Initiative stellt Forderungen an Senat: Weniger Autos, besserer Verkehr

Mobilitäts-AktivistInnen wollen die Zahl privater Autos in Berlin radikal senken. Die erste Reaktion der Verkehrsverwaltung klingt nicht abgeneigt.

So markiert man anderswo gewonnenen (Park-)Raum: Fahrradbügel in Santiago de Chile Foto: C. Prößer

Ganz langsam beginnen das Mobilitätsgesetz und die rot-rot-grüne Verkehrspolitik zu wirken: Hier und da entstehen geschützte Radstreifen, mehr Infrastruktur ist in der Pipeline, es gibt viel Geld für neue, klimafreundlichere Fahrzeuge im ÖPNV, auch wenn es bisweilen mit der Auftragsvergabe hapert. Der sogenannte Umweltverbund – also alle Verkehrsmittel außer privaten Kfz – befindet sich im flachen Steigflug.

Der städtischen Mobilitätslobby reicht das nicht. Ein Hauptproblem aus ihrer Sicht: es fehlt an Straßenraum für alle NutzerInnen ohne vier Räder und Verbrennungsmotor. Aus diesem Grund hatten ADFC, Changing Cities, BUND, VCD und andere am Mittwoch zur Vorstellung eines Plans eingeladen, mit dem es „Berliner Straßen für alle“ geben soll. „Wir sind die neue Autolobby“, sagte Peter Fuchs von der ebenfalls beteiligten Klimaschutzinitiative PowerShift – natürlich ironisch. Aber es gehe ja nicht darum, Autos komplett von der Straße zu verbannen, der Verkehr müsse nur viel effizienter organisiert werden.

Mit sieben Forderungen will das Bündnis die Politik unter Druck setzen. Ganz oben auf der Liste steht ein deutlicher Rückgang privater Kfz. „Wir haben viel zu viele Autos in der Stadt“, so Frank Masurat vom ADFC, „sie werden immer mehr und immer größer.“ Die meisten Verkehrswissenschaftler rieten dazu, den Platz für diese Autos erheblich zu verknappen. Die Erwartung der AktivistInnen ist, dass das den Pkw-Besitz so unattraktiv macht, dass immer mehr HalterInnen davon Abschied nehmen. Masurat: „Wir wollen, dass sich die Anzahl der Autos alle zehn Jahre halbiert.“

Absurderweise könnten im Moment weder der Senat noch die Bezirke exakten Angaben darüber machen, wie viel Straßenraum die herumstehenden Autos belegten, so der ADFC-Mann. „Wir haben das hochgerechnet – es ist viereinhalbmal das Tempelhofer Feld.“ Raum, der frei werden soll für Fahrradinfrastruktur, Bänke zum Verweilen, Cafétische oder Spielplätze. In einer Powerpoint-Präsentation sieht das schon ganz gut aus: heute endlose Reihen Blech, morgen viel Freiraum, Grün und Kinder auf dem Laufrad.

Dass ein drastischer Rückbau der Parkplätze zunächst den gegenteiligen Effekt erzeugt – noch mehr und noch chaotischeren Parksuchverkehr als heute –, glaubt man bei „Berliner Straßen für alle“ nicht. „Es gibt schon jetzt viele private Parkplätze, und die Parkhäuser und Tiefgaragen in der Innenstadt stehen zurzeit oft halb leer“, erklärte Tim Lehmann vom Institut für urbane Mobilität. Auch mit Parkraumbewirtschaftung bekomme man das in den Griff.

„Verbrenner“ raus aus der Innenstadt

„Dass man wie in Berlin überall am Straßenrand parkt, ist eher ungewöhnlich für eine Großstadt“, so Lehmann. „Wir wollen Normalität wie in Frankfurt und München.“ Zu den weiteren Forderungen gehört der Stopp des Durchgangsverkehrs in Kiezen, wie es rund um Wrangel- und Bergmannstraße schon angedacht ist, die Umstellung der Regelgeschwindigkeit auf Tempo 30, die Verbannung von Verbrennungsmotoren aus der Innenstadt bis 2030 und der Ausbau von Sharingmodellen.

„Carsharing muss aber künftig über Konzessionen gesteuert werden“, so Ragnhild Sørensen, Sprecherin von Changing Cities. „Das Prinzip kann nicht mehr die reine Gewinnorientierung sein, der Markt allein funktioniert hier nicht.“ Denn Stadtrandlagen müssten genauso bedient werden wie die heute schon gut versorgte Innenstadt.

Ein Problem, das auch die AktivistInnen sehen, ist, dass das Land in vielen Fällen gar nicht zuständig ist. Das betreffe etwa Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, aber auch die Reduzierung der Parkplätze. Eine Abschaffung von Straßenparkplätzen gehe derzeit nur als konkrete Umwandlung der Fläche etwa zu Radwegen mit der Straßenverkehrsordnung (StVO) konform, so ADFC-Sprecher Nikolas Linck zur taz. Gerade auf Nebenstraßen sei dies aber gar nicht immer sinnvoll. Berlin solle hier mit Bundesratsinitiativen auf eine Änderung des gesetzlichen Rahmens hinarbeiten.

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In der Verkehrsverwaltung hatte man am Mittwoch ein bemerkenswert offenes Ohr für die Forderungen: „Interessante Ideen und wichtige Impulse aus der Zivilgesellschaft für ein modernes Berlin!“, twitterte Senatorin Regine Günther (Grüne) „Lassen Sie/lasst uns im Gespräch darüber bleiben.“ Ihr Sprecher Jan Thomsen bekräftigte, dass sich die Verwaltung mit den Vorschlägen „intensiv beschäftigen“ werde: „Es geht um eine Stadt, die für Menschen geplant und gebaut wird, nicht für den Autoverkehr.“

Thomsen wies darauf hin, dass der Straßenraum schon jetzt neu aufgeteilt werde, etwa durch „Protected Bike Lanes“ oder die geplante Umwandlung von Kfz-Stellplätzen in solche für E-Scooter oder Fahrräder. Bei der Parkraumbewirtschaftung strebe man zunächst eine Ausweitung auf 75 Prozent der Innenstadt an. Das in der ­Koalitionsvereinbarung festgehaltene Ziel – 100 Prozent bis 2021 – wird damit freilich verfehlt.

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