Unser täglich Brot ist alle

Nigerias Nahrungsmittelproduktion sinkt, während der Nahrungsmittelbedarf steigt. Afrikas bevölkerungsreichstes Land erlebt jetzt hautnah, wohin ständige Unsicherheit führt

Auch Viehhirten haben Angst vor Überfällen. Sicher sind sie nur in den Städten – auch mitten in der Hauptstadt Abuja Foto: Katrin Gänsler

Aus Kaduna Katrin Gänsler

Ya’u Umar nickt anerkennend, als er über den Gemüsemarkt geht. Ab und zu bleibt der große, massige Mann stehen und schaut sich die Tomaten auf dem Markt in der nordnigerianischen Metropole Kaduna genauer an. Umar ist Vorsitzender des Interessenverbandes der Tomatenhändler, der den wohlklingenden Namen Peace and Unity – Frieden und Einheit – trägt. So endet auch die erste Strophe der nigerianischen Nationalhymne. In Kaduna gibt es jedoch keinen Frieden. „Hier ist die Unsicherheit zum Alltag geworden“, sagt Umar.

Die Ausbreitung bewaffneter Konflikte in Nigeria, gekoppelt mit der Entscheidung der Regierung, Warenimporte durch Grenzschließungen zu erschweren oder ganz zu verbieten, wirkt sich direkt auf die Produktion von Nahrungsmitteln in Afrikas bevölkerungsreichstem Land aus. Laut UN-Agrarorganisation FAO wird Nigerias Getreideernte dieses Jahr mit 27,3 Millionen Tonnen um drei Prozent geringer ausfallen als im vergangenen Jahr. Die Reisernte wird sogar um gut zehn Prozent einbrechen und bei nur acht Millionen Tonnen liegen. Da zugleich Nigerias Bevölkerung jedes Jahr um gut 2,5 Prozent wächst, bedeutet das einen noch deutlicheren höheren Pro-Kopf-Rückgang.

Das Ergebnis: steigende Preise und Knappheit. Die Inflation bei Nahrungsmitteln ist im September auf einen Jahreswert von 13,5 Prozent gestiegen. Nach amtlichen Angaben konsumiert das Land jedes Jahr vier Millionen Tonnen Weizen – die eigene Weizenernte liegt bei 100.000 Tonnen. Auch bei Reis und Mais beträgt die Lücke zwischen Eigenproduktion und Vebrauch jeweils drei bis vier Millionen Tonnen.

Das regionale Netzwerk Cadre Harmonisé (CH) geht davon, dass 2,97 Millionen Nigerianer zwischen Juni und August auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen waren. Nach Einschätzung des Frühwarnnetzwerks FEWS Net wird sich besonders im nordöstlichen Bundesstaat Borno diese Situation vorerst nicht ändern. Grund dafür sind die anhaltenden Angriffe durch die Terrormiliz Boko Haram sowie die Splittergruppe Islamischer Staat in der Provinz Westafrika (ISWAP), die vor allem am Tschadsee eine Bewirtschaftung von Feldern unmöglich machen. Die Situation für die Bauern ist nicht stabil genug, um sich regelmäßig außerhalb der Dörfer aufzuhalten. „Viele Bauern haben mehrere Aussaaten verpasst und über drei Millionen Menschen leben in Ernährungsunsicherheit“, sagte der für humanitäre Hilfe zuständige UN-Vizegeneralsekretär Mark Lowcock vergangene Woche bei einem Besuch in Borno.

Neu hinzugekommen sind Überfälle und Entführungen in anderen Landesteilen. Die Onlinezeitung Premium Times versucht, Woche für Woche die Entführten und Toten zu zählen. Meist sind es mehrere Dutzend pro Woche. Besonders betroffen sind die nördlichen Bundesstaaten Zamfara, Kat­sina und Kaduna. Dort hatten Farmer in diesem Jahr sogar Angst, Flächen zu bewirtschaften, die nur zwei bis drei Kilometer außerhalb der Dörfer liegen. Das Risiko, entführt zu werden, ist zu groß und die Lösegeldforderungen fressen die ganzen Ersparnisse auf. Selbst Überlandfahrten sind gefährlich, weshalb Händler Ya’u Umar seine Zulieferer mitunter monatelang nicht besucht.Das alles blockiert nicht nur die Nahrungsmittelproduktion, sondern die ländliche Entwicklung.

Das Risiko, entführt zu werden, ist groß und Lösegeldforderungen fressen die Ersparnisse auf

An der renommierten Ahmadu-Bello-Universität in Zaria sagt Dekan Sadiq Abubakar: „Der Schwerpunkt der Landwirtschaft liegt auf der Produktion, weniger auf der Weiterverarbeitung. Ohne Sicherheit leidet sie stark.“ Ändere sich nichts, könnten Millionen Jobs verloren gehen, warnt zudem die nigerianische Geflügelzüchtervereinigung.

Dabei soll die Landwirtschaft Nigerias Wirtschaft nach dem Verfall des Ölpreises aus der Krise holen. 2016 forderte die Regierung von Präsident Muhammadu Buhari seine Landsleute dazu auf, in Zukunft lokal zu produzieren und zu konsumieren. Es sollte der Beginn einer grünen Revolution sein. Ein neuerlicher Versuch ist das Verbot, zahlreiche Nahrungsmittel einzuführen, beispielsweise Reis, hier ist Nigeria der größte Konsument Afrikas. „Wir können doch kein Geld für Dinge ausgeben, die wir selbst produzieren können“, erläutert der frühere Landwirtschaftsminister Audu Ogbeh. 2018 hätten sich die Lebensmittelimporte bereits um 21 Milliarden US-Dollar verringert und Exporte um 77 Prozent erhöht, freut sich Ogbeh unter Berufung auf die Zentralbank.

Doch das berücksichtigt weder die Ausbreitung von Unsicherheit auf dem Land noch den immensen Druck durch die steigende Bevölkerung: Nigeria mit seinen knapp 200 Millionen Einwohnern wächst jährlich um etwa fünf Millionen Menschen. Allein in der Wirtschaftsmetropole Lagos mit mehr als 20 Millionen Einwohnern werden laut Ogbeh täglich knapp 7.000 Rinder gegessen. Dabei sind die Viehzüchter ebenso von Unsicherheit betroffen. Innerhalb der Dörfer gibt es keine Weideflächen, und außerhalb werden sie Opfer von Banditen.