China ist der falsche Nato-Gegner: Nicht als Aggressor brandmarken

Klar hat Peking militärische Stärke, bedrohlich ist die aber bislang nicht. Die Nato sollte in China keine antiwestlichen Ressentiments schüren.

Militaerflugzeuge fliegen in Formation

Militärparade über dem Tiananmen-Platz am 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik Foto: Aly Song/reuters

Als „hirntot“ bezeichnet Frankreichs Präsident Macron die Nato. Mitgliedsland Türkei droht Verteidigungspläne für Osteuropa zu blockieren, sollten die anderen Staaten seinen Feldzug gegen kurdische Milizen nicht unterstützen. So zerstritten wie bei diesem „Jubliäumsgipfel“ war die Nato schon lange nicht mehr. Doch offenbar einen gemeinsamen Nenner haben die 29 Länder doch gefunden: Feindbild China.

Erstmals in seiner 70-jährigen Geschichte will das nordatlantische Militärbündnis das Bedrohungspotenzial im Fernen Osten ins Visier nehmen. Schließlich, so die Argumentation von Nato-Generalsekretär Stoltenberg, verfüge China inzwischen über das zweitgrößte Verteidigungsbudget der Welt. Zudem besitzen die Chinesen moderne Raketen, die hypothetisch auch die USA und Europa erreichen könnten.

All das ist nicht falsch. Nur: Die kommunistische Führung in Peking hat gar kein Interesse, Europa oder gar die USA militärisch zu bedrohen.

Was hingegen sehr wohl eine Bedrohung darstellt: Chinas weltweite wirtschaftspolitische Ziele und sein technologischer Aufstieg. Mit „Made in China 2025“ strebt die kommunistische Führung nichts Geringeres an, als in den nächsten Jahren in rund zwei Dutzend Zukunftstechnologien zum Weltmarktführer aufzusteigen. Mit der Neuen-Seidenstraßen-Initiative (One Belt, one Road) ist Peking zudem eifrig dabei, weltweit neue Handelsrouten zu schaffen, die allesamt ins Reich der Mitte führen.

Bemessen an der Wirtschaftskraft liegt China bei den Militärausgaben pro Kopf gerade einmal an 52. Stelle, weit hinter Indien, Großbritannien und selbst Burundi

Insbesondere deutsche Unternehmen sehen darin offenbar mehr Chancen als Gefahren, erhoffen sie sich doch, an Chinas Megaprojekten kräftig mitzuverdienen. Kurzfristig mag das der Fall sein. Doch sollten die Chinesen technologisch weiter so große Sprünge machen wie zuletzt, dürften westliche Unternehmen schon bald nicht mehr nur nicht benötigt, sondern auch abgehängt werden.

Denn was die chinesischen Unternehmen auszeichnet, ist nicht nur ihre Innovationsstärke, sondern ein finanzstarker Staat mit einer klaren Strategie, der die heimische Industrie tatkräftig zu unterstützen weiß – sofern sie in die Pläne passt. Genau eine solche Strategie fehlt den Europäern, ebenso eine dringend benötigte Neubewertung, wie mit China wirtschaftlich und technologisch künftig zusammengearbeitet werden sollte.

Keine Frage: Peking setzt auch auf militärische Stärke. Doch diese stellt bislang keine allzu große Bedrohung dar. Bemessen an der Wirtschaftskraft liegt China bei den Militärausgaben pro Kopf gerade einmal an 52. Stelle, weit hinter Indien, Großbritannien und selbst Burundi. Auch in absoluten Zahlen gibt die Militärsupermacht USA weit mehr als doppelt so viel aus wie die kommunistische Führung in Peking.

Abgesehen von den Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer sowie seinen Machtanspruch auf Taiwan zeigt Peking auf der Weltbühne bislang verhältnismäßig wenig militärische Ambitionen. Je mehr der Westen allerdings China auch militärisch als Aggressor brandmarkt, desto größer die Gefahr, dass Nationalismus und antiwestliche Ressentiments im Land zunehmen und Forderungen laut werden, auch militärisch den Westen zu überbieten. Zu einer solchen Entwicklung sollte die Nato nicht beitragen.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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