Russischer Atomkritiker: „Ruhiger hinter Stacheldraht“

Deutscher Uranmüll ist unterwegs in die geschlossene Stadt Nowouralsk. Dort stört nicht der Abfall, es stören die Kritiker, sagt ein Blogger.

Eine Frau arbeitet in einem Rosatom-Lager.

Die Bewohner von Nowo­uralsk sind de facto abhängig vom Rosatom-Konzern Foto: imago images/ITAR-TASS

taz: Herr Kasakow, was denken die Menschen in Nowo­uralsk darüber, dass bald Uranmüll aus Deutschland eintreffen wird?

Viktor Kasakow: Der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung scheint das gleichgültig zu sein. Möglicherweise ist diese Gleichgültigkeit auch nur aufgesetzt und im Herzen denken die Menschen hier ganz anders. Mir jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass einem Derartiges gleichgültig sein kann.

Umweltschützer protestieren gegen die Transporte. Sind diese Proteste den Menschen auch egal?

Nein, die Proteste interessieren die Leute. Alle, die hier beim Elektrochemischen Werk (UEChK) arbeiten, das ja das abgereicherte Uran aufnehmen soll, und ihre Familien, die ärgern sich über diese Proteste.

Warum?

Zum einen wird man in Städten, in denen Rosatom das Sagen hat, von Kindesbeinen an zu einer ablehnenden Haltung gegen die grüne Bewegung erzogen. Die geschlossene Stadt Nowo­uralsk ist komplett abhängig von Rosatom. Und all die Grünen schaden mit ihren Forderungen dem Geldbeutel derer, die hier leben. Warum soll denn Rosatom auf ein Geschäft verzichten, das ein kontinuierliches Weiterlaufen der Zentrifugen garantiert, denkt man. Sollte einmal das Material nicht mehr kommen, dann drehen sich die Zentrifugen nicht mehr. Und wenn die Zentrifugen stillstehen, verlieren wir unsere urananreichernde Fabrik. Doch von dieser ernährt sich unsere Stadt fast ausschließlich.

Der Zug mit dem Uranmüll der Urenco aus Gronau rollte Dienstagabend weiter Richtung Russland: Nach einer stundenlangen Blockade durch Anti-Atom-AktivistInnen setzte der Zug mit 600 Tonnen Uranhexafluorid seinen Weg fort. Ziel ist die russische Stadt Nowouralsk: Eine „geschlossene Stadt“ am Ural, wo der staatliche Atomkonzern Rosatom das Sagen hat. Rosatom betreibt dort Uranzentrifugen, die den Stoff erzeugen, der die Atomkraftwerke am Laufen hält, und ist faktisch der einzige Arbeitgeber in der Stadt mit 85.000 Einwohnern.

Und was sagen die städtischen Behörden zu den Transporten?

Die Führung der Stadt und des Urananreicherungskombinats sind faktisch identisch. Insgesamt sind sich die Behörden ziemlich sicher. Sie brauchen keine Proteste, keine Kritik zu fürchten. Gerade ein einziges Mal haben sich die städtischen Behörden öffentlich zu den erwarteten Transporten geäußert. Das war am 24. Oktober. Da haben sie verlauten lassen, dass die Angaben von Greenpeace, bei diesen Transporten handle es sich um Atommüll, Desinformation seien. Vielmehr gehe es dabei um nützliche und unschädliche Rohstoffe, haben sie gesagt. Und mit denen könne Rosatom arbeiten, profitabel angereichertes Uran für die Atomwirtschaft anderer Länder produzieren. Die Deutschen, so hieß es, haben anscheinend veraltete Technik und seien so gezwungen, sich an uns zu wenden.

Und die Bevölkerung glaubt das?

Wer praktisch Leibeigener ist, übernimmt alles, was ihn seine Vorgesetzten glauben machen wollen. Und der wird dann nicht das Gift hassen, sondern die, die nicht wollen, dass dieses Gift zu uns kommt. Wenn hier Menschen wegen der Atomtransporte auf die Straße gehen würden, dann nur mit Transparenten wie: „Grünes Licht für deutschen Müll!“

65, lebt und arbeitet als Blogger in der „geschlossenen Stadt“ Nowo­uralsk. Der Rentner hat 40 Jahre in der Atomindustrie gearbeitet. Heute ist er ein Kritiker der Transporte. Sein Verdacht: Die Behörden sagen nicht die ganze Wahrheit.

Nowouralsk ist eine geschlossene Stadt. Die Menschen leben hinter Stacheldraht. Was halten sie davon?

Sie werden es nicht glauben, aber die meisten Menschen hier sind mit dem Status einer geschlossenen Stadt zufrieden.

Warum?

Ich denke auch oft darüber nach. Und mir fällt keine rationale Antwort ein. Unser Land ist wirtschaftlich und politisch nicht frei. Wir hören ständig Propaganda. Technisch und wirtschaftlich geht es bergab. Und das macht nervös. Und das führt zu Konkurrenz und Missgunst unter den Städten. Man überlegt, wer mehr Geld von Moskau bekommt, wer weniger. Und bei diesem Vergleich kommen die geschlossenen Städte ganz gut weg. Hinter dem Stacheldraht lebt man satter und ruhiger. Und man merkt dabei gar nicht, dass das erniedrigend ist.

Was macht ein Journalist oder ein Umweltschützer, wenn er Nowouralsk besuchen will?

Er muss sich eine Genehmigung holen. Die bekommt er entweder bei den städtischen Behörden oder bei der Verwaltung des Elektrochemischen Werks. Gegenfrage: Gibt es in der Europäischen Union auch geschlossene Städte – von Gefängnissen mal abgesehen?

Sie vertreten mit Ihrer Ablehnung der Transporte aus Gronau eine absolute Minderheitenmeinung in Ihrer Stadt. Haben Sie deswegen Probleme?

Nein. Ich werde wegen meiner Auffassung nicht verfolgt. Ich habe sogar gewisse Kontakte zur örtlichen Vertretung der Atommüllbehörde. Allerdings ist man dort nicht sehr mitteilsam. Ich habe jedoch aus einem anderen Grund Schwierigkeiten mit den Behörden. Ich habe 2018 in der Stadt Flugblätter verteilt mit dem Aufruf, Putins Wahlen zu boykottieren. Und da hat der Geheimdienst FSB mir Ex­tremismus vorgeworfen. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.

Und wie stehen Sie jetzt zur Atomenergie?

Ich habe mich 2014 intensiver mit der Frage des Atommülls auseinandergesetzt. Und dabei bin ich zu der Auffassung gekommen, dass sich das Pro­blem des Atommülls prinzipiell nicht lösen lässt. Leicht ist mir mein Gesinnungswandel nicht gefallen, habe ich doch fast 40 Jahre für die Atomwirtschaft gearbeitet, mit dazu beigetragen, dass der Berg des Atommülls weiter wächst.

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