Abschiebezentrum in Hamburg-Rahlstedt: Nachts kommt die Polizei

Geflüchtete in der Zentralen Erstaufnahme in Rahlstedt berichten von prekären Lebensbedingungen und Angst. Es gibt keine Privatsphäre.

Blick in ein Zimmer mit vier Hochbetten, links als Wandschmuck der Schattenriss einer Hummelfigur

Zur Decke hin offen: ein Zimmer in dem so genannten „Ankunftszentrum“ in Rahlstedt Foto: dpa

HAMBURG TAZ Es ist Mittagszeit. Dutzende Menschen gehen zum Essen in die Kantine der Zen­tralen Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg-Rahlstedt. Kinder rennen und spielen zwischen den Tischen. Manchmal werden sie vom Sicherheitsdienst ermahnt, das draußen zu tun. In der Kantine, die eine kahle Halle ist, ist es laut, die Stimmen hallen.

Maria M. sitzt mit einigem Abstand zu den meisten Menschen in einer Ecke. Die Lautstärke macht ihr sichtlich zu schaffen. Dass ihr richtiger Name und persönliche Informationen über sie in der Zeitung stehen, möchte sie nicht. Sie hat Angst, dass sich das negativ auf ihr Asylverfahren auswirken könnte.

Seit fast sechs Monaten lebt M. in der Unterkunft am Bargkoppelstieg. Sie ist das, was die Stadt „Ankunftszentrum“ nennt, die erste Anlaufstelle für Geflüchtete, die in Hamburg ankommen. Wurden die Ankommenden anfangs noch nach kurzer Zeit in andere Einrichtungen gebracht, bleiben seit Oktober 2018 viele Menschen über Monate hier. Die, die aus Sicht der Behörde eine schlechte Bleibeperspektive haben. Das Ziel: die schnelle Rückführung. Von Anfang an wurde kritisiert, dass das sogenannte „Ankunftszentrum“ nichts anderes als ein Ankerzentrum sei.

Das, was Maria M. in flüssigem Englisch über die Lebensbedingungen dort erzählt, lässt auf unhaltbare Zustände schließen. In den Wohnbereich dürfen Besucher*innen nicht. Und M. ist nicht die einzige, die das schildert. Auch andere Bewohner*innen äußern Kritik, genauso wie Unterstützer*innen und Beratungsstellen für Geflüchtete.

Zimmer ohne Fenster

M. erzählt von der großen Halle, in der sie untergebracht ist. Morgens wird das Licht für alle angeschaltet, abends wieder ausgemacht. Die einzelnen Zimmer sind durch Leichtbauwände abgetrennt. Sie reichen nicht mal bis zur Decke. „Wir sehen uns zwar nicht, aber man kann alles hören, was im Rest des Gebäudes passiert“, sagt M.

Maria M.s Zimmer hat kein Fenster. „Es gibt kein Tageslicht und keine frische Luft“, sagt sie. Der Lärmpegel sei enorm. Musik, Filme, Gespräche. Selbst nachts findet M. keine Ruhe. Denn dann kommt oft die Polizei, um die Menschen abzuholen, die abgeschoben werden sollen. „Du kannst sie schreien hören, sie haben Panik“, erzählt M. Das passiere manchmal zwei Mal in der Woche und sei sehr belastend.

„Man muss alles mit anhören, Geheule, Geschrei. Es ist großer Stress“, so schilderte es auch ein junger Mann aus dem Iran der Rechtshilfe und Beratungsstelle Fluchtpunkt. Seit einigen Wochen befragen die Berater*innen dort Menschen über die Zustände am Bargkoppelstieg, wenn diese sich dazu bereit erklären. „Schon bei der Eröffnung war klar, dass die Unterkunft nicht geeignet ist, dort Menschen unterzubringen“, sagt Rechtsberaterin Anna-Lena Büchler. Nun zeige sich, wie schlimm die Lebensbedingungen sind.

Die Ergebnisse der Interviews liegen der taz in anonymisierter Form vor. Fast alle Menschen schildern darin, wie sie, und teilweise auch ihre Kinder, Zeug*innen von Abschiebungen und Abschiebeversuchen wurden. Das passiere meist nachts oder am frühen Morgen. Sie beschreiben, wie die Polizei den Bewohner*innen mit Taschenlampen ins Gesicht leuchtet, um die gesuchte Person zu finden oder das Deckenlicht in der gesamten Halle anschaltet.

Die Polizei leuchtet den Bewohner*innen mit Taschenlampen ins Gesicht, um die gesuchte Person zu finden

Zehn Mal seien Mitbewohner aus seinem Zimmer abgeholt worden, berichtet ein Mann aus dem Iran. Aus Angst vor Abschiebung habe er mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Angst, das Wort fällt immer wieder in den Schilderungen. Genauso wie die Erklärung, welch große psychische Belastung diese Situation mit sich bringt.

Maria M. war zwei Monate lang in einer psychiatrischen Klinik. Sie nimmt immer noch Medikamente. Die Situation sei extrem belastend für sie, erzählt sie. Aber es gebe andere, denen es viel schlechter gehe. M. habe mehrfach mitbekommen, wie Menschen in der Unterkunft versucht haben, sich das Leben zu nehmen.

Auch ein offener Brief schildert die Zustände

Die psychiatrische oder psychotherapeutische Versorgung in der Unterkunft sei nicht ausreichend, sagt Büchler. Es gebe wohl eine Stabilisierungssprechstunde, es sei aber unklar, wer sie in welchem Umfang anbiete. „So berichteten einige der Interviewten, dass sie nach der Entlassung aus der Psy­chiatrie völlig unversorgt im Camp blieben, obwohl sie sich um Behandlung bemühten“, sagt Büchler.

Auch der Flüchtlingsrat Hamburg, die Glasmoorgruppe und das Café Exil berichten in einem offenen Brief an die Grünen über die unmenschlichen Zustände in der Unterkunft und fordern deren Schließung. Mit einer Protestaktion an diesem Samstag bei der Landesmitgliederversammlung wollen sie auf die Situation der Geflüchteten aufmerksam machen und den Handlungsdruck gerade auf die mitregierenden Grünen erhöhen.

Aus dem für die Einrichtung zuständigen Einwohnerzentralamt der Innenbehörde heißt es auf Anfrage der taz, es seien nur wenige Beschwerden bekannt. Die frühmorgendlichen Abschiebungen seien organisatorisch notwendig. Zu allgemein formulierten und „subjektiv als Beeinträchtigung empfundenen Bedingungen“ könne die Behörde sich nicht äußern, sagt Sprecher Matthias Krumm.

Das Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft sei mit „Einschränkungen und Herausforderungen“ verbunden, die von den Bewohner*innen „Toleranz und Rücksichtnahme“ verlangten. „Prekäre Lebensbedingungen herrschen aus unserer Sicht im Ankunftszentrum nicht“, sagt Krumm.

Wie lange Maria M. noch bleiben muss, ist unklar

Anna-Lena Büchler sieht das anders. Es sei nicht vertretbar, dass Menschen länger als einige Tage im Bargkoppelstieg lebten. „Der große Notstand ist vorbei, die Kapazitäten sind vorhanden“, sagt sie. „Es werden Einrichtungen mit gut funktionierenden Teams von Sozialarbeitern geschlossen.“

Maria M. wünscht sich dringend mehr Privatsphäre. „Das ist doch das, was jeder Mensch braucht.“ Sie frage immer wieder, wann sie eine andere Unterkunft bekäme. Doch die Antwort sei immer dieselbe: Man wisse es nicht.

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