Extremsportlerin aus Nepal: Die Expeditionen der Putzfrau

In den USA muss sich Lhakpa Sherpa ihr Geld mit Reinemachen verdienen. Dabei gilt sie als Pionierin des Bergsteigens.

Lhakpa Sherpa

Zertifizierte Gipfelstürme: Lhakpa Sherpa, Mehrfach-Bezwingerin des Mount Everest Foto: archiv

BERLIN taz | Einmal fand jemand heraus, wer seine Putzfrau war. Dass die Frau, die in den USA mal als Reinigungskraft, mal als Haushälterin und derzeit als Tellerwäscherin arbeitet, Rekordhalterin am Mount Everest ist. Üblicherweise aber, sagte Lhakpa Sherpa jüngst dem Guardian, bemerkten die Arbeitgeber es nicht. „Ich erzähle ihnen nie das mit dem Everest.“

Lhakpa Sherpa, eine offenbar bescheidene Person, war die erste Frau aus Nepal, die den höchsten Gipfel der Welt bezwang und lebend zurück kam. Sie ist außerdem die Frau mit den meisten Everest-Aufstiegen aller Zeiten: neun. Eine historische zehnte Expedition will sie im kommenden Frühjahr starten, Sponsoren hat sie keine.

Die gebürtige Nepalesin riskiert mit jedem Aufstieg die Obdachlosigkeit. Ihre Geschichte verdeutlicht gleich zwei gewaltige Lücken: die zwischen Männern und Frauen, und die zwischen weißen und nichtweißen Frauen im Sport. „Alle Extremsportler sind verrückt“, sagt Lhakpa Sherpa. „Aber ich will Frauen, die so aussehen wie ich, zeigen, dass sie es schaffen können.“

Schweres Gepäck der Touristen

Die Bergsteigerin wuchs in Balakharka auf, einem kleinen Dorf im Himalaya. Ihr genaues Alter kennt die etwa 45-Jährige nicht, auch zur Schule ist sie nicht gegangen. Ihr Analphabetismus erschwert ihr bis heute die Integration in den USA. Der Vater besaß Teehäuser, und ihre Geschwister arbeiteten schnell in der Branche, mit der man beim Volk der Sherpa im Himalaya Geld verdient: als Träger bei Expeditionen.

„Ich will Frauen, die so aussehen wie ich, zeigen, dass sie es schaffen können“

Viele ihrer Geschwister haben den Everest-Gipfel mehrfach bestiegen, nicht aus Begeisterung, sondern als Dienstkräfte. „Unsere Alternative wäre, Kartoffeln zu ziehen“, so umschreibt es Lhakpa Sherpa nüchtern. Ihre kleine Schwester Mingma war mit 15 Jahren die jüngste Frau aller Zeiten auf dem Everest, kaum beachtet. Auch Lhakpa begann mit 15, bei Expeditionen als Küchenkraft zu arbeiten, und trug bald schweres Gepäck für Touristen.

Als sie sich am Berg das Bein brach, musste sie für Antibiotika ihre Ohrringe verkaufen. Hätte Lhakpa Sherpa gleiche Chancen gehabt, erzählte sie dem Guardian, wäre sie gern Ärztin oder Pilotin geworden. Dennoch sagt sie übers Klettern: „Das ist mein Geschenk.“ Denn sie erkämpfte sich damit den Weg von der Hilfskraft zur eigenständigen Sportlerin.

Wettlauf der Frauen

Lhakpa Sherpa lieh sich Kletterausrüstung von Familienmitgliedern und ließ einen Brief an den nepalesischen Premierminister verfassen: Sie forderte eine Everest-Expedition, die nur aus Sherpa-Frauen bestand. „Sie hatten Angst davor“, sagte sie über Politiker. Die Expedition fand schließlich statt, und sie war wohl keine solidarisch-feministische Aktion, sondern ein brutaler Wettlauf unter konkurrierenden Sherpa-Frauen, den Lhakpa Sherpa durchaus manipulativ für sich entschied.

Sie täuschte anfangs Kopfschmerzen vor und ließ sich zurückfallen, um später zu überholen. In jenem Jahr 2000 war sie die erste Nepalesin auf dem Gipfel, keine der anderen Frauen kam dort an. Über eine gescheiterte Ehe mit einem US-Kletterer landete die Sportlerin in den USA; ironischerweise war es das Geld des Ehemannes, das ihr finanziell die meisten folgenden Aufstiege ermöglichte.

Die Hierarchie am Berg besteht aber weiter. Heute ist Lhakpa Sherpa alleinerziehende Mutter dreier Kinder und kehrt wieder zurück auf den Everest. Die Anerkennung für Sportlerinnen wie sie hat sich verbessert; vor ein paar Jahren noch völlig unbekannt, erhält sie jetzt, im Zuge des hippen Nike-Feminismus, viele interessierte Anfragen. Demütig, wie es manche bei einer Migrantin vielleicht gern sähen, ist Lhakpa Sherpa nicht: Sie wünscht sich, dass es einen Film über ihr Leben gibt, ein Buch und ein Treffen mit Oprah Winfrey. Eines davon könnte sich erfüllen: Für einen Film gibt es gerade eine Crowdfunding-Kampagne.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.