Premiere an der Berliner Schaubühne: Zitronen und Schadenfreude

Erklär mal einen Witz: Herbert Fritsch inszeniert an der Berliner Schaubühne Molières „Amphitryon“ als hinreißenden Nuschler.

Zwei Männer stehen in herrlichen roten Barockkostümen auf der Bühne

Joachim Meyerhoff und Florian Anderer und absolut grandiose Kostüme in Molières „Amphitryon“ Foto: Thomas Aurin

Zitronen, Zitronen, wieso handelt Jupiter jetzt mit Zitronen? Ach nein, das Ohr stellt sich ein, es geht darum, wo Jupiter beliebt „zu thronen“. Merkur, der Götterbote, der immer noch zu Fuß losmuss, übt diese kleine Lautverschiebung, als er eine ziemlich fiese Betrügerei von Jupiter einfädelt. Der will mit Alkmene schlafen, der Frau Amphitryons, und dafür die Gestalt des auswärts kämpfenden Feldherrn annehmen.

Merkur muss dafür in die Rolle von Amphitryons zauseligem Diener Sosias schlüpfen, dem im angestrengten Bemühen, alles richtig zu machen und deutlich zu sprechen, ein t zu viel dazwischenrutscht: „Obsttag, Obstnacht …“ Schon wieder Obst, denke ich, bis der Groschen fällt: „Ob’s Tag, ob’s Nacht …“

Erklär mal einen Witz. Erklär du mal, warum du mehr als 90 Minuten über beide Backen grinsend auf diese farbenfrohe Bühne in der Berliner Schaubühne starrst. Weil da Buchstaben verrutschen? Weil der Text von Molière über zwei um ihre Selbstgewissheit gebrachte Männer, Herr und Diener, pointenreich ist?

Weil hier Männer, die ihrer Kopie begegnen, so schön vom Thron ihrer Einmaligkeit segeln? Weil die Schauspieler wie aufgezogen heraus aus den Kulissen tänzeln, als wären sie barocke Puppen auf Rädern? Weil eine Schauspielerin als Alkmene schielt, den Mund schief zieht, knurrt wie ein Hund und lang hinschlägt wie ein Stock, um uns die Ekstase einer Liebesnacht vorzustellen?

Vom Vergnügen der Schadenfreude

Na ja, erste These, das Vergnügen hat etwas mit Schadenfreude zu tun. Aber, zweite These, dabei erhebt man sich in dieser Inszenierung von Herbert Fritsch nicht einfach über die Figuren und ihr Scheitern im Projekt, bella figura zu machen. Nein, es ist die Thea­termaschine selbst, der man in all ihrer Vergeblichkeit, die Illusion des Wirklichen zu erzeugen, hier zuschaut, aus sicherem Abstand, rücken doch Kostüme und Bühnenbild das ganze Unternehmen vor einen barocken Horizont.

Keiner scheint hier echt, der echte Amphitryon, jeden seiner Sätze mit galanten Gesten umtänzelnd, wirkt nicht weniger künstlich als der falsche. Man will es ja auch gar nicht anders, man liebt sie wie aus Papier ausgeschnittene und mit Buntstiften bemalte Figuren, die ein Kind sich ausgedacht hat und im papiernen Haus hin und her schiebt. Dritte These, so ist man glücklich, sich ganz dem Regressiven und Infantilen hingeben zu können.

Aber das reicht noch nicht, es gibt auch eine Prise Salz unter dem Zucker. Die Leidenschaft und die Liebe, um die es hier letztlich geht, sind immer ein Stück harte Arbeit und eine geteilte Fiktion, es gehört nicht viel dazu, da herauszufallen – das erzählt diese Komödie auch und das kann man ernsthaft glauben. Wie sich das Selbst über seine Gefühle konstituiert und vergessen muss, in deren Erzeugung viel Kraft investiert zu haben, um sich selbst glaubhaft zu erleben – davon handelt Molières „Amphitryon“ eben auch.

Die Inszenierung wird von einem großartigen Ensemble getragen, viele der Schauspieler*innen wie Axel Wandtke, Annika Meier, Carol Schuler haben schon in mehreren Produktionen mit Fritsch gearbeitet und sind inzwischen auch Ensemble-Mitglieder an der Schaubühne. Neu hinzugekommen ist Joachim Meyerhoff, lange am Burgtheater in Wien und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg engagiert und inzwischen bekannt als Autor einer autobiografischen Romanreihe.

Die Gier nach Lob

In seiner Rolle des Dieners Sosias hadert er mit seiner Abhängigkeit von Amphitryon, aber auch mit seiner Angepasstheit an das Dienstbotendasein; Sosias spielt also immer schon eine Rolle, die ihn selbst nicht stolz macht. Er verachtet sich für seine Gier nach Lob und beschreibt damit auch die Verführbarkeit des Schauspielers, beim Publikum ankommen zu wollen.

Man liebt den Schauspieler dafür, mit wie viel Liebe er das Unglück und Ungeschick seiner Rolle ausstattet. Wie ihm der Feldherr (Florian Anderer) in einem Dialog, der als Menuett aufgeführt wird, seine überlegene Geschicklichkeit vorführt, den Unglücklichen hierhin und dorthin zieht, umtänzelt und mit Pirouetten überrascht, als wolle er Sosias’ Gedanken vollends ins Trudeln bringen, gehört zu den lustigsten Szenen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.