Umweltschutz in Indien: Eine Frage der Kohle

Die indische Regierung verfolgt ambitionierte Ziele für die Energiewende. Trotzdem müssen die Menschen dort nach frischer Luft ringen.

Drei AktivistInnen haben Protestplakate in der Hand und stehen nebeneinander

Diese AktivistInnen haben sich gegen die Abholzung des Aarey-Waldes gewehrt – vergeblich Foto: Natalie Mayroth

MUMBAI taz | Die Atemschutzmaske hat sich noch nicht in das Stadtbild der Metropole Mumbai gedrängt. In Indiens bevölkerungsreichster Stadt schluckt das Meer einen guten Teil der dreckigen Luft aus Auspuffgasen, In­dus­trie und Müllverbrennung.

Anders sieht es in der Hauptstadt Delhi aus. Hier werden die Proteste der Gruppe Let Me Breath (Lass mich atmen) immer lauter. Sie treffen sich an öffentlichen Orten, um ihrer Wut gegenüber den Behörden Luft zu machen – solange sie noch können. Denn im Winter steigt die Luftbelastung hier auf den „sehr ungesunden“ Wert von 400 auf dem Air Quality Index (AQI). Das entspricht dem Rauchen von über 16 Zigaretten am Tag. Zum Vergleich: In Berlin liegt dieser Wert bei 50, laut AQI eine gute Luftqualität.

Wer die faulige Luft von Delhi einmal eingeatmet hat, dem erscheinen die ehrgeizigen Klimaziele der indischen Regierung weit weg. Tatsächlich ist die Energiewende in Indien schon im Gange. Aber sie kommt zu langsam voran.

2027 soll ein Drittel des jetzigen nationalen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Indiens Ziele sind höher als jene anderer In­dus­trie­na­tio­nen. Auf dem Papier sieht das gut aus. Doch es gebe Probleme bei der Umsetzung, sagt Kundan Pandey vom indischen Umweltmagazin Down to Earth. Denn in der Praxis hält der Staat immer noch an der Kohle als der wichtigsten Energiequelle fest.

Nur China und die USA verbrauchen mehr Energie

2019 verbraucht Indien zwar weniger Kohlestrom – wegen der gegenwärtigen Rezession. Die langfristige Tendenz ist trotzdem steigend: Bis 2024 soll eine Milliarde Tonne Kohle mehr als heute abgebaut werden. So erhofft sich das Land, unabhängiger von Importen zu werden. Das verkündete Anfang November der zuständige Minister für Kohle und Bergbau.

„Wir können uns nicht von der Kohle trennen, wir können es uns nicht leisten“, sagte auch die ehemalige Energiesekretärin Delhis Varsha Joshi. Indien steht im globalen Energieverbrauch auf Platz drei mit 5,6 Prozent, hinter China (23,6 Prozent) und den USA (16,6 Prozent).

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Dabei werden in Indien viele Haushalte immer noch nicht oder nicht rund um die Uhr mit Strom versorgt. Knapp zwei Drittel des verbrauchten Stroms stammen aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe – mehr als die Hälfte davon wird mit Kohle produziert. Ein Fünftel stammt aus erneuerbaren Energien. Bis 2030 sollen 40 Prozent aus Nicht-Kohle-Quellen generiert werden. So zumindest lautet eines der Pariser Ziele Indiens. Dieses Ziel erscheint zunächst gar nicht so fern.

Unter der Regierung von Narendra Modi hat sich der Anteil erneuerbarer Energien bisher fast verdoppelt. Aber selbst bei niedrigen Kosten für Solarpanels durch preiswerte Anlagen aus China bleibt Kohlestrom nach wie vor der wichtigste Bestandteil des Versorgungsnetzes. Deshalb bleibt auch die Luft weiterhin dreckig. Denn die Strom­erzeugung durch Kohle ist für die starke Belastung durch Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid zweifellos mitverantwortlich.

Kohlestrom dominiert, obwohl er teurer ist

Diesem akuten Problem könnte mit Filteranlagen begegnet werden. Bereits 2015 verpflichtete die Regierung kohlebefeuerte Wärmekraftwerke dazu, die Konzentration des gefährlichen Schwefeldioxids mit Filteranlagen zu mindern. Nach einer Studie des Non-Profit-Zentrums für naturwissenschaftliche Technik und Politik (CSTEP) sind bisher aber nur zwei von 441 Werken mit der erforderlichen Technologie ausgestattet.

Dabei hatte die Regierung erlaubt, dass die Energieunternehmen die Stromtarife erhöhen, um die Kosten zu decken. Aber die staatlichen Kohleunternehmen sind verschuldet. Der Streit darüber, wer die Schulden tilgen soll, verlangsamt die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen. Die Fristen für den Filtereinbau wurden deshalb auf 2022 geschoben. Derweil lässt sich Modi für seine Klima­agenda als „Champion of the Earth“ feiern, wie 2018 bei den Vereinten Nationen geschehen.

Greenpeace Indien kritisiert, dass die Regierung weiter in Kohlestrom investiert, obwohl alternative Energiequellen günstiger sind. Und obwohl der gesamte Kohlesektor unter finanziellem Druck steht, wurde im Mai der Grundstein für den Bau zweier neuer Kohlekraftwerke in Nordindien gelegt.

„Kohlestrom kann schon jetzt preislich oft nicht mehr mit Wind- oder Sonnenkraftwerken mithalten“, sagt der Umweltautor Pandey, der seit zehn Jahren über Energie- und Entwicklungsthemen schreibt. Die Betreiber von Kohlekraftwerken machten mit ihrem Geschäft Verluste, und Atomkraft sei dagegen wenig beliebt, so Pandey. Die Nuklearkatastrophe in Fukushima ist auch in Indien nicht an den Menschen vorbeigegangen. Derzeit werden 2 Prozent des indischen Energieverbrauchs mit Atomkraftwerken erzeugt.

