mord auf malta
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„Was braucht es noch, damit Muscat geht?“

Maltas Premier Joseph Muscat behindert die Ermittlungen im Mordfall der Journalistin Daphne Caruana Galizia, glaubt Corinne Valle, Schwester des Opfers. Und fordert seinen sofortigen Rücktritt

Wäre Schembri damals angeklagt worden, würde Daphne heute noch leben

Interview Christian Jakob

taz: Frau Vella, Maltas Premier Joseph Muscat hat wegen der Ermittlungen im Fall des Mordes an Ihrer Schwester seinen Rücktritt angekündigt. Ihrer Familie reicht das nicht. Weshalb?

Corinne Vella: Muscat hat seinen Rücktritt als Premierminister zwar angekündigt, aber gleich wieder verschoben. Er hat dies getan, um sich selbst und seinen Kabinettschef Keith Schembri weiterhin vor den Mordermittlungen schützen. Es gibt keine andere Erklärung dafür. Deshalb ist es unerträglich, dass er weiter im Amt bleibt. Seine Rolle bei der Untersuchung der Ermordung meiner Schwester war vollkommen rechtswidrig. Bis zu seinem Rücktritt wird Daphnes Familie alle Rechtsmittel ausschöpfen, um sicherzustellen, dass Muscat als möglicher Verdächtiger nicht weiter an den Ermittlungs- und Strafverfahren beteiligt ist – außer als möglicher Verdächtiger.

Seit Langem gab es Indizien, dass Kabinettschef Keith Schembri in den Mord an Ihrer Schwester verwickelt ist. Doch der Premier Muscat hält bis jetzt an ihm fest. Was glauben Sie, warum?

Muscat hat nicht nur an Schembri festgehalten, sondern offensichtlich auch alles getan, um ihn zu schützen. Die Ermittlungen haben sich sehr lange hingezogen, die Vermutung liegt nahe, dass es da direkte Einflussnahme gab.

Wie soll der Regierungschef Einfluss auf die Ermittlungen genommen haben?

Als es Briefings zu den Mordermittlungen gab, hat Muscat Schembri daran teilnehmen lassen, obwohl dieser ein Verdächtiger ist. Medien haben berichtet, dass Schembri Zuang zu internen Informationen über die Ermittlungen hatte. Und es gibt Berichte, dass Schembri versucht hat, einen inhaftierten Zeugen zu beeinflussen, indem er ihm über ihren gemeinsamen Arzt Nachrichten zukommen ließ.

Muscat wusste das. Es ist eine absolut verrückte Situation, dass der Premier Macht über das Verfahren hat und gleichzeitig mit einem der Hauptverdächtigen verbunden ist. Als Daphne 2015 Schembris und Mizzis Briefkastenfirmen in Panama aufdeckte, hätte Muscat die beiden zum Rücktritt zwingen müssen. Doch er ließ sie in ihren Ämtern, und verteidigte Schembri sogar mit den Worten, dieser sei „ein Mann von Integrität“. Er schützte ihn vor und nach dem Mord an meiner Schwester.

Ihre Schwester Daphne hat Indizien für einen Korruptionsskandal gesammelt, in den Schembri, der Energieminister Konrad Mizzi und Muscat verwickelt sein sollen und der im Zentrum der Ermittlungen steht. Was ist dabei geschehen?

Schon vor der Wahl 2013 haben sich Schembri, Mizzi und Muscat für den Bau eines Gaskraftwerks auf Malta eingesetzt, an dem übrigens Siemens als Konstrukteur und Miteigentümer beteiligt ist. Muscat wurde damals mit zwei Versprechen gewählt: billigere Stromrechnungen und saubere Luft. Er wollte, dass das Gaskraftwerk gebaut wird – und davon wohl nicht nur in Form von Wählerstimmen profitieren.

In der Nacht auf Montag, als Muscat eine Rede hielt, bezog er sich auf das damalige Wahlversprechen. Er sagte: „Wir haben euch billigere Stromrechnungen verschafft.“ Damit hat er sich ohne jede Scham auf das Unternehmen bezogen, das an dem Mord an Daphne beteiligt war. Denn wie aus Recherchen von Daphne und einem Netzwerk weiterer Journalisten hervorgeht, flossen an Mizzis und Schembris Briefkastenfirmen offensichtlich Millionenzahlungen von dem Miteigentümer an dem Kraftwerk – dem Mann, der nun wegen Mordes an Daphne angeklagt ist.

Dabei handelt es sich im den maltesischen Unternehmer Yorgen Fenech. Der wurde vor zehn Tagen verhaftet und hat daraufhin Keith Schembri schwer belastet. Was genau hat er ausgesagt?

Es gab offenbar eine eidesstattliche Erklärung. Aber über dessen Inhalt wissen wir nichts Genaues, weil es keinen offiziellen Kanal gibt, über den der Staat seine Bürger über den Stand der Ermittlungen informiert. Gibt es Beweise? Wir wissen es nicht. Muscat sitzt in seinem Büro und spricht nur, wenn es ihm passt. Wir sind auf das angewiesen, was die Medien herausfinden.

In der vergangenen Woche ist über diese Medien viel Neues über den Mord bekannt geworden. Was sind für Sie die wichtigsten offenen Fragen?

