Nahostexperte über Russland in Syrien: „Es sieht aus wie eine Sackgasse“

Der russische Nahost-Experte Alexei Malaschenko kann keinen Sieg Moskaus in Syrien erkennen. Ein Ordnungsfaktor Russland existiere nicht.

Wladimir Putin fässt sich mit dem Zeigefinder an die Nase

„Etwas einfach gestrickt“: Russlands Präsident Wladimir Putin. Eine Syrien-Strategie hat er nicht Foto: reuters

Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde vor der fünftägigen Waffenruhe, die Donnerstagnacht verhandelt wurde, geführt.

taz: Herr Malaschenko, im Westen wird Moskaus Rolle in Syrien als ein großer Sieg gehandelt. Die staatlichen russischen Medien berichten jedoch auffallend zurückhaltend. Warum?

Alexei Malaschenko: Das ist kein richtiger Sieg in Syrien, es sieht eher aus wie eine Sackgasse. Erdoğan behauptet zwar, er hätte Russland vor dem türkischen Einmarsch informiert. Der Kreml weiß davon jedoch nichts, heißt es dort. Russland steht vor dem Problem: Assad ist Anlass und Stütze der russischen Intervention, die Türkei ist inzwischen aber auch ein wichtiger Verbündeter.

Was macht Moskau dann, wenn türkische Panzer gegen die verbündeten Syrer vorrücken?

Moskau steckt in einer Zwickmühle. Soll es die Luftwaffe einsetzen oder nicht? Beides verbietet sich eigentlich. Hält sich Moskau raus, erhebt sich sofort die Frage in Damaskus, unterstützen uns die Russen noch?

Wie geht Putin damit um?

Präsident Putin hatte beim Eingreifen in Syrien vermutlich keine klare Vorstellung. Er ließ sich von taktischen Überlegungen leiten, Baschar auf seine Seite zu ziehen. Alles Weitere würde sich schon ergeben. Wladimir Putin hat selten eine Strategie, alles ist etwas einfach gestrickt. Wie ein mittelmäßiger Schachspieler denkt er zwei Schritte voraus, vier wären schon zu viel.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Am besten wäre eine Konferenz auf höchster Ebene, an der Außenminister und Staatschefs teilnehmen. Vermutlich sitzt man bei uns schon zusammen und sucht nach einer Lösung. Solche Entscheidungen werden bei uns jedoch nicht im Außenministerium getroffen.

ist Nahostexperte und für das Institut Demokratie der Zivilisationen in Moskau tätig. Die Einrichtung gilt als Kreml-nah.

Womit beschäftigen sich die russischen Nahostexperten?

Wir haben keine mehr. Ex-Außenminister und Premier Jewgenij Primakow war einer der letzten. Solche Koryphäen konnten zu Breschnew, Jelzin oder Putin gehen und fragen: Weißt Du, auf wen du dich bei Baschar einlässt, hast Du Ahnung von der Familie, weißt Du noch, dass er nach der Inthronisierung erst nach Europa reiste?

Warum gibt es solche Leute nicht mehr?

Sie werden scheinbar nicht mehr gebraucht.

Ist die Pufferzone sinnvoll?

Erdoğan will in der 30-Kilometer-Zone an der syrischen Grenze Syrer ansiedeln. Ursprünglich war von einer Million, jetzt ist schon von drei Millionen die Rede. Sie brauchen Wasser, Lebensmittel und Sicherheit. Zudem sind diese Rücksiedler alles Gegner Baschars. Putin ist nicht zu beneiden. Er will auch noch, dass alle Gegner Baschars nach Syrien zurückkehren. Selbst China kritisiert das. Auch hier ist ohne russische Hilfe nichts zu erreichen. Auch das würde auf eine militärische Konfrontation entweder mit Baschar oder der Türkei hinauslaufen.

Vielleicht Gespräche zwischen der Türkei und den Kurden?

Die würden sehr langwierig und ermüdend werden. Das passt auch Erdogan nicht, der einen schnellen Sieg wünscht. Die Kurden sind ohnehin nur Nebensache in dem Konflikt, so brutal es klingen mag.

Gibt es überhaupt eine Linie, die sich aufgreifen ließe?

Im Vergleich zum Konflikt zwischen Israel, den Palästinensern und der arabischen Welt ist der Kampf in Syrien nicht mehr durchschaubar. Niemand überblickt, wer was will in Syrien.

Gibt es den Ordnungsfaktor Russland mit Putin also gar nicht?

Nichts dergleichen existiert. Russland hat die Hand in einen heißen Ofen gesteckt und dann ist die Klappe zugefallen.

Bedeutet das, alle können in der Situation verlieren?

Nein, die Amerikaner nicht, die sind schnell raus. Trump spürt, hier ist nichts zu gewinnen.

Wird Erdoğan für den Kreml nicht zu einer Belastung?

Seine Position ist geschwächt. Die Wirtschaft leidet, Sanktionen wurden verhängt, die Opposition wird immer stärker, die Touristen könnten wieder ausbleiben. In dieser Lage schaltet er auf äußere Bedrohung um und will die Türkei vor den Kurden retten. Wenn aber die Kurden Terroranschläge verüben und sich der Krieg hinzieht, wird Erdoğan sich nicht mehr lange halten können. Wenn ein autoritärer Politiker Autorität einbüßt, dann reagieren die Türken entschieden.

Kehrt die Türkei dann wieder unter den Mantel der Nato zurück?

Ich glaube nicht. Die Türkei wurde nicht nach Europa gelassen. In den letzten 20 Jahren hat sich die muslimische Welt weiter entwickelt und die Türkei ist mehr zu einem Teil des Nahen Ostens geworden.

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