Widerstand der Bevölkerung

Trotz der erfreulichen Entwicklungen ist die ehrenamtliche Umweltkoordinatorin Ruhie Kumar besorgt: „Ich bin in einem Vorort von Mumbai aufgewachsen und muss dabei zusehen, wie die Stadt ausgebeutet wird“, sagt sie. Dagegen engagiert sich die 33-Jährige seit vielen Jahren off- und online. „Städtische Wälder, Flüsse, Seen und Feuchtgebiete verschwinden, was zu katastrophalen Problemen wie dem Anstieg des Meeresspiegels und der Verschlechterung der Luftqualität führt“, sagt Kumar.

„Wir widersetzen uns dem Kraftwerk, weil es die Lebens-­grundlage der Menschen zerstört“

Sie bereitet in Mumbai den globalen Klimastreik am 29. November vor. Davor war sie aktiv, um die Abholzung des Stadtwaldes ­Aarey zu verhindern. Sie ist in vielen Umweltgruppierungen tätig, von denen es in Indien immer mehr gibt: Fridays for Future, Extinction Rebellion, Rettet den Aarey-Wald und zwei weitere Projekte. Die Vielzahl der Bewegungen zeigt, dass sich in Indien die Wahrnehmung der Klimakrise verändert.

Doch nicht nur in Millionenstädten wie Mumbai oder Delhi ist man sich bewusst, dass es Zeit ist, sich mit Protest zu wehren. Der Versuch, an der Westküste Indiens ein Megakernkraftwerk zu bauen, wurde vorerst erfolgreich durch den Widerstand der Bevölkerung verhindert. Aktivist Satyajit Chavan aus Jaitapur organisiert dort zusammen mit Bauern und BewohnerInnen seit zwölf Jahren viermal im Jahr Streiks. „Wir widersetzen uns dem Kraftwerk, weil es die Lebensgrundlage der Menschen zerstört, die von der Fischerei und der Landwirtschaft abhängig sind“, sagt er.

Die Region ist weltweit für ihre Alphonso-Mangos bekannt. Chavan macht sich große Sorgen wegen der Kernstrahlung. Zudem würde der Reaktor Unmengen Kühlwasser am Tag benötigen, die dann das Meer erwärmten. „Die erhöhten Temperaturen würden die Meeresvielfalt zerstören, sich auf die Fischerei und den Mangoanbau auswirken, der auf kleinste Temperaturschwankungen empfindlich reagiert.“

Folgen für die Umwelt sind längst bemerkbar

In Jaitapur kämpfe die Kli­ma­be­we­gung schlicht und einfach um das Überleben, so der 47-Jährige. 2011 wurde ein Mann bei den Protesten gegen den Reaktor durch Polizeischüsse getötet. Seitdem gehen die AktivistInnen an seinem Todestag am 18. April auf die Straße, ebenso zum Tschernobyl-Jahrestag.

„Unser Energiebedarf wird bereits durch ein Kohlekraftwerk und ein Wasserkraftwerk in der Region gedeckt“, erklärt Chavan. Er weiß, dass das Projekt in Jaitapur gerade stillsteht. Doch hinter diesem steckt ein Milliardendeal mit dem französischen Konsortium Areva S. A. Deshalb ist er weiterhin besorgt: „Die Regierung will das Projekt durchsetzen, da Frankreich eines der Länder war, die angereichertes Uran nach Indien geliefert haben.“

Das habe Frankreich getan, obwohl wegen des Nuklearbombentests Pokhran-II 1998 Sanktionen gegen Indien verhängt worden seien. Gleichzeitig weiß Chavan, dass Indiens Energiebedarf nicht allein mit grünem Strom zu decken ist: „Wir müssen neue Wege finden, um unseren CO2-Fußabdruck zu verringern, denn wir Menschen haben bereits irreversible Schäden angerichtet.“

Die klimatischen Veränderungen machen sich in Indien mehr und mehr bemerkbar. Die Regenzeiten verschieben sich, Wasser- und Luftverschmutzung nehmen zu. So gewinnen die AktivistInnen an Zustimmung zu ihren Umweltprotesten.

Eine zögernde Regierung

Immer mehr Menschen fühlen sich durch die unmittelbaren Folgen bedroht. Es sind einschneidende Ereignisse wie ein Atommeiler vor der Haustür; Luft, die in Lungen und Augen brennt; oder Stadtwälder, die trotz Protesten abgeholzt werden. Ableger der Gruppe Extinction Rebellion und Fridays for Future in Indien vernetzen sich mit eigenständigen Gruppen wie der Let-Me-Breath-­Bewegung aus Delhi.

Sie und auch ÄrztInnen kritisieren, dass die Regierung nur dann konkrete Schritte unternehme, wenn die Lage zu eskalieren drohe. Dann nämlich würden Fahrverbote erteilt, Bauarbeiten unterbrochen oder Schulen geschlossen – so wie kürzlich in Delhi. Damit steigt der Unmut in der Bevölkerung. „Narendra Modi kauft mit unserem Geld Luftreiniger für sein eigenes Büro und lässt Kinder an giftiger Luft sterben“, klagt der Umweltschützer Vimlendu Jha an.

Zwar wird der Zulauf zu den Umweltbewegungen immer größer. Eine kritische Masse haben die AktivistInnen aber noch nicht erreicht. Noch plagen viele Menschen andere Probleme: In Zeiten des ökonomischen Abschwungs drängt die Frage des Lebensunterhalts unmittelbarer als die Klimakrise.

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