Was braucht es noch, damit Muscat geht und ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wird? Wann wird Schembri wegen Korruption angeklagt? Seine Panama-Geschäfte haben Maltas Finanzermittler schon vor Jahren dokumentiert. Wäre Schembri damals angeklagt worden, würde Daphne heute noch leben.

Und was ist das Wichtigste, was die Ermittler herausfinden müssen?

Es ist sehr wichtig, dass sie bis zum Ende gehen, egal, gegen wen es dabei geht und dass es dann echte Konsequenzen gibt. Die Ermittlungen deuten auf eine Beteiligung des Premierministers hin und das ist sehr verstörend.

Nach Recherchen von Daphne Galizia hat auch Muscats Frau Michelle eine Briefkastenfirma. Welche Rolle spielt das?

Daphne hatte beschrieben, dass Muscat über ein Konto bei der Pilatus-Bank auf Malta Bestechungsgeld in Höhe von gut einer Million Dollar an die Briefkastenfirma seiner Frau Michelle in Panama überwiesen hatte. Das Geld kam von der aserbaidschanischen Herrscherfamilie – als Gegenleistung für Regierungsaufträge. Muscat hat dies als „größte Lüge der Geschichte“ zurückgewiesen …

… der maltesische Untersuchungsrichter Aaron Bugeja hat diese Vorwürfe untersucht und konnte keine Belege finden.

Ich kann zu dem Bericht nichts sagen, weil ich keinen Zugang dazu habe.

Die Söhne von Daphne Galizia haben am Dienstag bei Gericht beantragt, die Ermittlungen auf Musacat auszuweiten. Warum?

Solange Muscat im Amt ist, kann die Polizei nicht wirksam gegen Schembri vorgehen. Diese Situation ist völlig inakzeptabel. Wir sind die Familie des Opfers. Warum sollten die Söhne und der Ehemann von Daphne zum Schutz ihrer Rechte vor Gericht gehen müssen? Das ist die Pflicht des maltesischen Staates.

Aber Muscat besteht darauf, als Chef der Exekutive des Staates zu bleiben. Alles, was er gesagt hat, ist, dass er „in den Tagen nach“ der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden am 12. Januar als Premierminister zurücktreten wird. Er sagt nicht, an welchem Tag. Er geht keine feste Verpflichtung ein. Ich fürchte, dass er im Amt bleiben wird, wenn sein Nachfolger als Parteichef jemand ist, mit dem er keinen Deal abschließen kann, um sich zu schützen.

Wie hat sich Ihr Alltag verändert, seit der Unternehmer Fenech verhaftet wurde?

Foto: Vincent Kessler/reuters

Corinne Vella,Schwester der 2017 ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia, setzt sich gemeinsam mit den Söhnen des Opfers seit Jahren für die Aufklärung des Mordfalls ein.

Wir gehe jeden Abend zu den Demonstrationen, die ganze Familie. Meine Eltern sind 81 Jahre alt und sie sind auch da. Bei der großen Demonstration am Sonntag führten sie den Marsch mit an. Und seit Daphne getötet wurde, müssen wir uns gegen die Propaganda aus dem Büro des Premierministers und seiner Anhänger verteidigen.

Das EU-Parlament hat eine Mission nach Malta entsandt, um die Rechtsstaatlichkeit zu prüfen. Diese will am Mittwoch auch die Familie treffen. Ist das eine angemessene Reaktion der EU?

Ich bin zufrieden damit, dass es diese Mission gibt. Bemerkenswert aber war, dass die Fraktion der Sozialdemokraten im EU-Parlament, zu denen auch Muscats Partei gehört, erst einmal eine ausführliche Debatte in der Sache haben wollte, statt der Eilmission. Das ist in etwa so, als wenn das Haus brennt und man sagt, ‚Moment, ich will erst mal den Boden fegen, bevor wir die Feuerwehr rufen.‘

Gibt es einen geeigneten Nachfolger für Muscat?

Mir fällt keiner ein, aber es ist auch nicht meine Aufgabe, einen Nachfolger zu suchen. Wir wollen Gerechtigkeit für Daphne, was immer dazu nötig ist. Die Stabilität des Landes hängt daran. So lange es keine Gerechtigkeit gibt, wird es keine Stabilität geben. Die Situation jetzt ist jenseits von absurd. Sie ist ein Sicherheitsrisiko für ganz Europa.

Warum?

Malta ist ein EU-Staat. Wussten Sie, dass Muscat vorhatte, dem Ratspräsidenten Donald Tusk im Amt nachzufolgen. Jemand mit einer solchen Vergangenheit. Was wäre das für ein Signal an die Welt, ein Mann mit kriminellen Verbindungen als Ratspräsident?

Wie, denken Sie, konnten die Mörder glauben, ein derartiges Komplott auf einer so winzigen Insel dauerhaft geheim halten zu können?

Sie versuchen, das rational zu erklären. Das ist nicht möglich. Nur die Täter wissen, was sie sich dabei gedacht haben. Aber es ging sicher nicht nur darum, Daphne zu töten. Die Autobombe war auch ein politisches Signal an andere: „Wir stehen über dem Gesetz. Wenn du tust, was Daphne getan hat, geht es dir genauso“ – das war die Botschaft.