Die Wahrheit: Eine Sekunde

Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Diesmal darf sich die geneigte Leserschaft an einem Poem über einen Beinahunfall erfreuen.

Foto: Sascha Jacoby/plainpicture

Eine Sekunde, in der sich’s entscheidet:

Leb ich weiter oder leb ich nicht?

Ist das meine letzte Stunde,

Oder bleibt es angeknipst, mein Licht?

Eine Sekunde, und nur diese Frage:

Stoppt er oder stoppt er nicht?

Wird er achten meine Vorfahrt,

Oder üb ich besser deren Verzicht?

Eine Sekunde, mal flugs beschließen:

Brems ich oder brems ich nicht?

Kann ich weiterkacheln volle Pulle,

Oder kneif ich besser die Backen dicht?

Eine Sekunde, will endlich Antwort:

Gibt er nun Gummi oder gibt er nicht?

Bleibt es bei der Schrecksekunde,

Oder hab ich den Opel gleich im Gesicht?

Eine Sekunde, dann ist’s entschieden:

Er fährt weiter, sieht mich nicht.

Und ich brüll noch: Stehn bleiben, Arschloch!

Aber Arschloch hört mich nicht.

Eine Sekunde, so schnell verflogen:

Doch ich flieg zig Meter weit.

Während zugleich der Film meines Lebens,

Am innern Auge vorübereilt.

Eine Sekunde, schon tickt die zweite:

Hart ist die Landung auf dem Asphalt.

Und kaum ist auch diese Sekunde verstrichen,

Bin ich in Gänze hingeknallt.

Eine Sekunde, Schrott ist mein Fahrrad:

Mir aber scheint – klopf Holz! – nichts passiert.

Nur Arschloch beklagt blutige Fresse,

Hab ihm nächste Sekunde eine geschmiert.

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kari

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