Feministische Positionen zu Sexarbeit: Gehört Sexarbeit abgeschafft?

Prostitution bringt Feminist*innen in eine verzwickte Lage: Die damit verbundene Ausbeutung lehnen sie ab, wollen die Frauen aber nicht bevormunden.

Eine Frau lehnt an einem lila beleuchteten Schaufenster und schaut auf einen dunklen Platz

Im Rotlichtviertel: Die wenigsten Frauen arbeiten ohne Zuhälter Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Eigentlich ist es einfach: Sex ist immer dann okay, wenn er einvernehmlich geschieht, und nie, wenn das nicht der Fall ist. Was so einfach klingt, wird spätestens beim Thema Sexarbeit kompliziert. Wie einvernehmlich ist der Sex, wenn die Arbeiterin in der ganzen Nacht noch keinen Freier hatte, dem Zuhälter am nächsten Morgen aber nicht mit leeren Händen unter die Augen treten kann?

Okay, das Problem liegt dann nicht beim Sex, sondern im Ausbeutungsverhältnis. Und Lohnarbeit ist immer Ausbeutung. Aber Sexarbeit ist kein Beruf wie jeder andere. Sonst wäre es nicht schambehaftet, den Nachbar*innen oder den Kita-Eltern vom Arbeitstag zu erzählen; sonst müsste auch das Jobcenter Arbeitssuchenden den Beruf vorschlagen.

Aber das gesellschaftliche Stigma, das auf dem Beruf lastet, ist nicht das einzige Problem, das mit Sexarbeit einhergeht. Neben den schlechten Arbeitsbedingungen steht die Branche wie keine andere für das Patriarchat. Nicht, weil die Freier sich der Körper der Frauen bemächtigten – das ist Quatsch. Das Machtverhältnis bei der sexuellen Dienstleistung ist klar:

Ein besoffenes Würstchen oder ein einsamer Manager steht vor einer Frau, die ihm Befehle gibt und ihn dann sehr wahrscheinlich versucht, innerhalb kurzer Zeit maximal auszunehmen. „Ach, du willst mit Anfassen? 50 Euro extra. Du willst ihn reinstecken? 60 Euro extra. So, und jetzt raus hier.“ Aber null Mitleid.

Keine Männer im Laufhaus

Das patriarchale, das den Beruf prägt, liegt in der geschlechtsspezifischen Besonderheit des Ausbeutungsverhältnisses: In den allermeisten Fällen sind es Frauen, die für Männer arbeiten, indem sie sexuelle Bedürfnisse anderer Männer befriedigen. Umgekehrt ist die Geschlechterrollenverteilung nicht denkbar: Weibliche Zuhälterinnen, die männliche Sexarbeiter beschäftigen, gibt es ebenso wenig wie es mit Männern beschickte Laufhäuser oder Straßenstriche gibt, die sich an Kundinnen richten.

Ja, es gibt Zuhälterinnen, aber ihre Zahl ist verschwindend gering. Und ja, es gibt Sexarbeiterinnen, die selbstbestimmt arbeiten, aber auch sie sind absolute Ausnahmen. In Hamburgs größtem Rotlichtviertel St. Pauli dürfte keine einzige Frau ohne Zuhälter arbeiten. In den allermeisten Fällen sind die Frauen von den Männern abhängig – finanziell und emotional.

Traditionelle und konservative Feminist*innen etwa von Terre des Femmes oder Emma-Fans haben sich seit Jahrzehnten am Thema Prostitution abgearbeitet, aber ihre Haltung ist oft so stumpf wie hilflos: Sie fordern, Sexarbeit zu verbieten. Doch das bedeutet, sie zu kriminalisieren und die Arbeiterinnen aus dem Stadtzentrum ins Industriegebiet zu verdrängen. In einem Wohnwagen an einer Durchfahrtsstraße für Lastwagen zu arbeiten, ist nicht nur einsamer, sondern auch gefährlicher als im Rotlichtviertel.

Was aber ist dann die Lösung? Darauf hat auch die junge Generation intersektional ausgerichteter, also immer mehrere Diskriminierungsverhältnisse thematisierender Feminist*innen heute keine Antwort. Es ist auch gar nicht ihr Thema. Diese junge Generation befasst sich mit der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, mit Pflegearbeit, mit der Bedrohung von Frauen, Queers und Transpersonen durch sexualisierte und rassistische Gewalt sowie mit der Gewalt, die das kapitalistische System insbesondere auf Frauen ausübt.

Die aktuelle Welle feministischer Bewegungen organisiert Festivals, Demonstrationen und Kongresse, unterstützt den Kampf der Frauen in Rojava, Argentinien und Syrien. Das ist alles sehr wichtig und richtig. Es gibt aber einen blinden Fleck: Vor die eigene Haustür, ins Rotlichtviertel, gucken die Feminist*innen nicht.

Keiner will sich mit Rockern anlegen

Die Gründe dafür sind schlicht. Erstens will sich niemand mit den Rockern anlegen, die in norddeutschen Rotlichtvierteln die Straßenstriche kontrollieren. Nicht mal die Polizei wagt das. Zweitens fragen die Sexarbeiter*innen nicht nach Unterstützung. Für sie einzutreten, ohne dass sie das wollen, wäre ein paternalistischer Übergriff. Und drittens: Was genau wäre überhaupt die Forderung? Solange die Sexarbeiterinnen, die in Abhängigkeit von Zuhältern arbeiten, nicht selbst ihre Stimme erheben, ist das schwer zu sagen.

Es liegt da schon nahe, zu fordern, der Staat solle endlich entschlossen gegen Zuhälterei vorgehen – und das müsste er auch, wenn er seine eigenen Gesetze ernst nehmen würde. Aber was ist dann mit dem Schutz vor gewalttätigen Freiern oder solchen, die die Zeche prellen wollen?

Die Sexarbeiterinnen könnten eigene Schutzstrukturen aufbauen, aber wollen sie das? Und wer bezahlt sie dafür? Es wäre schließlich Arbeitszeit. Und wer sind die Feminist*innen, den Sexarbeiterinnen vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu fordern haben? Eben – und deshalb tun sie es nicht.

Trotzdem bleibt es ein blinder Fleck und ein Armutszeugnis für den aktuellen feministischen Diskurs, dass er keine Position zu dem offensichtlichsten, dem brachialen männlichen Gewaltverhältnis findet, das sich Nacht für Nacht vor unseren Haustüren manifestiert. Solange die sexuelle Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft durch den Mann gang und gäbe ist, sind wir meilenweit von Gleichberechtigung und einer emanzipierten Gesellschaft entfernt.

Mehr zur Diskussion über ein Verbot von Sexarbeit bzw. Sexkauf in der taz am Wochenende oder hier

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