Annette Jensen über das Insektensterben
: Kleine Tiere, große Änderungen

Die Ausrottung geschieht lautlos, paradoxerweise fällt das Insektensterben vielen nur an ihren sauberen Windschutzscheiben auf. Die Daten aber sind so dramatisch, dass inzwischen selbst der Bauernverband den Schwund an Vielfalt und Masse nicht mehr ignorieren kann. „Freiwillig“ habe man in diesem Jahr Blühstreifen angelegt. Das ist nicht verkehrt, aber als Umweltschutz ungefähr so wirksam wie Mehrweggeschirr in Flugzeugen.

Das Hauptproblem ist eine Landwirtschaft, die von Chemie- und Saatgutkonzernen dominiert wird und auf riesigen Äckern einige wenige Hochertragssorten für den Weltmarkt anbaut. Pflanzen und Pestizide gibt es im Doppelpack – alles, was sonst noch wächst, kreucht und fleucht, wird ausgemerzt.

Etwa 80 Prozent der Gemüsesorten können sich heute nicht mehr selbst vermehren, viele über Generationen gezüchtete Nutzpflanzen sind unwiederbringlich ausgestorben. Dafür ist heute ein Großteil des Saatguts an Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel angepasst.

Die Welt hat sich selbst mit den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen verpflichtet, den Hunger abzuschaffen. Mit der heutigen Agrarindustrie kann das nicht gelingen. Im Gegenteil: Der Mangel an Insekten kann zu Hungerkatastrophen führen; in einigen Gegenden Chinas müssen Obstbäume bereits von Menschen bestäubt werden. Spätestens seit dem Weltagrarbericht 2008 ist klar, dass nur eine kleinteilige, vielfältige Landwirtschaft in der Lage sein wird, die wachsende Menschheit zu ernähren. Solch eine Landwirtschaft ist – wenn sie gut betrieben wird – nicht nur wesentlich produktiver, sondern verhindert aufgrund ihrer Struktur auch die Massenvermehrung von Schädlingen.

Ein paar Blühstreifen werden den Insektentod nicht aufhalten. Nötig ist radikales Umsteuern auf großer Fläche. Die EU-Agrarpolitik wird im kommenden Jahr neu festgeschrieben. Warum denken beim Thema Landreform und gerechte Aufteilung von Grund und Boden eigentlich immer alle nur an ­Dritte-Welt-Länder?

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