Gespaltene Linkspartei: Vernunft statt Ideologie

An überzeugenden Zukunftsvisionen für die großen Fragen fehlt es der Linkspartei derzeit. Dazu bräuchte sie eine neue Streitkultur.

Zwei Mikrofone mit Aufstecker der linken Partei

Richtmikrofone hat die Linkspartei zwar. In welche Richtung es gehen soll, weiß sie trotzdem nicht Foto: Stratenschulte/picture alliance

An kritischer Analyse herrscht bei der Linkspartei kein Mangel. Partei und Fraktion haben gleich mehrere Wissenschaftler zu ihren Klausuren zum Jahresbeginn eingeladen, die den GenossInnen fundiert darlegen werden, warum die Gesellschaft sich weiter spaltet, die Arbeitskämpfe härter werden und die Lage im Nahen und Mittleren Osten eskaliert.

Am Ende werden die Linken wieder genau wissen, was alles schiefläuft in der Welt, und davon reden, dass es jetzt darauf ankomme, die Gesellschaft zu einen und Hass und Gewalt zu bekämpfen.

Stimmt. Allerdings kriegt das die Linkspartei nicht mal in ihren eigenen Reihen hin – Ideal und Wirklichkeit klaffen auseinander. In der Fraktion sind die Gräben derzeit so tief, dass es nicht gelingt, langweilige Formalien wie die Wahl des Vorstands geräuschlos und unspektakulär zu regeln. Abgebrühte werden sagen, so sei das nun mal bei Linken, sollen sie halt ihre Ansprüche runterschrauben. Aber so einfach ist es nicht.

Ja, die Linkspartei hat in den vergangen zweieinhalb Jahren nach außen vor allem ein Bild der Zerstrittenheit abgegeben. Katja Kipping stritt mit Sahra Wagenknecht und mit den beiden Spitzenfrauen: AktivistInnen, die offene Grenzen für alle fordern, mit jenen, die heimische Arbeitsmärkte gegen Konkurrenz schützen wollen, EU-Fans versus -KritikerInnen und nun eben radikale KlimaschützerInnen mit motorisierten ArbeitnehmervertreterInnen.

Zu wenige praktische Antworten

Aber das sind keine urlinken Auseinandersetzungen, sondern die großen Fragen, die gerade die Gesellschaft bewegen, die am Abendbrottisch und in der Kantine diskutiert werden und die eben auch im Kosmos einer kleinen Partei wie der Linkspartei toben. Es spricht also grundsätzlich für ihre heterogene Zusammensetzung, wenn sie gesellschaftliche Debatten widerspiegelt. Aufgabe von Parteien ist es aber auch, aus solchen Debatten und widerstreitenden Positionen Antworten und Visionen zu extrahieren und damit Politik zu machen.

Aber an überzeugenden Zukunftsvisionen für die großen Fragen fehlt es der Linkspartei derzeit – eine Leerstelle, die sie im Übrigen mit den SozialdemokratInnen teilt. Die Linken können so ziemlich alles fundiert kritisieren – aber sie geben zu wenige praktische Antworten.

Die EU finden sie undemokratisch, aber wie sie sie besser machen wollen, darauf können sie sich leider nicht einigen. Offene Grenzen sind super – aber wie man Zuwanderung organisieren soll, ist eine so heikle Frage, dass sie lieber nicht ausdiskutiert wird. Und nun die Klimafrage – wie passen weniger CO2 und der Schutz von Arbeitsplätzen in Auto- und Kohleindustrie zusammen?

Eine überzeugende Antwort von links steht noch aus. Um sie zu finden, müsste die Linke aber zu einer Streitkultur zurückfinden, bei der nicht die FragestellerInnen, sondern die Fragen im Mittelpunkt stehen. Und das ist eine klassische Führungsaufgabe.

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

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