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Wir sind wieder wer

Zum ersten Mal treten die Grünen in Österreich in eine Regierung ein. Die Koalition mit Sebastian Kurz’ÖVP ist jedoch teuer erkauft: Für ein bisschen mehr Klimapolitik bleibt die restriktive Asylpolitik unangetastet

Bereit zur Regierungsverantwortung: das grüne Spitzenpersonal rund um Parteichef Werner Kogler am Neujahrstag im Winterpalast in Wien Foto: Georges Schneider/imago

Aus Wien Ralf Leonhard

Vom „türkis-grünen Neujahrsbaby“ titelten die Boulevardmedien begeistert. Zwar schlüpfte es nicht kurz nach Mitternacht ans Licht und wurde auch keine neun Monate ausgetragen, doch immerhin am Neujahrstag bestätigt.

Die Verhandlungsführer Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) hatten im ORF eine Sondersendung nach dem „Traumschiff“ gebucht, um ihre Einigung zu verkünden. Mit Details hielten sie sich zunächst noch zurück. Am Donnerstag dann präsentierten Kurz und Kogler in einer gemeinsamen Pressekonferenz (siehe Text rechts) den Koalitionsvertrag und bestätigten, was zuvor schon aus dem Winterpalais des Prinzen Eugen so durchgesickert war: Die Grünen dürfen mit einem großen Klimapaket ihre Duftmarken setzen und das Land mit einer Transparenzoffensive von der Fessel der Amtsverschwiegenheit befreien.

Andererseits will die konservative ÖVP ihre mit der FPÖ verfolgte Politik in Asyl- und Zuwanderungsfragen fortsetzen. Dafür sei sie schließlich gewählt worden, erklärte Kurz in einem kurzen Statement, in dem er die konstruktive Atmosphäre der Verhandlungen und die Ernsthaftigkeit seiner künftigen Regierungspartner lobte.

Die gegenseitigen Versicherungen der Wertschätzung erinnerten an den Antritt der Rechtsregierung ÖVP/FPÖ vor gut zwei Jahren. Doch machte man kein Geheimnis daraus, dass die Einigung weit schwieriger war als damals zwischen den Rechtsparteien, die über die Ängste der selbst geschürten Flüchtlingskrise zusammengefunden hatten.

Für Österreichs Grüne, die vor 33 Jahren erstmals ins Parlament einzogen und inzwischen in den meisten Bundesländern in unterschiedlichen Konstellationen mitregieren oder mitregiert haben, bedeutet der Einzug in die Bundesregierung die Erfüllung eines lange gehegten Traums. Und das, nachdem sie bei den Wahlen von 2017 aus dem Nationalrat geflogen waren.

Ernüchterung folgte auf die Kür von Alexander Van der Bellen, der wenige Monate vorher als erster grüner Bundespräsident in die Hofburg eingezogen war. Eine Serie unglücklicher Entscheidungen und die Abspaltung des Veteranen Peter Pilz, der mit einer eigenen Liste den Sprung ins Parlament schaffte, hatten die Öko-Partei ins Tal der Tränen geführt. Klimawandel war damals kein Thema. Wahlen gewann man mit Abwehr von Ausländern und islamfeindlichen Parolen.

Österreichs Grüne positionieren sich inhaltlich weiter links als die Brüder und Schwestern in Deutschland, haben aber in besonders konservativen Bundesländern wie Tirol und Salzburg ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis gestellt. Pragmatismus geht vor Ideologie. In der öffentlichen Wahrnehmung kamen sie als besserwisserische Verbotspartei rüber, der das Binnen-I wichtiger war als Energiesicherheit und Arbeitsplätze.

Werner Kogler, der den Laden 2017 übernahm, ist es zu danken, dass heute 40 Prozent eine grüne Regierungsbeteiligung begrüßen. Gemeinsam mit der von Fridays for Future ausgelösten Klimadiskussion hatte seine energische Hand die Partei zum zentralen Player in einer zunehmend umweltbewussten Gesellschaft gemacht.

Kein grüner Parteichef und keine Chefin hatte so viel Autorität wie der studierte Umweltökonom aus der Steiermark, der monatelang mit abgesprungenen Grün-Wählern den Dialog pflegte und sich geduldig die immer gleichen Kritiken anhörte. Das Ergebnis war ein Rekordresultat von fast 14 Prozent der gültigen Stimmen und der Wiedereinzug mit neuem Team und neuer Stärke.

Ob die Zusammenarbeit mit einer so zutiefst konservativen Partei wie der ÖVP auf die Dauer funktionieren kann, bleibt abzuwarten. Immerhin hat Sebastian Kurz 200.000 Stimmen von FPÖ-Wählern zu verteidigen, die ihn als Garanten für rechte Ausländerpolitik sehen. Noch am Wahltag, dem 29. September, hatte sich nur ein Fünftel der ÖVP-Anhängerschaft eine Paarung mit den Grünen gewünscht und gerade ein Drittel der grünen Basis konnte sich ein Bündnis mit der ÖVP vorstellen, obwohl diese der einzig mögliche Partner für eine Regierungsbeteiligung war.

Die inhaltliche Schnittmenge zwischen Grünen und ÖVP beträgt 20 Prozent

Während die Grünen in den urbanen Bezirken Wiens und größeren Städten wie Graz oder Innsbruck florieren, haben die Christlichsozialen ihre Hochburgen in den Kleinstädten und Dörfern, wo liebgewonnene Vorurteile gegen „grüne Chaoten“ noch gerne gepflegt werden. Unter den Rentnern hat die ÖVP eine absolute Mehrheit. Dürfte nur die Generation unter 30 mit höherer Bildung wählen, könnten die Grünen eine Alleinregierung aufstellen. Die inhaltliche Schnittmenge der künftigen Regierungspartner wurde zu Beginn der Verhandlungen mit 20 Prozent berechnet. Kaum eine solide Grundlage für ein harmonisches Zusammenwirken über eine fünfjährige Regierungsperiode.

Dazu kommt die gegensätzliche politische Kultur. Bei der ÖVP hat sich Sebastian Kurz vor seiner Wahl zum Parteichef vor fast drei Jahren volles Durchgriffsrecht zusichern lassen. Er kann nicht nur Kabinettsmitglieder nach Gutdünken berufen, sondern auch die Kandidatenlisten für den Nationalrat frei bestimmen. Wenn er das Regierungsübereinkommen den Gremien vorlegt, hat das Formalcharakter.

Die Grünen ihrerseits müssen den mehr als 270-köpfigen Bundeskongress überzeugen, der am Samstag in Salzburg zusammentritt. Schon jetzt werden Stimmen laut, es sei eine Zumutung, über ein Dokument von 326 Seiten zu befinden, das keine zwei Tage vorher erst bekannt wird. Zwar gilt die Zustimmung als sicher, doch wäre, so der Politologe Peter Filzmaier, jedes Ergebnis unter 70 Prozent eine Belastung für Werner Kogler.

Es ist bekannt, dass Berlin sich diese Regierung in Österreich gewünscht hat. Grünen-Chef Robert Habeck indes beeilte sich, klarzustellen, dass er in der Koalition im Nachbarland kein Vorbild für Schwarz-Grün in Deutschland sehe. Vielleicht ändert Habeck ja noch seine Meinung, wenn es gut laufen sollte in Wien.