Nach der Landtagswahl in Thüringen: Die Reifeprüfung

Die Wahl der Thüringer Landtagspräsidentin am Dienstag wird zum Test: Kann dort eine linke Minderheitsregierung funktionieren?

Menschen gehen die Straße entlang

Susanne Hennig-Welsow und Bodo Ramelow auf dem Weg zu einem Treffen mit Bündnis 90/Die Grünen Foto: Jacob Schröter/imago-images

BERLIN taz | Einen Monat nach der Landtagswahl in Thüringen treffen sich die Abgeordneten des neu gewählten Landesparlaments am Dienstag zu ihrer ersten Sitzung. Auf der Tagesordnung stehen vor allem Wahlen: der Landtagspräsidentin, der Vizepräsident:innen, der Schrift­führer:innen. Eigentlich Routine, aber in Thüringen wird es diesmal spannend. Besonders die Wahl der Landtagspräsidentin wird zum Test, ob die anvisierte Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen funk­tionieren könnte.

Für das Amt der Landtagspräsidentin ist die Linken-Abgeordnete Birgit Keller nominiert. Die Linke ist bei der Wahl am 27. Oktober stärkste Kraft geworden. Doch der geschäftsführend regierenden Koalition von Linken, SPD und Grünen fehlen im 90 Sitze zählenden Landtag nach den Wahlen 4 Sitze zur absoluten Mehrheit von 46 Stimmen.

Die Mehrheitsfindung im Landtag und die Bildung einer neuen Regierung werden künftig knifflig. Ein klassisch stabiles Regierungsbündnis lässt sich nur formen, wenn entweder die Linke oder die zweitplatzierte AfD mit von der Partie sind. Eine Zusammenarbeit von Linken und AfD ist für beide Seiten ein No-Go, die drittplatzierte CDU hat ihrerseits eine Zusammenarbeit mit den Linken mehrfach abgelehnt. Ein Gesprächsangebot der Partei haben die Christdemokraten ausgeschlagen. Genauso wie die FDP, die nun 5 Abgeordnete stellt.

Wie die Linken-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow der taz sagte, gebe es derzeit weder offizielle noch inoffizielle Gespräche mit beiden Parteien. Sie glaubt dennoch, dass eine neue rot-rot-grüne Regierung möglich ist. „Alles läuft auf eine Minderheitsregierung hinaus.“

Quid pro Quo scheint nicht ganz unmöglich

Warum das sogar klappen könnte? Ganz verhärtet sind die Fronten nicht. Zur konstituierenden Sitzung haben Linke, CDU, SPD, die Grünen und die FDP einen gemeinsamen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung eingereicht. Jede im Landtag vertretene Fraktion soll künftig eine Vizepräsident:in stellen dürfen. Vorausgesetzt, diese wird gewählt.

Eine Zusammenarbeit in Einzelfragen nach dem Modus „Gibst du mir, geb ich dir“ scheint also möglich. Dass die von der Linken vorgeschlagene Landtagspräsidentin am Dienstag auch Stimmen von CDU oder FDP erhält, ist nach diesem Szenario wahrscheinlich. „Die Wahl der Landtags­präsidentin wird ein erstes Signal, ob die demokratischen Parteien bereit sind, sich der Situation zu stellen“, meint Hennig-Wellsow.

Ein zweites Signal sandte CDU-Chef Mike Mohring am Sonntag. Der Thüringer Allgemeinen sagte der Spitzenkandidat, er wolle im Landtag nicht gegen Ramelow als Ministerpräsident antreten. Gegen den linken Ministerpräsidenten hätte er nur gewonnen, wenn er auch auf Stimmen aus der AfD-Fraktion gesetzt hätte – was einige Parteifreunde durchaus begrüßen würden.

Ramelow kündigte am Montag prompt an, er wolle sich im Februar der Wahl zum Ministerpräsidenten stellen. „Alle Parteien haben sich bis dahin sortiert“, sagte Ramelow dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Grüne: Neue Ansprüche trotz schlechter Ergebnisse

Sortieren müssen sich vor allem noch die Grünen, die sich Ende Januar zum Parteitag treffen. Sie waren in Umfragen lange zweistellig, erreichten jedoch nur magere 5,2 Prozent. Einen ersten Schuldigen hat der Landesvorstand am Sonntag bereits gefunden: Justizminister Dieter Lauinger, der für seinen Sohn einst eine Prüfungsbefreiung erwirkt hatte, wird der kommenden Regierung nicht mehr angehören.

Stattdessen hat der bisherige Fraktionsvorsitzende Dirk Adams zugesagt, ebenfalls zur Verfügung zu stehen. Die Grünen wollen außerdem andere Ministerien als ihre drei bisherigen – Migration, Justiz, Verbraucher – in den Fokus nehmen. Sie stellen also trotz schlechtem Wahlergebnis neue Ansprüche.

Entgegen kommt den Grünen, dass CDU und FDP im Verbund mit ihnen und der SPD reden. Ein erstes Gespräch mit den Grünen führten beide Parteien am vergangenen Donnerstag. Er sehe weiterhin am ehesten ein Bündnis mit Linken, SPD und FDP, sagte Fraktionschef Adams der taz nach dem Treffen. „Beim Thema Digitalisierung wären wir der ideale Partner der FDP“, so Adams in Bezug auf seine eigene Partei. Der Dienstag werde auch nach seiner Einschätzung der entscheidende Tag, um zu sehen, „ob die demokratischen Parteien vernünftig miteinander umgehen können“. Falle Keller durch, sei das ein Zeichen dafür, dass FDP und CDU hart durchzocken würden.

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