Herbie Hancock in Berlin: Guru mit Weltraum-Flöte

Einer der letzten Jazz-Götter, der US-Musiker Herbie Hancock, spielte in der Philharmonie. Der Abend war zugleich Party und Labor für Klangforschung.

Der US:Jazzmusiker Herbie Hancock performt in der Berliner Philharmonie

„Habt keine Angst! Niemals!“: Hohepriester Hancock spricht zu seinen Jüngern Foto: Frank Hoensch / Redferns / Getty Images

Es wirkte, als stehe der Dalai Lama auf der Bühne. Und nicht ein Musiker. Herbie Hancock, als einziger seiner Band ganz in Schwarz, das Hemd geschnitten wie eine Robe, erschien und grüßte ganz päpstlich erst einmal sehr lange nach allen Seiten die Menge.

Das passte gleich aus zwei Gründen. Manch einer verehrt diesen ­Pianisten und Keyboarder wie einen Guru. Und er selbst, seit über 40 Jahren Buddhist, spendete später Weisheiten wie „Habt keine Angst! Niemals!“ Mit dem Satz hatte er zuerst nur seinen Bassisten James ­Genus gemeint, weil der sich so furchtlos in jeden Song stürze. Aber dann fiel Hancock auf, dass das ja immer gelte, nicht nur in der Musik, auch „in life!“

Der große Herbie Hancock war also in Berlin. Zum Abschluss einer ausgedehnten Deutschland-Tour spielte er am Montagabend im ausverkauften großen Saal der Philharmonie – vor 2.250 Gästen. Der 79-Jährige gilt als einer der letzten lebenden Jazzgötter, unter anderem, weil er noch mit Miles ­Davis gespielt hat. Hancocks erstes Album, „Takin’ Off“, erschien 1962 und enthielt seinen Hit „Watermelon Man“. Aber eigentlich klang der Pianist da noch wie der kleine Bruder von Horace Silver. Seinen eigenen Sound fand er ab 1973, mit der Platte „Headhunters“, mit Jazzrock und Fusion, stets von etlichen Keyboards und Synthesizern umgeben.

Solche Musik, die nicht immer Spaß machen will, gab es auch am Montag in Berlin zu hören. Man darf davon ausgehen, dass der Meister seinen Sound genau so wollte: Sehr laut, das Schlagzeug des jungen Justin Tyson knallhart und spitz abgemischt, bis es wehtut. Hancock spielt wie immer einen Fazioli-Flügel, der ebenfalls scharf und streng klingt, ohne jede gefällige Wärme.

Sounds wie aus „Blade Runner“

Aber zu Beginn des Abends geht er erst ans Keyboard und spielt ein paar Minuten einen weichen Space-Pad-Sound, der nach dem Score des 80er-Films „Blade Runner“ klingt. Da war – wie auch später oft in diesem Konzert – alles eine Spielerei, da basteln ein paar große Jungs an ihren Geräten herum, und wir sollen zuhören. Irgendwann mischt sich endlich Lionel Loueke in die Klangsuppe ein, er darf das erste Solo spielen. Mit seinem faszinierenden Stil wird der Gitarrist und Sänger aus Benin der heimliche Star des Abends werden.

Allerdings spielt auch Hancock zwei unbekannte Nummern – vielleicht ein Vorgeschmack auf sein neues Album, das bald fertig sein soll. Mag sein, dass Hancock in all den Jahren, die Fans darauf warten, auf der Suche danach ist, was Jazz und Fusion heute bedeuten können.

Während der US-Jazzpianist Keith Jarrett mit der kürzlich erschienenen Konzertaufnahme „Munich“ gerade ganz herkömmlich den vergrübelten Tastenvirtuosen gibt, will Hancock das Gegenteil. Er zeigt dem Publikum fast nichts von seinen Weltklasse-Fähigkeiten, stellt immer die anderen aus dem Quartett in den Vordergrund – oder das klangliche Experiment. Durch den Vocoder singt er eine Art A-cappella: „I thought it was you“ – noch roboterhafter als sein Original von 1978. Beim Spielen schraubt er am Sound. Genus benutzt eine Loop-Station, sampelt sich selbst. Loueke lässt die Gitarre wie eine Weltraum-Flöte klingen. Hier wird der Patient Jazz live auf der Bühne operiert.

Das Wunder kluger Musik

Das alles ist so aufregend wie anstrengend. Und dann knallt es plötzlich in den tieferen Lagen des Flügels, und sie spielen „Cantaloupe Island“, direkt danach noch so einen Klassiker, die Funk-Nummer „Chameleon“. Dazu studiert Hancock mit dem Publikum einen fünfstimmigen Chor ein. Er spielt am Umhängekeyboard etwas vor, die verschiedenen Blöcke des Saals singen brav ihre Stimme.

Am Ende also echte Groove-Musik. Hancock soliert in Quarten und Halbtonschritten, eben so, dass er sich gerade nicht dem Klischee des Blues hingibt. Einfach nur Nicken und „Yeah“ schreien, das will er nicht gestatten, und doch steckt der Sound voller Kraft – das Wunder wirklich kluger Musik. Das Publikum springt auf, die meisten ­tanzen.

Alles schön und gut. Aber jetzt bitte Schluss mit der niemals endenden Welttournee, nun bitte das Album, auf das alle warten. Die Chancen stehen gut: Mit dem Berlin-Konzert macht Hancock Pause, er wird erst in vier Monaten wieder spielen, dann in seiner Wahlheimat Los Angeles.

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