deutschen Soldaten im Regelfall ohne Vorbehalte gegenüber. In den letzten Jahren gibt es auch vermehrt jüdische Soldaten in der Bundeswehr.

Warum gerade in den letzten zwanzig Jahren?

Da spielt der zeitliche Rahmen ebenso eine Rolle wie die Entwicklung der Bundesrepublik und der Bundeswehr, die auch von Juden als demokratische Armee gesehen wird. Es mag auch eine Rolle gespielt haben, dass es insbesondere bei Schulungen eine enge Zusammenarbeit zwischen der israelischen Armee und der Bundeswehr gibt.

In den letzten zwanzig Jahren haben wir auch gesamtgesellschaftlich eine Normalisierung von Bundeswehr, Militär und Kriegseinsätzen erlebt. Das kann man kritisch sehen.

Das kann man auch kritisch sehen, und es gibt auch jüdische Menschen, die das kritisch sehen – genauso wie Menschen, die dem katholischen, evangelischen oder keinem Glauben angehören. Aber die Einsätze der Bundeswehr beruhen auf demokratischen Beschlüssen, und als Bürger der Bundesrepublik sehen auch Juden ihre Existenz heute sehr vorbehaltlos an.

Die christlichen Kirchen haben starke pazifistische Strömungen, die das System der christlichen Militärseelsorge kritisieren. Gibt es aus der jüdischen Gemeinde ähnliche Kritik am Staatsvertrag?

Es gab einige kritische Stimmen, allerdings weniger unter dem Aspekt des Pazifismus, sondern unter der Frage, ob es nach den Verbrechen der Shoah tatsächlich richtig ist, eine jüdische Militärseelsorge in einer deutschen Armee einzusetzen. Das waren aber Minderheitsstimmen.

Kommen wir zur Praxis: In Zukunft wird es bis zu zehn Militärrabbiner in der Bundeswehr geben. Sollen sie wie die christlichen Militärseelsorger auch mit in Auslands­einsätze gehen?

Ja, so ist es geplant. Es wird keine große Diskrepanz zu christlichen Militärseelsorgern geben.

Und dort sollen sie dann auch für nichtjüdische Soldaten da sein?

Sie sollen nicht in Konkurrenz zur christlichen Militärseelsorge stehen. Aber im Krisenfall sollte ein Seelsorger unabhängig von seiner eigenen Religionszugehörigkeit in der Lage sein, für alle Soldaten tätig zu sein, auch für konfessionslose.

Wie wird der Alltag der Militärrabbiner in Deutschland aussehen?

Sie werden an verschiedenen Standorten quer durch Deutschland ihren Sitz haben. Man kann natürlich sagen: Es gibt geschätzt nur etwa 300 jüdische Soldaten – können die nicht auch durch die Ortsrabbiner mitbetreut werden? Es geht uns aber neben der seelsorgerischen Betreuung vor allem um den Lebenskundlichen Unterricht, der für alle Bundeswehrangehörigen Pflicht ist.

In diesem Unterricht vermitteln Militärseelsorger politische und weltanschauliche Bildung.

Es ist notwendiger denn je, dass jüdisches Leben und jüdische Werte in diesem Unterricht authentisch vermittelt werden, und dafür halte ich Rabbiner für sehr geeignet. Und ich halte es staatlicherseits für ein wichtiges Zeichen, wenn Rabbiner in der Bundeswehr wirken. Schließlich hören wir davon, dass es in der Bundeswehr im Vergleich zur Gesamtgesellschaft vielleicht einen etwas höheren Prozentsatz von Soldaten gibt, die eher dem rechtspopulistischen oder rechtsextremen Lager zuneigen.

Wie können Militärrabbiner diesem Problem im Unterricht entgegenwirken?

Sie können den Soldaten nahebringen, was das Judentum ist. Bei jungen Soldaten ist es nicht anders als in der Gesamtgesellschaft so, dass das Judentum sehr häufig reduziert wird auf die Opferrolle 1933 bis 1945.

Gerade in der Bundeswehr ist es wichtig zu zeigen, dass jüdische Militärangehörige keine neue Erfindung sind, sondern dass jüdische Soldaten und jüdische Militärseelsorger vor der Shoah und besonders im Ersten Weltkrieg sehr aktiv in der damaligen deutschen Armee gedient haben. Jüdische Soldaten waren damals überproportio­nal stark vertreten.

Zwanzig Jahre später mussten sie feststellen, dass das den Antisemitismus nicht verhindert hat.

Das war die große Enttäuschung vieler Juden, die mit dem Eisernen Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause kamen und später umso enttäuschter darüber waren, was dieses Land ihnen angetan hat.

Jüdische Soldaten und Militärrabbiner in der Bundeswehr werden dem Antisemitismus also auch nicht zwangsläufig entgegenwirken.

Auch Militärrabbiner sind nicht das Allheilmittel gegen Antisemitismus in der Bundeswehr, darüber bin ich mir im Klaren. Aber es ist auch ein wichtiges Signal nach außen, dass jüdisches Leben von den Verantwortlichen der Bundeswehr als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft angesehen wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.