Polizei und Sicherheit im Stadion: Weniger ist mehr

In Baden-Württemberg wird die Polizeipräsenz bei Fußballspielen reduziert, ohne dass die Straftaten zunehmen.

Freiburg Fans mit enem großen Transparent, auf dem Rasen eine Torszene

Freiburgs Nordkurve ist gegen das neue Polizeigesetz und gegen zu viel Polizei während der Spiele Foto: Joachim Hahne/imago

FREIBURG taz | Wer die politische Landschaft in Baden-Württemberg verstehen will, sollte sich auf Überraschungen gefasst machen. Der Ministerpräsident, der gerne ein „g’scheites“ Auto fährt und damit einen Diesel meint, Jeans mit Löchern „dekadent“ findet und für Angela Merkel (!) betet (!!), ist – das lässt sich nachweisen – bei den Grünen.

Dafür kommen Vorschläge, wie man Fußballfans mehr Vertrauen entgegenbringen und weniger Polizei an Spieltagen einsetzen kann, von einem leitenden Beamten mit CDU-Parteibuch im CDU-geführten Innenministerium. Hingegen ließ der SPD-Mann in Sachen Fußball, Sascha Binder, in der Vergangenheit kaum eine Law-and-Order-Forderung (personalisierte Tickets, längere Stadionverbote) aus. Und ausgerechnet die Polizei im vermeintlich grünen Idyll Freiburg schießt immer wieder mit Kanonen auf Spatzen.

Einen „hoch eskalativen Umgang mit Fußballfans, obwohl der Standort und die Fanszene als unproblematisch gelten“, wirft die SC-Ultragruppe „Corrillo“ der Polizei und ihrem Einsatzleiter dann auch vor und nennt zahlreiche, teils regelrecht groteske Beispiele. Unterstützt werden die Freiburger Fans dabei immer wieder von Gästefans, die sich über das rüde Vorgehen der Freiburger Polizei beschweren – beim jüngsten Pokalspiel Ende Oktober gegen Union Berlin wurde ein Fan mitsamt Zaunfahnen auf die Polizeiwache geschleppt, weil er wie alle zwei Wochen mit seiner Stehplatzkarte kurz in den Gästesitzplatzbereich gegangen war, um dort Zaunfahnen aufzuhängen.

Vertreter von Fanorganisationen werfen der Freiburger Polizei denn auch seit Langem vor, immer wieder selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Fußballspiele demonstrativ mit einer starken Polizeipräsenz abgesichert werden. Dass ein Theatergast, der vor Beginn der Vorstellung für wenige Minuten einen teureren Logenplatz besucht, einen großen Polizeieinsatz nebst In­gewahrsamnahme auslöst, ist jedenfalls schwer vorstellbar.

In Kooperation mit den Klubs

Mit seiner Strategie ist der Freiburger Einsatzleiter dann auch inhaltlich auf Konfrontationskurs mit der in Baden-Württemberg seit über zwei Jahren geübten Deeskalationsstrategie. Der für Polizeieinsätze zuständige Beamte im Innenministerium, Uwe Stahlmann, verficht mit Rückendeckung des Ministers Thomas Strobl das Konzept der „Stadionallianzen“ mit dem Ziel, die Polizeieinsätze bei Fußballspielen zu reduzieren. „Vor jedem Spiel treffen sich Polizei, Ordnungsdienst, Kommune und die Vereine mit ihren Fan- und Sicherheitsbeauftragten und entwickeln ein gemeinsames Spieltagskonzept.“

Es gehe darum, „das hohe Sicherheitsniveau zu halten und gleichzeitig den Einsatz von Polizeikräften zu verringern“. Den Eindruck vieler Stadionbesucher, dass bei den Spielen oft zu viele Polizeikräfte Dienst tun, teilt Stahlmann: „Wenn laut einer Studie der Uni Potsdam alle Befragten, egal ob Fanszene, Vereine oder Zuschauer, sagen, dass an den Spieltagen zu viel Polizei da ist, muss man sich hinterfragen.“

So sieht man es im schwarz-grün regierten Baden-Württemberg, und auch in einigen SPD-geführten Landesregierungen scheint die Bereitschaft groß, Polizei dort einzusetzen, wo sie auch nach Ansicht vieler neutraler Beobachter weit dringender gebraucht wird als beim Fußball. Anders sieht man es beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo Innenminister Herbert Reul (CDU) die von Rot-Grün eingeforderte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Beamte aufhob, die Polizei großflächig zu Betretungs- und Aufenthaltsverboten für Fußballfans greift und schon bei kleinsten Ordnungswidrigkeiten wie dem kurzzeitigen Betreten einer Straße Strafen verhängt.

Dabei steht die Zahl der Straftaten bundesweit in krassem Gegensatz zu der landläufigen Meinung, es sei gefährlich, ein Fußballspiel zu besuchen. Baden-Württemberg kommuniziert das neuerdings auch genau so: „Wir haben über die Jahre hinweg zwischen 0,5 und 1 Verletzten pro Spiel in den ersten drei Ligen und im Schnitt etwa fünf Straftaten pro Spiel. Im Vergleich zu anderen Großveranstaltungen ist das sehr niedrig.“

Kapazitäten für andere Aufgaben

Eine Erkenntnis, aus der im Stuttgarter Ministerium die entsprechenden Schlüsse gezogen wurden. „Wir haben seit Einführung der Stadionallianzen 35.000 Einsatzstunden eingespart, das sind nahezu 20 Prozent.“ So sei die Partie Stuttgart–Frankfurt jahrelang als Hochrisikospiel eingestuft worden. „Jetzt arbeiten wir da mit der Hälfte der Kräfte.“ Bei Hoffenheim-Leverkusen kam man zuletzt mit 65 statt wie früher mit 110 Kräften aus. Dass es nicht einen einzigen Zwischenfall gab, wundert Stahlmann nicht: „Weil wir uns mit der Fanseite und dem Verein enger abstimmen, können wir die Kräfte zielgerichteter einsetzen.“

Einiges deutet darauf hin, dass im Südwesten Außergewöhnliches gelungen ist: Bei den Fußballspielen kommt es nicht zu mehr Straftaten, und die frei gewordenen Einsatzkräfte können sich um andere Aufgaben kümmern. In letzter Zeit ist die Aufklärungsquote von ­Wohnungseinbrüchen gestiegen, heißt es im Innenministerium. Ein direkter Zusammenhang mit den Sta­dionallianzen sei nicht beweisbar – aber nicht unwahrscheinlich.

Allerdings ist nicht jeder bereit, den Umstand zu nutzen, dass es derzeit im Südwesten politische Rückendeckung für einen Deeskalationskurs gibt. Bundesweit gelten Fußballspiele im Freiburger Schwarzwaldstadion als friedliche Veranstaltungen. Es gibt allerdings zumindest einen Menschen, der meint, dass das an der Omnipräsenz der Freiburger Polizei liegt. Fatalerweise ist es deren Einsatzleiter.

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